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Sie stürzte aus dem Haus, rannte quer über den Hof und drang in den Wald ein, der sich wie eine schwarze Wand hinter ihr schloß.

38.

Sie war nicht nicht einmal überrascht.

Nicht wirklich.

Sie war entsetzt, schockiert, verletzt wie niemals zuvor in ihrem Leben und hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, auf der Stelle herumzufahren und wegzulaufen, weg von ihm, weg von diesem schrecklichen Haus, so weit sie nur konnte, und dem, einfach hinunterzustürmen und dieses kleine Aas an den Haaren zu packen und auf der Stelle zu ertränken.

Sie hatte es gewußt, nicht erst seit ein paar Minuten, sondern schon länger, vielleicht seit dem Moment, in dem Stefan und das Mädchen zum ersten Mal zusammengekommen waren. Sie hatte keine Beweise, nicht einmal einen Anhaltspunkt gehabt, aber sie hatte es trotzdem gewußt. Die Frau in ihr hatte es gespürt. Sie hatte die Konkurrentin erkannt, im gleichen Augenblick, in dem sie sie zum ersten Mal gesehen hatte.

Sie hatte es nur nicht wahrhaben wollen.

Der See war ein ganz normaler See - das sumpfige Modderloch eben, das ihnen der Makler als »kostenlosen Swimmingpool direkt vor der Haustür« angepriesen hatte, nicht mehr der Mitternachtssee. Die Büsche und Bäume ringsum waren ganz normale Büsche und Bäume, keine Krallengnome mehr, der Himmel ein ganz normaler Himmel, kein Deckel aus Blei, der über die Landschaft gestülpt worden war, das Wasser Wasser, kein Dämonenblut, in dem sich namenlose Dinge suhlten. Aber die Moorhexe und Banshee waren da, nicht einmal zwanzig Meter von Liz entfernt, in der Gestalt eines fast zwei Meter großen, dunkelhaarigen Hünen und in der eines fünfzehnjährigen Kindes, das sich irgendwie den Körper einer Frau erschlichen hatte, und sie waren beide so vereint, wie ein Mann und eine Frau es nur sein konnten.

Wie lange es dauerte? Liz wußte nicht, wie lange sie dasaß und sich als Voyeurin des Entsetzens betätigte - auf jeden Fall sehr, sehr viel länger, als er jemals mit ihr geschlafen hatte; und ungefähr zwei hundertmal intensiver. Sie konnte die Lust der beiden ineinandergekrallten Körper wie ein elektrisches Knistern spüren, ein Kribbeln auf der Haut, das furchtbar - und auf entsetzliche Weise erregend zugleich war. Obwohl sie sich mit aller Gewalt dagegen wehrte, fühlte sie ein wohl bekanntes Kribbeln in den Lenden, und sie kam sich besudelt und schmutzig vor, allein weil sie dasaß und zusah.

Und das schlimmste war - sie spürte ganz genau, daß die beiden von ihrer Anwesenheit wußten. Eine Peep-Show, ganz persönlich für sie inszeniert. Irgendwann war es vorbei. Es mußte eine halbe Stunde oder länger gedauert haben, denn Liz konnte sich kaum noch bewegen. Ihre Wangenmuskeln waren verkrampft, und ihr Rücken schmerzte entsetzlich von der unnatürlichen Haltung, in der sie hinter dem Busch gehockt hatte. Stefan wälzte sich mit einem erschöpften Seufzer zur Seite, lag auf dem Rücken und starrte in den Himmel, während das Mädchen mit einer ungemein eleganten, fließenden Bewegung aufstand und zum See hin unterging. Für einen Moment wurde ihre Gestalt zu einem schwarzen Schatten vor der silbernen Wasseroberfläche; ein Windstoß bauschte ihr Haar und verwandelte es in ein Gorgonenhaupt, peitschende Tentakel, so dünn wie Fäden. Sie war eine Spinne und Stefan ihr Opfer.

Diese Erkenntnis stand plötzlich ganz klar vor Liz; so deutlich, daß kein Zweifel mehr möglich war. Ihr Zorn auf Stefan erlosch schlagartig. Es war nicht seine Schuld. Er war nicht mehr er selbst, vielleicht nicht einmal mehr körperlich. Der Mann dort unten war ein Fremder.

Sie beobachtete, wie Andy weiter in den See hineinging und schließlich mit ruhigen, überraschend kräftigen Zügen zu schwimmen begann; eine schmale, nackte Gestalt, die sich in einer unbeschreiblichen Mischung aus Ungeschick und Eleganz durch das glasklare Wasser bewegte und ab und zu hell auflachte; ein glockenklarer Ton, der selbst hier oben noch zu hören war. Stefan saß unweit davon am Ufer, jetzt rauchend, nackt, ganz in Betrachtung des schlanken Mädchenkörpers versunken. Sie sah, daß er schon wieder erregt war. Wenn das Mädchen aus dem Wasser kam, würde er wieder mit ihr schlafen. Liz empfand nicht die Spur von Eifersucht. Es spielte keine Rolle. Jetzt nicht mehr.

Lange, sehr lange, saß sie so reglos und in unverändert unbequemer Haltung da und starrte auf den See hinunter, aber sie sah weder das Wasser noch die beiden winzigen Gestalten. Es erschien ihr unendlich schwer, sich zu bewegen. Sie war gar nicht wirklich hier. Was sie erlebte, war eine Illusion, ein Videoclip in 3D und Dolby-Stereo, bei dem die Hölle Regie führte, dachte sie hysterisch. Sie empfand...nichts. Sie hatte keine Angst. Auch keinen Haß, keine Wut oder so etwas Albernes wie Eifersucht. In ihr war nur noch eine große Leere, eine Leere, hinter der irgend etwas lauerte, etwas, das sie nicht beschreiben, nicht einmal erahnen konnte und das sie trotzdem fast in den Wahnsinn trieb.

Schließlich schaffte sie es, die Lähmung, die sie nun in Form eines Muskelkrampfes - auch in Stereo, in beiden Waden zugleich nämlich - auch körperlich befallen hatte, wenigstens so weit abzuschütteln, daß sie aufstehen und sich umdrehen konnte, um zu gehen. Keine Szene. Sie würde dem Ungeheuer nicht den Gefallen tun, jetzt auszuflippen. Sie würde einfach gehen und verschwinden.

Gründlich und für immer.

In diesem Moment stand auch Stefan auf. Liz blieb noch einmal stehen - nun nicht mehr hinter dem Busch, sondern ganz offen, so daß er sie in ihrem beigefarbenen Kleid vordem schwarzen Hintergrund des Waldes deutlich sehen mußte, wenn er sich umdrehte, aber das war ihr vollkommen egal - und starrte auf ihn hinab. Wie das Mädchen zuvor ging nun auch Stefan ins Wasser, schnell und zielsicher und ohne offenbar auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, daß er nicht schwimmen konnte.

Trotzdem ging er nicht unter.

Unter ihm ... war etwas.

Schwarz.

Ein finsteres wabbelndes Ding, wie ein Klumpen schwarzen Froschlaichs, der im Wasser trieb, aber lebend, das ständig in schleimiger Bewegung war. Es griff nach Stefan, stützte ihn, wie eine große, klebrige Hand. Auch weiter hinten im See, wo das Mädchen schwamm, war jetzt diese Schwärze im Wasser, noch immer nicht deutlich zu erkennen, aber rasch wachsend. Die Dunkelheit breitete sich aus, wolkig und schnell, als hätte jemand schwarze Tinte ins Wasser gegossen, und dazwischen waren dünne, peitschende Linien wie schwebendes Haar.

Gelähmt von der Faszination des Grauens stand sie da und sah zu, was weiter geschah, sehr wohl wissend, daß auch dies Teil der Peep-Show war, auch dies nur zu dem einzigen Zweck inszeniert, daß sie es sah. Aber sie war unfähig, irgendeinen Nutzen aus diesem Wissen zu ziehen.

Die beiden schwammen weiter im See, ohne sich auch nur nahe zu kommen. Aber nach einer Weile glaubte Liz ein Muster in ihrer Bewegung zu erkennen, die Kreise und Schlangenlinien waren kein Zufall, nicht willkürlich gewählt. Jede einzelne Bewegung war präzise, voller Kraft und sehr gezielt.

Ein Ritus.

Was sie sah, hatte sehr viel von einem Ritual an sich, ein düsteres, barbarisches Ritual, dessen Sinn sie nicht zu erkennen vermochte und auch nicht wollte und zu dem auch der morbide Liebesakt vorher gehörte. Ein dunkler, blasphemischer Ritus, wie ihn sich Lovecraft nicht schlimmer hätte ausdenken können. Die Luft stank nach Magie. Ohne zu wissen, warum, fühlte sich Liz plötzlich an ein Opfer erinnert. DAS STIMMT, wisperte eine Stimme in ihrem Kopf.