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Etwas bewegte sich unter seiner Jacke, ein doppelt faustgroßer Klumpen, der den nassen schweren Stoff ausbeulte, hierhin und dorthin glitt und wieder zurück, wie eine gefangene Ratte, die keinen Ausweg aus der Falle fand. Dann öffnete er den Mund, seine zerfetzten blutenden Lippen, aber dahinter waren keine Zähne mehr, keine Zunge, sondern eine schwarze glitzernde Masse. Plötzlich war er der Ohlsberg aus ihrem Traum, der kein Traum, sondern nur eine weitere Warnung gewesen war, und der Laut, der aus seiner Brust drang, war kein menschlicher Laut, sondern der Schrei der Banshee, dieser gläserne hohe Ton, der direkt auf ihren Nerven gezupft wurde, ein Schrei, der lauter und lauter wurde, in ihren eigenen überging und immer noch anschwoll.

Dann bewegte sich das, was einmal Ohlsberg gewesen war. Er machte einen Schritt. Seine verstümmelten Hände hoben sich, aber es war kein Angriff, sondern eine Geste des Vorwurfs, ein sieh mich an, das hast du mir getan, das ist mir geschehen, nur weil ich dir helfen wollte, nur weil ich Mitleid mit dir hatte!, das sie schlimmer traf, als es jedweder körperliche Schmerz hätte tun können. Das DING torkelte auf sie zu, fiel dicht vor ihr auf die Knie und streckte die Arme aus.

Sein Gesicht platzte auseinander. Schwarz gewordenes Blut eruptierte aus seinen Wangen, etwas Finsteres, Feuchtes quoll aus seinem Mund, kleinen beinlosen Käfern des Entsetzens gleich, die Augen, zwei bunt bemalte Glaskugeln, die nicht mehr gebraucht wurden, kollerten aus den Höhlen, gefolgt von einem Geflecht dünner schwärzlicher Fäden, die wie Haar im Wind peitschten.

Liz verlor das Bewußtsein.

39.

Es begann zu dämmern, als sie erwachte. Der Himmel über ihr war von einem kränklich aussehenden Grau, das Regen versprach, und sie zitterte vor Kälte am ganzen Leib. Ganz schwach begriff sie, daß sie die ganze Nacht hier gelegen hatte - nein, mehr als eine Nacht. Ein Drittel der Lebenszeit, die ihr noch blieb, denn nun war der letzte Tag angebrochen, noch vierundzwanzig Stunden, bis die Hauptmahlzeit serviert wurde. Zitternd stemmte sie sich hoch. Sie fror erbärmlich, und der Morgentau hatte ihr Kleid durchnäßt; er war es auch, der sie geweckt hatte. Sie sah sich um, registrierte ohne Überraschung, daß Ohlsbergs Leichnam ebenso verschwunden war wie das DING im See und die falschen Farben, und stand auf. Ihr war kalt.

40.

Eine kurze Atempause vor dem Showdown. Wie in Trance ging sie zum Gut zurück und langsam auf das Haus zu. Der Hof lag leer und weit vor ihr, eine schmutzig graue Fläche ebenen Lehms zwischen den zerfallenen Resten der Einzäunung. Eine Leere, die sie verhöhnte.

Plötzlich fiel ihr auf, wie still es war. Es hatte immer Geräusche gegeben: Das Raunen des Windes, das leise Gackern der Hühner, Carrys hechelnder Atem. Die winzigen Geräusche der Natur, einzeln nicht zu identifizieren, aber in ihrer Gesamtheit ein nicht fortzudenkender Teil der Welt dort draußen, jenseits des Zaun es. So etwas wie vollkommene Stille gab es in der Welt der Natur nicht.

Jetzt hörte sie - nichts.

Es war still, so unnatürlich still, daß das Schlagen ihres Herzens wie das dumpfe Wummern eines Hammerwerkes in ihren Ohren dröhnte. Eingesperrt! flüsterte eine Stimme hinter ihren Gedanken. Mit einem Mal wußte sie, daß sie den Hof nicht mehr verlassen würde. Sie war gefangen, gefangen unter einer Glocke des Schweigens, fast als hätte das Grauen jetzt seine Fänge auch schon nach dem Tag ausgestreckt, als lauere hinter den vertrauten Umrissen des Hauses etwas unsagbar Böses, Fremdes, vor dessen Anwesenheit selbst die Natur zurückschreckte. Zum allerersten Mal, seit sie dieses Höllenhaus kennengelernt hatte, fiel ihr auf, daß es keinen geschnitzten Giebel hatte. Alle Häuser in diesem Teil des Landes hatten ihn, denn er diente dazu, böse Geister abzuwehren. Pferde- oder Tier köpfe, die die Giebelwände zierten, Reminiszenzen an eine Zeit, in der die Menschen noch gewußt hatten, wie dünn die Wand war, die ihre Welt von jener anderen, entsetzlichen trennte.

Sie beschleunigte ihre Schritte, ging zum Haus hinüber und schlug die Tür unnötig hart hinter sich zu, aber der Knall verwehte viel zu rasch, ein kurzes, abgehacktes Krachen, das sich nur mühsam gegen die Stille behaupten konnte, wie ein Pistolenschuß, der sein Ziel verfehlte. Hinterher wirkte das Schweigen noch bedrückender. Es war keine einfache Stille, das begriff sie plötzlich, nicht die bloße Abwesenheit von Geräuschen, sondern etwas anderes, Unerklärliches, als wäre plötzlich etwas da, etwas, dessen bloße Anwesenheit jeglichen Laut, jegliches Zeichen der normalen Welt draußen ausschloß. Plötzlich begriff sie, daß dieser Satz nicht von ihr war. Sie hatte ihn zitiert, unbewußt und aus der Erinnerung zitiert. Es war ein Satz, den sie gestern abend gelesen hatte - in Stefans Notizen gelesen hatte... Sie lief, so schnell sie konnte, ins Wohnzimmer hinüber. Ihre Schritte schienen auf dem knöcheltiefen Teppich vollkommen lautlos zu sein. Diese Stille. Diese entsetzliche STILLE! Sie mußte etwas dagegen tun!

Mit zitternden Händen riß sie die Schranktür auf, griff wahllos nach einer Schallplatte und legte sie auf. Ihre Hand hämmerte auf die Schalter der Stereoanlage, und die Lautsprecherboxen erwachten knisternd zum Leben. Für zwei, drei Sekunden lauschte sie auf die dumpfen Trommelschläge, die aus den Boxen drangen, aber die Stille war immer noch da: ein unsichtbarer, tödlicher Kreis, der sich unbarmherzig um sie zusammen zog, auf absurde Art die elektronisch verstärkte Rockmusik zurückdrängte, als würden die Töne in einer unsichtbaren Masse verschwinden;verschluckt, eliminiert, als hätte es sie nie gegeben.

Ein neuerliches, eisiges Frösteln durchlief Liz, als sie die Platte erkannte, die sie aufgelegt hatte: es war eine von Stefans Heavy-Metal-Platten, Heaven And Hell von Accept. Ein Stück, das sie noch nie gemocht hatte. Es war düster und bedrohlich, und es ließ verschwommene Bilder des Schreckens vor den Augen des Zuhörers aufsteigen. Trotzdem kam sie nicht einmal auf den Gedanken, das Gerät abzuschalten. Alles war besser als dieses tödliche Schweigen.

Sie öffnete eine Flasche Bitter Lemon, trank die leicht säuerlich schmeckende Flüssigkeit mit großen Schlucken und war hinterher beinahe durstiger als zuvor. Die Stille war immer noch da und schien sogar noch intensiver geworden zu sein, wie farblose unsichtbare Watte, die sie einhüllte.

Ihr Blick fiel auf die dem Fenster gegenüberliegende Wand; die Wand, hinter der Peters Zimmer lag. Und das Andys. Sie war sicher, daß das Mädchen jetzt nicht dort war, aber sie war auch sicher, daß sie sich im Haus aufhielt. Irgendwo bei Stefan. Sie stellte sich vor, wie die beiden nebeneinander im Bett lagen, nackt, schlafend, erschöpft und ausgelaugt von dem Opfer, das sie dar gebracht hatten.

Liz stöhnte ganz leise. Etwas tun. Sie mußte ... etwas tun, irgend etwas, ganz gleich, was, nur nicht weiter passiv bleiben. Vielleicht hatte sie eine Chance, eine winzige Chance, die Bestie zu besiegen. Aber die hatte sie bestimmt nicht, wenn sie hier stand und darauf wartete, was als nächstes geschah. Das Ding hatte eine schwache Stelle. Wenn all dies wirklich geschah, mußte es sie haben. Es war ein Naturgesetz, die unumstößliche Regel der Entropie: Nichts existierte ewig. Was lebte, konnte sterben. Was tötete, konnte getötet werden.

Sie kam sich unbeschreiblich lächerlich vor bei diesem Gedanken, eine Ameise, die einen Berg umstoßen wollte, nein, schlimmer: eine pawlowsche Hündin, die ganz genau das tat, was die Kreatur im See von ihr erwartete, und sich auch noch einbildete, ihr damit zu schaden. Ihr Blick fiel auf den Kalender. Sie hatte ihn nicht abgerissen - weiß Gott, sie hatte anderes zu tun gehabt, als ein Kalenderblatt abzureißen! - aber sie glaubte die Zahl auf dem nächsten Blatt trotzdem deutlich zu erkennen: eine häßliche, fette Fünf, die sie angrinste, mit dreißig Zentimeter langen Zähnen. Der letzte Tag. Weniger als vierundzwanzig Stunden, bis...