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Eine Weile saßen sie schweigend da und blickten auf die mondbeschienenen Felder. Plötzlich sog Tayend scharf die Luft ein. Er sprang von seinem Stuhl auf und lief ins Haus. Dannyl sah seinem Freund verwundert nach, entschied sich aber dagegen, ihm zu folgen.

Als er sich gerade noch ein Glas Wein einschenkte, kehrte Tayend zurück.

»Schau dir das an.«

Der Gelehrte legte Dannyl die Zeichnungen des Grabes auf den Schoß und hielt ihm dann ein großes Buch hin. Auf den Seiten des Buches war eine Karte der Verbündeten Länder und der angrenzenden Staaten zu sehen.

»Was ist daran so interessant?«, fragte Dannyl.

Tayend zeigte auf eine Reihe von Glyphen am oberen Rand der Zeichnung, die er im Grab der Weißen Tränen angefertigt hatte. »Hier steht etwas über einen Ort - den Ort, von dem die Frau kam.«

Er tippte mit dem Finger auf eine Glyphe: einen Halbmond und eine Hand, umgeben von einem Quadrat mit geschwungenen Ecken. »Ich wusste nicht, was das bedeuten sollte, aber es kam mir bekannt vor. Es hat eine Weile gedauert, bis mir wieder eingefallen ist, woran es mich erinnert. In der Großen Bibliothek haben wir ein Buch, das so alt ist, dass die Seiten zerfallen, wenn man nicht sehr vorsichtig damit umgeht. Das Buch hat vor vielen Jahrhunderten einem Magier namens Ralend von Kemori gehört, der vor der Einigung Elynes über einen Teil des Landes herrschte. Besucher verzeichneten Namen und Titel und den Zweck ihres Besuches in diesem Buch - obwohl die meisten Einträge von derselben Hand stammen, was den Verdacht nahe legt, dass ein Schreiber die Namen derer festgehalten hat, die selbst des Schreibens nicht mächtig waren. Auf einer Seite befindet sich ein Symbol, das diesem gleicht. Ich erinnere mich deshalb daran, weil es nicht von einer Feder stammt, sondern von einem Stempel. Und es war rot - verblasst, aber dennoch deutlich erkennbar. Daneben hatte der Schreiber die Worte: ›König von Charkan‹ notiert. Also ist es nicht unvernünftig zu denken, dass die Frau in dem Grab von demselben Ort stammte - die Glyphe hat große Ähnlichkeit mit dem Stempelabdruck. Aber wo liegt dieses Charkan?« Tayend lächelte breit und tippte auf die Karte. »Das ist ein alter Atlas, der Orrends Urgroßvater gehört hat. Sieh einmal genau hin.«

Dannyl nahm Tayend das Buch aus der Hand und beleuchtete es mit seiner Lichtkugel. Er brauchte nicht lange, um ein winziges Wort und eine Zeichnung direkt neben Tayends Finger zu entdecken.

»Shakan Dra«, las Dannyl laut vor.

»Wären dieser kleine Halbmond und die Hand nicht gewesen, wäre es mir vielleicht entgangen.«

Als Dannyl nun den Rest der Karte betrachtete, blinzelte er überrascht. »Das ist eine Karte von Sachaka.«

»Ja. Die Berge. Man kann es auf dieser Zeichnung nur schwer erkennen, aber ich würde zwanzig Goldmünzen darauf setzen, dass Shakan Dra in der Nähe der Grenze liegt. Dabei fällt mir unwillkürlich eine gewisse, nicht näher genannte Person ein, die vor einigen Jahren eine Reise in die Berge unternommen hat. Denkst du das Gleiche, was ich denke?«

Dannyl nickte. »Ja.«

»Ich vermute, dass wir ein neues Reiseziel haben.«

»Wir müssen trotzdem unserer geplanten Route folgen«, rief Dannyl ihm ins Gedächtnis. Der Gedanke, sich nach Sachaka zu begeben, behagte ihm nicht besonders. Eingedenk der Geschichte des Landes war durchaus zweifelhaft, ob die Einheimischen ihn willkommen heißen würden. »Außerdem gehört Sachaka nicht zu den Verbündeten Ländern.«

»Dieser Ort ist nicht weit von der Grenze entfernt. Nicht mehr als eine Tagesreise.«

»Ich weiß nicht, ob wir die Zeit erübrigen können.«

»Wir könnten unsere Rückkehr nach Capia ein klein wenig hinauszögern. Ich bezweifle, dass uns irgendjemand deswegen Fragen stellen würde.« Tayend ließ sich auf seinen Stuhl fallen.

»Einige Tage könnten wir vielleicht herausschinden.« Dannyl musterte seinen Freund eingehend. »Aber würde dir eine solche Verzögerung wirklich nichts ausmachen?«

Tayend zuckte die Achseln. »Nein. Warum auch?«

»Gibt es niemanden, der auf deine Rückkehr wartet?«

»Nein. Es sei denn, du meinst Irand, den Bibliothekar. Er wird sich aber keine Sorgen machen, wenn ich einige Tage später als erwartet zurückkomme.«

»Sonst niemand?«

Tayend schüttelte den Kopf.

»Hmm.« Dannyl nickte. »Dann hast du also niemanden besonders ins Auge gefasst, wie du auf Bel Arralades Fest behauptet hast?«

Der Gelehrte blinzelte überrascht, dann sah er Dannyl von der Seite an. »Ich habe dich neugierig gemacht, wie? Was ist, wenn ich sagen würde, dass niemand auf meine Rückkehr wartet, weil die betreffende Person nichts von meinem Interesse weiß?«

Dannyl kicherte. »Dann bist du also ein heimlicher Bewunderer.«

»Vielleicht.«

»Mir kannst du dein Geheimnis anvertrauen, Tayend.«

»Ich weiß.«

»Ist es Velend?«

»Nein!« Tayend warf ihm einen tadelnden Blick zu.

Erleichtert zuckte Dannyl die Achseln. »Ich habe ihn einige Male in der Bibliothek gesehen.«

»Ich versuche, ihn zu entmutigen«, sagte Tayend und schnitt eine Grimasse, »aber er denkt, ich täte es nur deshalb, weil ich um deinetwillen den äußeren Schein wahren will.«

Dannyl zögerte. »Halte ich dich davon ab, um die Person zu werben, an der du interessiert bist?«

Zu seiner Überraschung zuckte Tayend leicht zusammen. »Nein. Diese Person ist, $ah…«

Sie hörten ein Geräusch und drehten sich um. Mayrie kam mit einer Laterne auf sie zu. Der Klang ihrer Schritte ließ vermuten, dass sie unter ihrem Kleid schwere Stiefel trug.

»Ich dachte mir doch, dass ich euch hier finden würde«, sagte sie. »Hätte einer von euch vielleicht Lust, mich auf einem Spaziergang durch den Weingarten zu begleiten?«

Dannyl erhob sich. »Es wäre mir eine Ehre.« Er sah Tayend erwartungsvoll an, wurde jedoch enttäuscht, als dieser den Kopf schüttelte.

»Ich habe zu viel getrunken, liebste Schwester. Ich fürchte, ich würde dir nur auf die Zehen treten oder der Länge nach in die Reben fallen.«

Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Dann bleib, wo du bist, Trunkenbold. Botschafter Dannyl wird einen passenderen Begleiter abgeben.« Sie hakte sich bei Dannyl unter und führte ihn zum Weingarten hinüber.

Sie legten etwa hundert Schritte schweigend zurück, dann begann Mayrie, Dannyl nach den Leuten zu fragen, die er bei Hof kennen gelernt hatte. Schließlich warf sie ihm einen abschätzenden Blick zu.

»Tayend hat mir viel von Euch erzählt«, sagte sie, »wenn auch nicht von Eurer Arbeit. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es sich um eine geheime Angelegenheit handelt.«

»Wahrscheinlich möchte er Euch einfach nicht langweilen«, erwiderte Dannyl.

Sie sah ihn von der Seite an. »Wenn Ihr das sagt. Alles andere hat Tayend mir jedoch erzählt. Ich hätte nicht gedacht, dass ein kyralischer Magier so… nun, es erstaunt mich ein wenig, dass ihr Freunde geblieben seid.«

»Es scheint, dass wir als ziemlich intolerant gelten.«

Sie zuckte die Achseln. »Aber Ihr seid eine Ausnahme. Tayend hat mir von den Gerüchten erzählt, die Euch während Eurer Novizenzeit solche Scherereien eingetragen haben. Dieses Ereignis ist wahrscheinlich der Grund, warum Ihr verständnisvoller seid als die meisten anderen Magier.« Sie hielt inne. »Ich hoffe, es macht Euch nichts aus, wenn ich darüber rede?«

Dannyl schüttelte den Kopf und hoffte, dass es ihm gelang, unbefangen zu erscheinen. Es bereitete ihm jedoch beträchtliches Unbehagen, jemanden, den er gerade erst kennen gelernt hatte, so sachlich über seine private Vergangenheit reden zu hören. Aber dies war Tayends Schwester, rief er sich ins Gedächtnis. Tayend hätte ihr diese Dinge nicht erzählt, wenn er sie nicht für vertrauenswürdig hielte.

Sie hatten inzwischen das Ende des Weingartens erreicht. Mayrie wandte sich nach links und kehrte entlang der letzten Reihe von Reben zum Haus zurück. Dannyl bemerkte, dass Tayend nicht mehr auf der Veranda saß. Mayrie blieb stehen.