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Der Mann und die Frau, die auf der Bank ihm gegenüber saßen, waren entfernte Verwandte und Mitglieder desselben Hauses wie Lorlen. Er war mit ihrem ältesten Sohn, Walin, aufgewachsen, bevor er sich der Gilde angeschlossen hatte. Obwohl Walin jetzt in Elyne lebte, unternahm Lorlen immer noch gern gelegentlich einen Besuch bei den Eltern seines alten Freundes, vor allem dann, wenn Derrils Garten sich von seiner schönsten Seite zeigte.

»Barran macht sich recht gut«, bemerkte Velia, deren Augen im Schein der Fackeln glänzten. »Er ist davon überzeugt, dass man ihn nächstes Jahr zum Hauptmann befördern wird.«

»So bald schon?«, erwiderte Lorlen. »Er hat viel erreicht in den letzten fünf Jahren.«

Derril lächelte. »Das hat er allerdings. Es tut gut zu sehen, dass unser Jüngster zu einem so verantwortungsbewussten Mann herangewachsen ist - obwohl Velia ihn maßlos verwöhnt.«

»Ich verwöhne ihn überhaupt nicht mehr«, protestierte sie. »Aber ich werde sehr froh sein, wenn er nicht länger in den Straßen auf Patrouille gehen muss«, fügte sie hinzu. Ihr Lächeln war plötzlich wie weggewischt.

»Hmmm.« Derril sah seine Frau stirnrunzelnd an. »Da muss ich Velia Recht geben. Die Stadt wird von Jahr zu Jahr gefährlicher. Diese Morde in der letzten Zeit waren so schlimm, dass selbst der mutigste Mann des Nachts seine Türen verschließt.«

»Morde?«, hakte Lorlen nach.

»Habt Ihr etwa noch nichts davon gehört?« Derril zog die Augenbrauen hoch. »Das wundert mich. Schließlich herrscht in der Stadt große Aufregung deswegen.«

Lorlen schüttelte den Kopf. »Möglich, dass man mir davon erzählt hat, aber ich war in letzter Zeit vollauf mit den Ereignissen in der Gilde beschäftigt. Was die Angelegenheiten der Stadt betrifft, bin ich nicht auf dem Laufenden.«

»Ihr solltet zusehen, dass Ihr öfter mal aus Eurem Bau herauskommt«, meinte Derril missbilligend. »Es überrascht mich, dass diese Vorfälle nicht Euer Interesse erregt haben. Es heißt, es seien die schlimmsten Mordfälle, die die Stadt seit mehreren hundert Jahren erlebt hat. Velia und ich wissen durch Barran natürlich mehr darüber.«

Lorlen verkniff sich ein Lächeln. Derril fand großes Vergnügen daran, die »geheimen« Informationen weiterzugeben, die er von seinem Sohn erhielt. Und mehr noch, er genoss es, stets der Erste zu sein, der Neuigkeiten erfuhr. Wie sehr es ihn befriedigt haben musste, der Erste gewesen zu sein, der dem Administrator der Magiergilde von diesen Verbrechen berichtete! »Dann solltet Ihr mir besser mehr darüber erzählen - bevor noch jemand von meiner Unwissenheit erfährt«, erklärte Lorlen.

Derril beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Das Beängstigende an diesem Mörder ist, dass er eine Art Ritual vollzieht, wenn er seine Opfer tötet. Vor zwei Tagen ist eine Frau Zeugin eines dieser Morde gewesen. Sie hatte gerade in der Kleiderkammer zu tun gehabt, als sie hörte, dass ihr Dienstherr mit einem Fremden kämpfte. Als ihr klar wurde, dass die beiden ins Zimmer kommen würden, versteckte sie sich in einem Schrank. Sie sagte, der Fremde habe ihren Herrn gefesselt und dann ein Messer gezogen, um ihm das Hemd aufzuschneiden. Anschließend habe der Mann kleine Kratzer in den Körper seines Opfers geritzt, fünf auf jede Schulter.« Derril legte die Finger auf seine Schulter. »An diesen Schnittwunden erkennt die Garde, dass es sich immer um denselben Mörder handelt. Die Frau berichtete weiter, der Mörder habe die Finger auf die Schnittwunden gelegt und dabei eine Formel gemurmelt. Nachdem er seinen eigenartigen Gesang beendet hatte, habe er dem Mann die Kehle durchgeschnitten.«

Velia räusperte sich angeekelt und stand auf. »Entschuldigt mich, aber diese Geschichte macht mir Angst.« Sie eilte ins Haus.

»Die Dienerin hat noch mehr gesagt«, fügte Derril hinzu. »Ihrer Meinung nach war der Mann bereits tot, als der Mörder ihm die Kehle aufschlitzte. Barran sagt, die Schnittwunden an den Schultern des Mannes genügten nicht, um jemanden zu töten, und es gebe auch keine Hinweise auf Gift. Ich glaube, er ist zu dem Schluss gekommen, dass der Mann das Bewusstsein verloren haben muss. Ich selbst wäre gewiss halb tot gewesen vor Angst… Ist alles in Ordnung mit Euch, Lorlen?«

Lorlen zwang seine starren Gesichtsmuskeln zu einem Lächeln. »Ja«, log er. »Ich kann nur nicht fassen, dass ich bisher noch nichts von diesen Vorfällen gehört habe. Konnte die Frau den Mörder beschreiben?«

»Sie wusste nichts, was Barran weitergeholfen hätte. Sie meinte, sie habe kaum etwas sehen können, weil es dunkel war und sie durch ein Schlüsselloch schaute, aber der Mann habe dunkles Haar gehabt und sei schäbig gekleidet gewesen.«

Lorlen atmete tief durch. »Und er hat irgendwelche Formeln gemurmelt, sagt Ihr. Wie seltsam.«

Derril nickte. »Bevor Barran der Garde beigetreten ist, hatte ich keine Ahnung, dass es so viel Verdorbenheit auf der Welt gibt. Wozu manche Menschen doch imstande sind!«

Lorlen, der an Akkarin dachte, nickte. »Ich wüsste gern mehr über diese Angelegenheit. Würdet Ihr mich auf dem Laufenden halten, wenn Euch etwas Neues zu Ohren kommen sollte?«

Derril grinste. »Ich habe Euer Interesse geweckt, nicht wahr? Ihr sollt Eure Informationen haben!«

6

Ein unerwarteter Vorschlag

Rothen blickte überrascht auf, als Sonea den Raum betrat.

»Schon zurück?« Er besah sich ihre Robe. »Oh. Was ist passiert?«

»Regin.«

»Wieder einmal?«

»Andauernd.« Sonea warf ihr Notizbuch auf den Tisch. Sofort bildete sich eine kleine Wasserpfütze um das Buch herum. Sie schlug es auf und stellte fest, dass all ihre Aufzeichnungen durchweicht waren und die Tinte verlief. Stöhnend machte sie sich klar, dass sie alles noch einmal würde abschreiben müssen. Mutlos drehte sie sich um und ging in ihr Zimmer, um sich umzuziehen.

Am Eingang der Universität war Kano ihr plötzlich in den Weg gesprungen und hatte ihr eine Hand voll Essen ins Gesicht gedrückt. Daraufhin war sie zu dem Springbrunnen in der Mitte des Innenhofs gegangen, um sich zu waschen, aber als sie sich über das Becken gebeugt hatte, war ihr das Wasser entgegengeflutet und hatte sie bis auf die Haut durchnässt.

Seufzend öffnete sie ihren Kleiderschrank, nahm ein altes Hemd und eine Hose heraus und zog sie an. Dann las sie die durchweichte Robe vom Boden auf und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

»Lord Elben hat gestern etwas Interessantes gesagt.«

Rothen runzelte die Stirn. »Was denn?«

»Er meinte, ich sei der Klasse um mehrere Monate voraus - fast so gut wie die Novizen des Winterhalbjahres.«

Er lächelte. »Du hattest vor Beginn des Unterrichts etliche Monate Zeit zum Üben.« Sein Lächeln verblasste, als er ihre Kleider sah. »Es ist Vorschrift, dass Novizen zu jeder Zeit Roben tragen, Sonea. So kannst du unmöglich zum Unterricht gehen.«

»Ich weiß, aber ich habe keine sauberen Roben mehr. Tania wird mir heute Abend einige gewaschene Gewänder zurückbringen.« Sie hielt die tropfende Robe ein Stück von sich weg. »Es sei denn, Ihr könntet die hier für mich trocknen?«

»Das solltest du mittlerweile eigentlich selbst können.«

»Das kann ich auch, aber ich darf Magie nur dann benutzen, wenn…«

»…wenn ein Magier dich unterweist«, beendete Rothen den Satz. Er kicherte. »Diese Regel ist recht biegsam, Sonea. Im Allgemeinen gilt darüber hinaus Folgendes: Wenn ein Lehrer dich dazu anhält, das Gelernte zu üben, steht es dir frei, das auch außerhalb des Unterrichts zu tun, es sei denn, der Lehrer hätte es ausdrücklich verboten.«

Sie grinste und besah sich die Robe. Weißer Dunst stieg aus dem Stoff auf, während sie ihn erwärmte. Als die Robe trocken war, legte sie sie beiseite und nahm sich ein Kuchenstück, das von der Morgenmahlzeit übrig geblieben war.

»Ihr habt einmal gesagt, dass ein außergewöhnlich begabter Novize in eine höhere Klasse aufrücken dürfe. Was müsste ich tun, um das zu erreichen?«

Rothen zog die Augenbrauen hoch. »Du müsstest sehr viel arbeiten. Du magst in der Anwendung von Magie recht fortgeschritten sein, aber deine Kenntnisse und dein Verständnis der Dinge müssten sich deutlich verbessern.«