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Die Tür öffnete sich mit einem Klicken.

»Da ist Besuch für Euch, Lady Sonea«, sagte Tania mit angespannter Stimme.

Sonea wandte sich um und sah eine Frau in grünen Roben in der Tür zu ihrem Schlafzimmer stehen. Die Frau trug eine schwarze Schärpe um die Taille. Sonea sprang auf und verbeugte sich hastig.

»Lady Vinara.«

Sonea musterte das Oberhaupt der Heiler verstohlen. Es war schwer, die Stimmung der Frau einzuschätzen, da Vinaras Gesichtsausdruck stets streng und kalt wirkte. Jetzt schienen die grauen Augen der Frau sogar noch härter zu sein als gewöhnlich.

»Es ist schon ein wenig spät, um noch zu lernen«, bemerkte Vinara.

Sonea blickte auf ihr Schreibpult. »Ich versuche, auf den Stand der Winterklasse zu kommen.«

»Das habe ich gehört.« Vinara deutete auf die Tür, die daraufhin zufiel. Bevor sie sich schloss, konnte Sonea noch einen flüchtigen Blick auf Tanias ängstliches Gesicht werfen. »Ich möchte unter vier Augen mit dir sprechen.«

Sonea bedeutete Vinara, auf ihrem Stuhl Platz zu nehmen, und hockte sich selbst auf die Bettkante. Während sie zusah, wie Lady Vinara sich setzte und ihre Roben glatt strich, krampfte sich ihr Magen vor Furcht zusammen.

»Sind dir die Gerüchte über dich und Lord Rothen bekannt?«

Sonea nickte.

»Ich bin hier, um mit dir darüber zu sprechen. Du musst ehrlich zu mir sein, Sonea. Dies ist eine ernsthafte Angelegenheit. Ist irgendetwas Wahres an den Gerüchten?«

»Nein.«

»Lord Rothen hat dir keine ungehörigen Vorschläge gemacht?«

»Nein.«

»Er hat dich nicht… in irgendeiner Weise berührt?«

Sonea spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. »Nein. Niemals. Es ist lediglich ein dummes Gerücht. Rothen hat mich niemals angerührt, ebenso wenig wie ich ihn. Es macht mich krank, die Leute darüber reden zu hören.«

Vinara nickte langsam. »Ich bin froh, das zu hören. Vergiss nicht, wenn du irgendeinen Grund hast, Angst zu haben, oder wenn du in irgendeiner Weise bedrängt wurdest, brauchst du nicht hier zu bleiben. Wir werden dir helfen.«

Sonea schluckte ihre Wut herunter. »Vielen Dank, aber hier passiert nichts Ungehöriges.«

Vinaras Augen wurden schmal. »Eines solltest du wissen. Falls sich diese Gerüchte als wahr erweisen sollten und du eine willfährige Komplizin warst, würde das dein Ansehen in der Gilde schwer beschädigen. In jedem Fall würdest du Rothen als Mentor verlieren.«

Natürlich. Das wäre Wasser auf Regins Mühlen gewesen. Vielleicht hatte er genau das von Anfang an zu erreichen versucht. Sonea knirschte mit den Zähnen. »Wenn es so weit kommen sollte, kann Lorlen mich abermals einer Wahrheitslesung unterziehen.«

Vinara richtete sich auf und wandte den Blick ab. »Wollen wir hoffen, dass es nicht so weit kommt.« Sie spitzte die Lippen. »Nun, es tut mir Leid, dass ich diese delikate Angelegenheit mit dir erörtern musste. Es ist meine Pflicht, solchen Dingen nachzugehen. Wenn du über irgendetwas sprechen möchtest, kannst du jederzeit zu mir kommen.« Sie erhob sich und unterzog Sonea einer kritischen Musterung. »Du bist erschöpft, junge Dame. Wenn du zu viel lernst, wirst du krank werden. Sieh zu, dass du ein wenig Schlaf bekommst.«

Sonea nickte. Sie sah Lady Vinara nach, als diese aus dem Raum glitt, dann wartete sie, bis sie Tania die Haupttür zu Rothens Quartier schließen hörte. Erst dann drehte sie sich um und hämmerte mit den Fäusten auf ihr Kissen ein.

»Ich würde ihn am liebsten umbringen!«, knurrte sie. »Ich möchte ihn in den Tarali werfen, mit Steinen an den Füßen, damit niemand jemals seine Leiche findet.«

»Lady Sonea?«

Beim Klang der furchtsamen Stimme blickte Sonea auf und schüttelte sich ihr wirres Haar aus den Augen. »Ja, Tania?«

»W-wen wollt Ihr umbringen?«

Sonea warf das Kissen zurück auf ihr Bett. »Regin natürlich.«

»Ah.« Tania hockte sich neben sie. »Einen Moment lang habt Ihr mir wirklich Angst gemacht. Sie haben mich auch befragt. Ich habe die Geschichte natürlich nicht geglaubt, aber sie haben mir erklärt, auf welche Dinge ich Acht geben müsse, und… nun ja… ich…«

»Keine Sorge, Tania«, seufzte Sonea. »Es gibt nur einen Mann in der Gilde, der jemals so etwas bei mir versucht hat.«

Die Augen der Dienerin weiteten sich. »Wer?«

»Regin natürlich.«

Tania zog die Brauen zusammen. »Wie seid Ihr damit fertig geworden?«

Bei der Erinnerung an den Zwischenfall musste Sonea lächeln. »Ich habe nur einen kleinen Trick angewandt, den ich von Cery gelernt habe.« Sie stand auf und begann zu erzählen.

Es war bereits spät, als Lorlen in sein Büro in der Universität zurückkehrte. Früher am Tag hatte Lord Osen, sein Assistent, ihm eine kleine Schachtel mit Post gebracht. Lorlen hatte gesehen, dass sich unter den Briefen auch ein kleines Päckchen aus Elyne befand. Er hatte es beiseite gelegt, um es später zu lesen.

Jetzt ließ er seine Lichtkugel ein wenig heller leuchten, während er das Päckchen öffnete und anerkennend Dannyls elegante Handschrift betrachtete. Die Schrift des jungen Mannes verriet Selbstbewusstsein und Ordnungsliebe. Lorlen lehnte sich in seinem Sessel zurück und begann zu lesen.

An Administrator Lorlen.

Vor einer Woche habe ich zum ersten Mal die Große Bibliothek aufgesucht, und seither bin ich jeden Abend dorthin zurückgekehrt, um meine Nachforschungen fortzusetzen. Irand, der Bibliothekar, hat mir denselben Gelehrten zugewiesen, der seinerseits dem Hohen Lord zur Hand gegangen ist: Tayend von Tremmelin. Dieser Mann kann sich ungewöhnlich gut an die Besuche des Hohen Lords erinnern, und ich habe beträchtliche Fortschritte gemacht.

Tayend zufolge trug der Hohe Lord ein Tagebuch bei sich, in das er sich Notizen machte, Passagen aus Büchern abschrieb und Karten zeichnete. Unter Anleitung des Gelehrten habe ich inzwischen die Hälfte der Quellen gelesen, die der Hohe Lord damals zu Rate zog, und viele nützliche Einzelheiten kopiert, einschließlich all der Dinge, an denen der Hohe Lord Tayend zufolge Interesse gezeigt hat.

Es gibt mehrere Themen, denen ich weiter nachgehen könnte, ebenso wie der Hohe Lord es getan hat. Die meisten machen eine Reise zu einem Grab, einem Tempel oder einer Bibliothek in den Verbündeten Ländern erforderlich. Wenn ich mit der Lektüre der hiesigen Quellen fertig bin, sollte ich über alle Möglichkeiten Bescheid wissen, die der Hohe Lord in Betracht gezogen hat. Danach werde ich meine Wahl treffen, welchem Problem ich nachgehen will.

Um mir bei der Entscheidung zu helfen, ist Tayend am Hafen gewesen, wo seit vielen Jahren Aufzeichnungen über alle Reisenden geführt werden, die dort ankommen oder abfahren. Er hat einen Hinweis auf einen Lord Akkarin gefunden, der vor über zehn Jahren hier angekommen und einige Monate später nach Lonmar gereist ist. Später kam er dann nach Capia zurück, um mit einem anderen Schiff zu den Inseln von Vin zu fahren. Einen Monat darauf ist er dann wieder in Capia angelandet. Weitere Einträge gab es nicht.

Im Hinblick auf die Informationen, die ich zusammengetragen habe, ist es wahrscheinlich, dass der Hohe Lord den Prächtigen Tempel in Lonmar besucht hat. Ich habe meine Notizen kopiert und lege sie diesem Brief bei.

Dannyl, zweiter Botschafter der Gilde in Elyne

Lorlen legte den Brief beiseite und blätterte Dannyls Notizen durch. Sie waren klar und sauber geschrieben, und sie gaben Informationen aus Zeitaltern vor der Gründung der Gilde wieder. Auf der letzten Seite hatte Dannyl schließlich noch eine kleine Bemerkung festgehalten.

Ich habe ein Buch über den sachakanischen Krieg entdeckt, das kurz nach den Geschehnissen geschrieben wurde. Es ist insofern bemerkenswert, als es die Gilde als Feind porträtiert - und es zeichnet ein wenig schmeichelhaftes Bild! Nach Vollendung meiner jetzigen Aufgabe werde ich in die Bibliothek zurückkehren, um dieses Buch zu lesen.

Lorlen lächelte. Wenn er gewusst hätte, dass Dannyl sich so gut auf Nachforschungen verstand, hätte er ihn schon früher eingesetzt. Obwohl Dannyl bisher nichts entdeckt hatte, was sich gegen Akkarin verwenden ließ, hatte er doch in kurzer Zeit viele Informationen zusammengetragen. Lorlens Hoffnung, dass sie auf nützliche Hinweise stoßen würden, hatte neue Nahrung gefunden.