Es waren auch keine peinlichen Fragen gestellt worden. Wie er gehofft hatte, war Dannyl vernünftig genug, um die Angelegenheit vertraulich zu behandeln, obwohl er den Grund für die Heimlichkeit nicht kannte. Wenn Dannyl tatsächlich etwas entdeckte, das in ihm den Verdacht weckte, Akkarin könnte schwarze Magie erlernt haben, war Lorlen zuversichtlich, dass der junge Magier ihm auch diese Information zukommen lassen würde, ohne Aufsehen zu erregen.
Und was dann? Lorlen schürzte die Lippen und dachte nach. Wahrscheinlich würde er Dannyl die Wahrheit sagen müssen. Aber er vertraute darauf, dass der junge Magier zu dem gleichen Schluss kommen würde wie er: Es war unklug, Akkarin zur Rede zu stellen, bevor sie dies ohne Risiko tun konnten. Auch die Tatsache, dass Rothen und Sonea sich mit diesem Plan einverstanden erklärt hatten, würde dazu beitragen, Dannyls Stillschweigen zu gewährleisten.
Aber er hielt es dennoch für besser, Dannyl so lange wie möglich im Unklaren über seine Beweggründe zu lassen. Lorlen nahm ein Blatt Papier zur Hand und setzte einen Brief an den ersten Botschafter der Gilde auf. Er versiegelte ihn sorgfältig, adressierte ihn an das Gildehaus in Elyne und legte ihn dann in eine andere Schachtel auf seinem Schreibtisch. Lord Osen würde ihn morgen einem Kurier übergeben.
Schließlich erhob sich Lorlen und verstaute Dannyls Brief zusammen mit den Notizen in einer Schatulle, in der er wichtige Dokumente aufbewahrte. Er verstärkte die magische Barriere, die es anderen unmöglich machte, die Schatulle zu öffnen, und legte sie in einen Schrank hinter seinem Schreibtisch. Als er den Raum verließ, gestattete er sich ein schwaches Lächeln.
Akkarin hatte Recht, als er sagte, dass ich den richtigen Mann für die Position des zweiten Botschafters der Gilde in Elyne gewählt hätte.
9
Zukunftspläne
Könntest du mir eine schlichtere Bürste besorgen?«, fragte Sonea und hielt ihre silberne Haarbürste in die Höhe.
»Oh, die wollt Ihr auch nicht?« Tania seufzte. »Wollt Ihr denn gar nichts Hübsches mitnehmen?«
»Nein. Nichts Wertvolles und nichts, was mir gefällt.«
»Aber Ihr lasst so viele Dinge zurück - wie wäre es denn mit einer schönen Vase? Ich werde Euch ab und zu Blumen bringen. Ein Raum sieht mit Blumen gleich so viel hübscher aus.«
»Ich bin weit Schlimmeres gewohnt, Tania. Wenn ich eine Möglichkeit gefunden habe, meine Sachen zu verstecken oder zu schützen, werde ich vielleicht zurückkommen und mir einige der Bücher holen.« Sonea betrachtete den Inhalt eines Koffers, der auf ihrem Bett lag. »Das ist alles.«
Tania sah sie unglücklich an, dann griff sie nach dem Koffer und trug ihn aus dem Raum. Sonea, die ihr folgte, fand Rothen im Empfangszimmer. Er hatte die Stirn gefurcht, und als er sie erblickte, kam er auf sie zu und ergriff ihre Hände.
»Es tut mir Leid, Sonea«, begann er. »Ich…«
»Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, Rothen«, unterbrach sie ihn. »Ich weiß, Ihr habt getan, was Ihr konntet. Und jetzt sollte ich besser gehen.«
»Aber das ist doch Unsinn. Ich könnte…«
»Nein.« Sie sah ihm fest in die Augen. »Ich muss gehen. Wenn ich es nicht tue, wird Regin dafür sorgen, dass man Beweise findet. Und er könnte es immer noch versuchen, wenn sein Ziel darin besteht, mich Eurem Schutz als meinem Mentor zu entziehen. Dann dürfen die Lehrer mich ignorieren, und ich werde nichts dagegen ausrichten können.«
Wieder runzelte er die Stirn. »Daran habe ich nicht gedacht«, murmelte er finster. »Es ist nicht richtig, dass ein Novize so viel Ärger machen kann.«
Sie lächelte. »Nein, aber er wird mich nicht daran hindern, ihn zu überflügeln, nicht wahr? Wir werden weiterarbeiten.«
Rothen nickte. »Allerdings.«
»Dann treffe ich Euch in einer Stunde vor der Magierbibliothek?«
»Ja.«
Sie drückte kurz seine Hände, dann gab sie Tania ein Zeichen. Die Dienerin hob den Koffer vom Boden auf und trug ihn zur Tür. Sonea folgte ihr, dann drehte sie sich noch einmal um und schenkte Rothen ein Lächeln.
»Ich werde schon zurechtkommen, Rothen.«
Rothen brachte seinerseits ein dünnes Lächeln zustande. Schließlich wandte Sonea sich ab und ging zusammen mit Tania den Flur hinunter.
Für einen Freitagmorgen herrschte in den Magierquartieren ungewöhnlicher Betrieb. Sonea ignorierte die Blicke der Magier, an denen sie vorbeikam, wohl wissend, dass es ihr schwer fallen würde, ihren Zorn zu verbergen, wenn sie sie ansah. Mit halbem Ohr hörte sie Tania etwas über Ungerechtigkeit murmeln, bat sie jedoch nicht, ihre Bemerkung zu wiederholen.
Ihre tapferen Worte Rothen gegenüber waren nur Fassade gewesen, denn sie wusste sehr wohl, dass es für sie, sobald sie erst einmal im Novizenquartier wohnte, kein Entrinnen vor Regin mehr geben würde. Sie konnte ihre Zimmertür mit Magie verschließen - Rothen hatte es ihr beigebracht -, aber sie war davon überzeugt, dass Regin irgendeine Möglichkeit finden würde, sie zu schikanieren. Und sie konnte nicht die ganze Zeit über in ihrem Zimmer bleiben.
Dies war seine Rache, weil sie sein Haus geschmäht hatte. Sie hätte ihn zu Boden werfen und es dabei belassen sollen. Aber stattdessen hatte sie ihn beleidigt, und er hatte Vergeltung gesucht. So viel zu ihrer Hoffnung, sie brauche ihn nur zu ignorieren, damit er den Gefallen an der ganzen Angelegenheit verlor und sie in Ruhe ließ.
Jetzt waren es nicht nur die Novizen, die in den Fluren ihren Namen murmelten. Sie hatte genug von den geflüsterten Gesprächen der Magier aufgefangen, um zu wissen, was sie von ihr dachten. Im Grunde interessierte es niemanden, wer das Gerücht in Umlauf gebracht hatte oder warum. »Gerüchte dieser Art sollten überhaupt nicht erst entstehen«, hatte ein Lehrer dazu bemerkt. Ihr Zusammenleben mit Rothen wirkte verdächtig, vor allem wenn man ihre Vergangenheit in Betracht zog. Als sei jede Frau in den Hüttenvierteln eine Hure!
Außerdem stellten sich viele Leute die Frage, warum sie anders behandelt werden sollte als die übrigen Novizen. Sie mussten in den Novizenquartieren leben, und das Gleiche sollte für Sonea gelten.
Sonea trat aus dem Magierquartier in den Innenhof hinaus. Die drückende Hitze des Hochsommers war vorüber, und der Tag war angenehm warm. Sie konnte die schwache Wärme spüren, die aus den Pflastersteinen aufstieg.
Sie war noch nie zuvor in den Novizenquartieren gewesen. Nur ein einziges Mal, in jener Nacht vor so langer Zeit, als sie und Cery in der Gilde umhergestreift waren, hatte sie durch die Fenster gespäht und die Räume dahinter gesehen. Sie waren klein, schlicht und schmucklos gewesen.
Etliche Novizen standen in Gruppen vor dem Eingang. Als Sonea näher kam, unterbrachen sie ihre Gespräche, und einige von ihnen steckten die Köpfe zusammen. Sonea warf ihnen einen gleichgültigen Blick zu, dann trat sie durch die offenen Türen.
In dem Gebäude selbst stieß sie auf weitere Novizen und widerstand dem Drang, nach vertrauten Gesichtern Ausschau zu halten. Tania ging auf eine Tür auf der rechten Seite zu und klopfte an.
Während sie warteten, beobachtete Sonea aus den Augenwinkeln die Novizen im Flur und fragte sich, wo Regin sein mochte. Er würde sich diesen kleinen Augenblick des Triumphs gewiss nicht entgehen lassen.
Die Tür wurde geöffnet, und ein dünner Krieger mit scharfen Gesichtszügen erschien vor Sonea. Sie verneigte sich und rief sich noch einmal all die Klagen ins Gedächtnis, die ihr über den Leiter der Novizenquartiere zu Ohren gekommen waren. Ahrind war allgemein unbeliebt.
»Ah, da bist du ja«, sagte er kalt. »Folge mir.«
Als er den Flur hinuntereilte, gingen die Novizen ihm sorgfältig aus dem Weg. Nach einigen Schritten blieb er stehen, und eine Tür öffnete sich. Dahinter lag ein Raum, der ebenso schlicht und klein war wie die, an die sie sich erinnern konnte.