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Der einzige Elyner in der Klasse, Yalend, verbrachte seine Zeit mit einem ausgesprochen redseligen Jungen aus Vin namens Seno. Hal, der Junge aus Lan mit den starren Gesichtszügen, und sein kyralischer Freund Benon bildeten ein weiteres Paar. Obwohl sie ruhiger waren als die Jungen in Regins Klasse, konnten diese vier dennoch endlos über Pferderennen reden, oder sie gaben höchst unwahrscheinliche Geschichten über Mädchen bei Hof zum Besten und benahmen sich ganz allgemein so, als hätten sie das Ende ihrer Kindheit noch nicht erreicht.

Was auch keineswegs der Fall war, wie Sonea langsam begriff. Die Kinder in den Hüttenvierteln wurden schnell erwachsen, weil ihnen nichts anderes übrig blieb. Diese Novizen dagegen waren ihr Leben lang verwöhnt worden und hatten weniger Grund, sich mit dem Erwachsenwerden zu beeilen als ihre Brüder und Schwestern außerhalb der Gilde.

Bis zu ihrem Abschluss waren sie frei von familiären Verantwortungen; sie mussten sich noch nicht bei Hof präsentieren, sie brauchten nicht zu heiraten oder den jeweiligen »Interessen« nachzugehen, aus denen ihre Familien ihr Einkommen bezogen. Durch ihren Beitritt zur Gilde verlängerten sie ihre Kindheit um weitere fünf Jahre.

Obwohl Poril ein Jahr älter war als die anderen, war er mitunter der kindischste aller Novizen. Seine Freundlichkeit schien durchaus echt zu sein, aber Sonea hatte den Verdacht, dass er froh darüber war, nicht länger der Novize mit dem geringsten gesellschaftlichen Ansehen zu sein.

Zu ihrer Überraschung und Erleichterung hatte Regin sie seit ihrem Wechsel in die nächsthöhere Klasse in Ruhe gelassen. Sie sah ihn zwar jeden Tag im Speisesaal und begegnete ihm vor dem Unterricht bisweilen in den Fluren, aber er versuchte nicht mehr, sie zu schikanieren. Selbst das Gerücht über ihre Beziehung zu Rothen war in Vergessenheit geraten. Die Lehrer beobachteten sie nicht mehr voller Argwohn, und sie hörte auch nur noch selten, dass jemand in ihrer Nähe Rothens Namen flüsterte.

»Wenn ich nur wüsste, nach welchen Teilen sie uns fragen wird«, jammerte Poril. »Wahrscheinlich nach den großen - und nach einigen von den kleineren.«

Sonea zuckte die Achseln. »Verschwende deine Zeit nicht damit zu raten, was sie fragen wird. Es wird dich nicht weniger Mühe kosten, als gleich alles auswendig zu lernen.«

Ein Gong ertönte. Durch die Bäume hindurch konnte Sonea sehen, wie die anderen Novizen widerstrebend ihre Habseligkeiten einsammelten und auf die Universität zustrebten. Genau wie sie hatten Sonea und Poril die Mittagspause draußen verbracht, um die seltene Wärme eines sonnigen Herbsttages zu genießen. Jetzt stand sie auf und reckte sich.

»Lass uns nach dem Unterricht in die Bibliothek gehen und lernen.«

Poril nickte. »Wenn du willst.«

Als sie ihr Klassenzimmer erreichten, hatten die anderen Novizen bereits Platz genommen. Als Sonea sich hinsetzte, trat Lord Skoran ein.

Der Magier legte einen kleinen Stapel Bücher auf sein Pult, räusperte sich und wandte sich den Novizen zu. Dann wurde er von einer Bewegung an der Tür abgelenkt. Alle Schüler drehten sich um, als drei Personen den Raum betraten. Als Sonea Regin unter ihnen entdeckte, überlief sie ein Schaudern böser Vorahnung.

Rektor Jerrik sah sich im Raum um. Als sein Blick den ihren traf, runzelte er kurz die Stirn, bevor er auf den Novizen an seiner Seite deutete.

»Regin ist es gelungen, die Halbjahresprüfungen abzulegen.« In Jerriks normalerweise strenger Stimme schwang ein widerstrebender Unterton mit. »Ich habe ihn in Eure Klasse aufrücken lassen.«

Soneas Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Die Magier redeten noch immer, aber sie konnte sich nicht auf die Worte konzentrieren. Sie hatte das Gefühl, als hätte sich eine unsichtbare Hand mit eisernem Griff um ihren Oberkörper gelegt. Ihr Herzschlag wurde immer lauter, bis er wie ein Donnern in ihren Ohren klang.

Dann fiel ihr wieder ein, dass sie weiteratmen musste.

Plötzlich benommen, schloss sie die Augen. Als sie sie wieder öffnete, hatte Regin sein bezauberndstes Lächeln aufgesetzt. Er blickte von den anderen Novizen zu Sonea hinüber. Obwohl sich kein Muskel in seinem Gesicht zu regen schien, hatte seine Miene sich vollkommen verändert.

Sonea wandte den Blick ab. Das ist unmöglich. Wie kann er so schnell aufgeholt haben? Er muss gemogelt haben.

Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, wie er die Lehrer täuschen und ihre Prüfungen hätte bestehen sollen. Das ließ nur einen Schluss zu. Er musste kurz nach ihr angefangen haben, zusätzliche Unterrichtsstunden zu nehmen - wahrscheinlich hatte er damit begonnen, sobald er erfahren hatte, was sie zu tun beabsichtigte. Und er hatte es im Geheimen getan, höchstwahrscheinlich mit Hilfe seines Mentors.

Aber warum? All seine Freunde waren in der anderen Klasse. Vielleicht glaubte er, dass er auch hier eine Schar von Bewunderern um sich würde versammeln können. Eine schwache Hoffnung stieg in Sonea auf. Selbst ihm dürfte es kaum gelingen, in die Freundschaften einzudringen, die sich in dieser Klasse entwickelt hatten. Es sei denn…

Wie sie Regin kannte, hatte er gewiss rechtzeitig versucht, sich mit den Novizen seiner neuen Klasse anzufreunden. Er würde dafür gesorgt haben, dass man ihn gut aufnahm.

Als Sonea in die Runde blickte, sah sie zu ihrer Überraschung, dass Narron Regin mit einem Stirnrunzeln betrachtete. Der Junge schien nicht übermäßig erfreut über Regins Erscheinen zu sein. Dann erinnerte sie sich an etwas, das man ihr gleich zu Anfang ihrer Zeit in dieser Klasse erzählt hatte: Diese Novizen verschwendeten keine Zeit darauf, »herumzuspielen«.

Also hatte sich Regin vielleicht noch nicht mit ihren neuen Klassenkameraden angefreundet. Und doch hatte er sich eine Menge Mühe gemacht, um aufzusteigen.

Vielleicht konnte er es einfach nicht ertragen, von einem Hüttenmädchen überflügelt zu werden. Fergun war bereit gewesen, ein hohes Risiko einzugehen, nur damit sie aus der Gilde verbannt wurde, weil er keine Mitglieder der unteren Klassen unter den Magiern sehen wollte. Ihr Erfolg oder Misserfolg während der Ausbildung würde mit darüber entscheiden, ob die Gilde jemals wieder Kinder von außerhalb der Häuser aufnehmen würde. Und wenn Regin nun versuchte, sie beim Lernen zu behindern, damit sie scheiterte und man nie wieder Bewerber aus den unteren Klassen aufnahm?

Dann sollte ich besser dafür sorgen, dass er keinen Erfolg hat!

Sie war ihm einmal entkommen, und sie konnte es abermals tun, indem sie noch härter arbeitete und in die nächsthöhere Klasse aufstieg.

Doch noch bevor sie diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, wusste sie, dass es unmöglich war. Sie hatte jeden Abend und jeden Freitag benötigt, um den Lehrstoff von sechs Monaten in der Hälfte der Zeit zu bewältigen, und es lag noch immer eine Menge Arbeit vor ihr, bis sie die anderen Novizen in ihrer Klasse endgültig eingeholt hatte. Sie hatte keine Zeit, auch noch das Pensum der Schüler im zweiten Jahr zu bewältigen.

Vielleicht war es besser, ihn glauben zu lassen, er habe den Sieg davongetragen. Wenn er glaubte, dass sie ihm unterlegen sei, würde er sie in Ruhe lassen. Sie brauchte nicht die beste Novizin ihres Jahrgangs zu sein, um zu beweisen, dass auch Schüler von außerhalb des Hauses als Magier Erfolg haben konnten.

Wenn sie sich in die erste Klasse zurückfallen ließ, würde Regins Stolz es ihm gewiss verbieten, ihr zu folgen. Diesen Gedanken tat sie allerdings noch schneller ab als den ersten. Die Sommerklasse stand noch immer unter Regins Einfluss, selbst wenn er sie verlassen hatte. Ihre gegenwärtigen Mitschüler hatten sich zumindest nicht gegen sie verschworen …

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass seit einiger Zeit nur noch Lord Skorans dünne, zittrige Stimme im Raum zu hören gewesen war.