Cery schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »Hör auf damit! Du machst mich neidisch. Könntest du ihn vielleicht zuerst erschöpfen? Dann würde ich ihn anschließend ordentlich weich klopfen.«
Sonea lachte. »Nein, Cery.«
»Warum nicht? Ist er stärker als du?«
»Das weiß ich nicht.«
»Was dann?«
Sie wandte den Blick ab. »Es lohnt die Mühe nicht. Was du auch tun würdest, er würde sich am Ende an mir rächen.«
Cery wurde schlagartig ernst. »Er hat sich anscheinend schon recht gut mit dir amüsiert. Es sieht dir gar nicht ähnlich, dich mit so etwas abzufinden. Kämpfe gegen ihn, Sonea. Es klingt so, als hättest du nichts zu verlieren.« Seine Augen wurden schmal. »Ich könnte es nach Art der Diebe erledigen.«
Sie sah ihn scharf an. »Nein.«
Er rieb sich die Hände. »Er verletzt meine Leute, ich verletze seine.«
»Nein, Cery.«
Ein geistesabwesender Ausdruck war in seine Züge getreten, und er schien ihr nicht länger zuzuhören. »Keine Sorge, ich werde seine Leute nicht töten oder den schwächeren unter ihnen etwas antun, ich werde lediglich einigen Männern seiner Familie ein wenig Angst machen. Irgendwann wird Regin schon begreifen, was dahintersteckt, denn seine Leute werden jedes Mal, wenn er dir etwas angetan hat, Besuch von einem Boten bekommen.«
Sonea schauderte. »Du solltest darüber keine Witze machen, Cery. Es ist nicht komisch.«
»Ich habe auch keine Witze gemacht. Er würde es nicht wagen, dir auch nur ein Haar zu krümmen.«
Sie packte ihn am Arm und drehte ihn zu sich um. »Wir sind hier nicht in den Hüttenvierteln, Cery. Wenn du glaubst, Regin mit solchen Dingen einschüchtern zu können, dann irrst du dich. Du würdest ihm nur in die Hände spielen. Wenn du seiner Familie etwas zuleide tätest, wäre das ein weit schwereres Vergehen als seine Gemeinheiten mir gegenüber. Ich hätte dann meine Beziehungen zu den Dieben benutzt, um der Familie eines anderen Novizen Schaden zuzufügen. Dafür würde man mich vielleicht aus der Gilde werfen.«
»Beziehungen zu den Dieben.« Cerys Nase zuckte. »Ich verstehe.«
»Ach, Cery.« Sonea schnitt eine Grimasse. »Ich weiß es zu schätzen, dass du mir helfen willst. Wirklich.«
Er blickte finster ins Gebüsch. »Dann kann ich also nichts tun, damit er dich in Ruhe lässt?«
»Nein.« Sie lächelte. »Aber es macht Spaß, darüber nachzudenken, Regin ins Meer zu werfen oder ein Haus über ihm einstürzen zu lassen.«
Cerys Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Das ist wahr.«
»Und ich bin froh darüber, dass du vorbeigekommen bist. Ich habe dich nicht mehr gesehen, seit mein Studium hier begonnen hat.«
»Ich hatte viel zu tun«, sagte er. »Hast du von den Morden gehört?«
Sonea runzelte die Stirn. »Nein.«
»Es hat ziemlich viele gegeben in letzter Zeit. Und sie waren sehr merkwürdig. Die Garde hält Ausschau nach dem Mörder, was allen Unannehmlichkeiten bereitet, deshalb wollen die Diebe, dass er gefunden wird.« Er zuckte die Achseln.
»Hast du Jonna und Ranel mal gesehen?«
»Den beiden geht es gut. Und dein kleiner Vetter ist gesund und kräftig. Wirst du sie bald einmal besuchen? Sie haben gesagt, du seist schon lange nicht mehr bei ihnen gewesen.«
»Ich werde es versuchen. Ich habe nicht viel Zeit, weil ich so viel lernen muss.« Sie griff in ihre Tasche und zog das Päckchen heraus. »Ich möchte, dass du ihnen das hier gibst.« Sie drückte es ihm in die Hand.
Er betastete es, dann sah er sie überrascht an. »Münzen?«
»Etwas von meinem Taschengeld. Sag ihnen, es sei ein kleiner Teil ihrer Steuern, der einer besseren Verwendung zugeführt werde - und wenn Jonna es trotzdem nicht annehmen will, gib es Ranel. Er ist nicht so stur wie sie.«
»Aber warum soll ich es ihnen überbringen?«
»Weil ich nicht möchte, dass irgendjemand hier davon erfährt. Nicht einmal Rothen. Er hätte sicher nichts dagegen, aber…« Sie zuckte die Achseln. »Gewisse Dinge möchte ich eben für mich behalten.«
»Und mir vertraust du?«
Sie lächelte und drohte ihm spielerisch mit dem Finger. »Ich weiß genau, wie viel da drin ist.«
Cery schob die Unterlippe vor. »Als würde ich einen Freund bestehlen.«
Sie lachte. »Nein, das würdest du nicht. Nur alle anderen.«
»Sonea!«, erklang eine Stimme.
Sie blickten auf. Lord Ahrind stand vor dem Novizenquartier und hielt offenkundig nach ihr Ausschau. Sonea erhob sich, und der Magier entdeckte sie. Er bedeutete ihr mit einer herrischen Geste, ins Haus zu kommen.
»Ich sollte jetzt besser gehen«, sagte sie.
Cery schüttelte den Kopf. »Es ist seltsam, zu hören, wie du sie ›Mylord‹ nennst und nach ihrer Pfeife tanzt.«
Sie schnitt eine Grimasse. »Als würdest du nicht das Gleiche tun, wenn Faren dir etwas befiehlt. Ich weiß zumindest, dass in fünf Jahren ich diejenige sein werde, die alle anderen herumkommandiert.«
Ein seltsamer Ausdruck erschien auf Cerys Gesicht. Er lächelte und scheuchte sie davon. »Geh nur. Geh zurück zu deinen Büchern. Ich werde versuchen, bald wieder vorbeizukommen.«
»Ich verlasse mich darauf.«
Widerstrebend machte sich Sonea auf den Weg zum Novizenquartier. Lord Ahrind beobachtete sie mit verschränkten Armen.
»Und sag diesem Jungen, dass ich ihm die Knochen brechen werde, wenn er dich nicht in Ruhe lässt«, rief Cery ihr nach, gerade laut genug, dass sie ihn hören konnte.
Sie drehte sich noch einmal zu ihm um und grinste ihn an. »Ich werde es selbst tun, wenn er es zu weit treibt. Versehentlich natürlich.«
Er nickte anerkennend und winkte ihr zu. Als sie das Novizenquartier erreicht hatte und sich nach ihm umsah, stand er noch immer neben der Bank. Sie hob die Hand zum Gruß, und er machte eine flinke Geste, die Teil der Zeichensprache der Straße war. Sie lächelte, dann ließ sie sich von Lord Ahrind durch die Tür schieben.
13
Diebin!
Der Anblick des Himmels raubte Sonea schier den Atem. Er war von einem leuchtenden, blassen Blau, durchzogen von orangefarbenen Wolken. Und hinter Sarikas Hügel ging die Sonne auf.
Sie genoss diese frühen Stunden des Tages, da noch alles still und friedlich war. Jetzt, da der Winter nahte, wurde es jeden Tag ein wenig später hell, und heute konnte sie den Sonnenaufgang endlich einmal mit ansehen.
Als sie durch den Speisesaal ging, blinzelten ihr einige gähnende Diener zu, und einer von ihnen packte ihr wortlos ein wohlschmeckendes Brötchen ein. Die Diener hatten sich daran gewöhnt, dass sie zu allen Tageszeiten dort auftauchte. Vom Speisesaal aus ging sie weiter zu den Bädern. Dieses Gebäude war, wie sie bald herausgefunden hatte, das sicherste in der ganzen Gilde. Männer und Frauen wurden strikt voneinander getrennt, und weder Issle noch Bina hatten je versucht, sie dort zu stören. Außerdem hielt sich fast immer eine der Magierinnen dort auf, um zu baden, so dass sie verhältnismäßig sicher vor bösen Streichen war.
Regin hatte schnell begriffen, dass er seine neuen Klassenkameraden nicht beeindrucken konnte, indem er Sonea schikanierte. Wie sie gehofft hatte, war es ihm auch nicht gelungen, sie als getreue Gefolgsleute um sich zu scharen, und sein Versuch, sich mit Poril anzufreunden, war auf geradezu komische Weise gescheitert, da der Junge voller Angst und Ungläubigkeit vor ihm zurückgeprallt war.
Wenn die Novizen in der Mittagspause in den Speisesaal gingen, gesellte sich Regin stets zu seiner früheren Klasse. Wahrscheinlich wollte er seine alten Freunde nicht verlieren, nachdem es ihm in der neuen Klasse nicht gelungen war, andere Kameraden zu finden. Außerdem brauchten sie jetzt, da sie ihre Schikanen wieder aufgenommen hatten, Zeit, um ihre Schritte zu planen.
So wie die Dinge lagen, blieben ihnen nur die Stunden vor und nach dem Unterricht, um Sonea zu finden und zu quälen. Sie sorgte dafür, dass sie vor dem ersten Gongschlag nicht zu sehen war. Nach dem Unterricht lauerte Regins Bande ihr jedoch für gewöhnlich auf, und sie konnte wenig tun, um ihnen aus dem Weg zu gehen.