»Folgt mir«, befahl Lord Vorel, bevor er die Novizen durch das Portal in die Arena führte. »Stellt euch in einer Reihe auf.«
Die Novizen gehorchten, und Poril bildete das Schlusslicht der Reihe. Lord Vorel wartete, bis alle ihre Plätze eingenommen hatten, dann räusperte er sich.
»Dies ist eure erste Lektion in den grundlegenden Angriffstechniken. Es ist gleichzeitig das erste Mal, dass ihr Magie in voller Stärke benutzt. Aber seid gewarnt: Was ihr heute tut, ist gefährlich.« Während er sprach, musterte er jeden einzelnen der Novizen. »Bei diesen Übungen müssen wir alle größtmögliche Vorsicht walten lassen. Selbst in eurem Stadium der Ausbildung seid ihr durchaus imstande zu töten. Das dürft ihr niemals vergessen. Ich werde keinen Unsinn dulden. Jede Unachtsamkeit wird schwer bestraft werden.«
Ein Schaudern überlief Sonea. Ich hoffe, die Strafe ist schwer genug, um Regin klar zu machen, dass ein »Unfall« keine gute Idee wäre, um mich loszuwerden.
Plötzlich lächelte Vorel und rieb sich eifrig die Hände. »Ich werde euch die drei grundlegenden Techniken auf der untersten Stufe beibringen. Zuerst wollen wir sehen, zu welcher Art von Magie ihr instinktiv greifen würdet. Regin.«
Regin trat vor.
Lord Vorel ging einige Schritte zurück, bis er fast am Rand der Arena stand. Dann vollführte er eine schwungvolle Handbewegung. Eine leuchtende Scheibe halb sichtbarer Energie erschien vor ihm. Er trat beiseite und nickte Regin zu.
»Sammle deine Kraft, und wirf sie gegen diesen Schild.«
Regin streckte die Hand aus. Eine Falte erschien zwischen seinen Brauen, dann zuckte ein Lichtblitz aus seinen Fingern und prallte gegen die Scheibe.
»Gut«, sagte Lord Vorel. »Ein Kraftschlag, aber du hast dabei noch sehr viel Energie auf Licht und Wärme vergeudet. Hal.«
Sonea starrte die leuchtende magische Scheibe an. Vorel benutzte vermutlich den Schild, um die Energien abzulenken, mit denen die Novizen ihn attackierten… aber vor ihrem inneren Auge entfaltete sich eine ganz andere Szene, und sie kämpfte mit Furcht und Übelkeit.
Wieder prallte ein Energiestrahl auf die Scheibe, diesmal in einem Blauton. Eine Erinnerung an Licht und Schreie durchzuckte Sonea.
»Ein Hitzeschlag«, sagte Vorel und erklärte dann die Unterschiede zwischen Kraftschlägen und Hitzeschlägen. Ein Teil ihres Verstandes verarbeitete diese Informationen, aber sie konnte sich noch immer nicht von den Erinnerungen losreißen…
Die Menge lief auseinander… ein geschwärzter Leichnam… der Geruch von verbranntem Fleisch…
»Benon.«
Der kyralische Junge trat vor. Der Strahl, der aus seiner Hand sprang, war beinahe durchsichtig.
»Kraftschlag.« Vorel klang zufrieden. »Narron…«
Ein weiterer magischer Blitz versengte die Luft.
»Im Wesentlichen ein Kraftschlag, aber mit einer beträchtlichen Menge Wärme. Trassia…«
Flammen züngelten vor Soneas Augen empor.
»Feuerschlag.« Vorel klang verwundert. »Seno…«
Der Junge aus Vin musste sich lange konzentrieren, bevor ein Rinnsal aus Licht aus seiner Hand pulsierte. Der Strahl ging in die Irre und verfehlte die Scheibe. Als er an der Barriere der Arena abprallte, erfüllte ein Geräusch wie von berstendem Glas die Luft. Feine Energiefäden zogen sich bis über das Gelände der Arena hinaus. Sonea schluckte. Jetzt würde sie bald an die Reihe kommen. Sehr bald.
»Yalend.«
Der Junge neben ihr trat vor und attackierte die Scheibe, ohne zu zögern.
»Sonea…«
Sie starrte die magische Scheibe an, konnte aber nichts anderes sehen als einen Jungen, der ihren Blick erwiderte. Angstvoll und ohne zu begreifen, was geschah…
»Sonea?«
Sie holte tief Luft und drängte das Albtraumbild beiseite. Als ich mich dafür entschieden habe, der Gilde beizutreten, wusste ich, dass ich dies hier würde lernen müssen. Diese Kämpfe sind nur ein Spiel. Ein gefährliches Spiel, das man ersonnen hatte, damit die Kampfkünste nicht ausstarben, falls die Verbündeten Länder angegriffen werden sollten.
Lord Vorel machte einen Schritt auf sie zu, blieb jedoch stehen, als sie die Hand hob. Zum ersten Mal seit ihrem Kontrollunterricht griff sie ganz bewusst nach der Energie in ihrem Innern. Die anderen Novizen traten ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
Das Bild des Jungen kehrte zurück. Sie musste es durch etwas anderes ersetzen, oder sie würde tatsächlich die Nerven verlieren. Während Regin eine halblaute Bemerkung über Feiglinge machte, schob sich eine andere Gestalt in ihre Gedanken, und sie lächelte. Dann nahm sie all ihre Willenskraft zusammen und sandte einen Blitz des Zorns aus.
Neben dem Geräusch von splitterndem Glas wurde jetzt ein Fluch laut. Soneas Magen krampfte sich zusammen. Hatte sie die Scheibe verfehlt?
Lichtstrahlen kräuselten sich über den Türmen der Arena und lösten sich wieder auf. Die Scheibe war verschwunden. Verwirrt blickte Sonea zu Lord Vorel hinüber.
»Ich habe gesagt, dass ihr noch nicht all eure Stärke in den Schlag leben solltet, Sonea«, erklärte er. »Das war eine… eine Kombination aus… Feuerschlag und Kraftschlag - glaube ich.« Er wandte sich zu Poril um, der auf der Stelle erstarrte. »Ich werde das Ziel gleich ersetzen. Greif nicht an, bevor ich dir Bescheid gebe.«
Er schloss die Augen und schwieg eine Weile, dann holte er tief Luft und ließ die Scheibe von neuem erstehen.
»Jetzt du, Poril.«
Der Junge seufzte. Er hob die Hand und sandte einen fast unsichtbaren Strahl aus.
»Gut«, sagte Vorel nickend. »Ein Kraftschlag, aber ohne vergeudete Magie. Jetzt werdet ihr alle noch einmal angreifen, aber diesmal mit voller Kraft. Danach werdet ihr lernen, eure Schläge einem bestimmten Zweck entsprechend zu formen. Regin.«
Sonea beobachtete, wie die Novizen die Barriere angriffen. Es ließ sich nur schwer erkennen, ob die Schläge kräftiger waren als zuvor, aber Vorel schien zufrieden zu sein. Als die Reihe an Sonea kam, zögerte er kurz, dann zuckte er die Achseln.
»Nur zu. Mal sehen, ob du es noch einmal schaffst.«
Erheitert sammelte sie ihre Kraft und ließ sie frei. Die Scheibe hielt ihrem Angriff einen Moment lang stand, bevor sie zu zittern begann und schließlich verschwand. Weißes Licht schnellte empor und ergoss sich über die Barriere der Arena, so dass die Novizen unwillkürlich den Kopf einzogen. Ein lautes Klirren vibrierte in der Luft, dann senkte sich Stille herab.
Vorel betrachtete sie nachdenklich. »Zweifellos kommt dir dein Alter zugute«, bemerkte er beinahe zu sich selbst. »Geradeso wie Porils Erfahrung ihm die notwendige Kontrolle über seine Schläge gibt.« Wieder zog er die Barriere hoch. »Poril, zeig uns einen Kraftschlag.«
Einmal mehr war der Schlag des Jungen beinahe unsichtbar. Vorel deutete auf die Barriere.
»Wie ihr sehen - oder nicht sehen - konntet, ist Poril sehr sparsam mit seiner Kraft umgegangen und hat sie sehr wirkungsvoll eingesetzt. Es gab weder überschüssiges Licht noch überschüssige Wärme. Seine Wucht war ausschließlich auf das Ziel gerichtet und sonst nirgendwohin. Jetzt werdet ihr versuchen, eure Magie zu Kraftschlägen zu formen. Regin, du fängst an.«
Während der Unterricht weiterging, stellte Sonea überrascht fest, dass sie Gefallen daran fand. Es war eine Herausforderung, ihre Schläge in eine bestimmte Form zu bringen, aber sobald sie ein Gefühl für die Unterschiede entwickelt hatte, fiel es ihr leichter. Als Vorel die Klasse wieder zurück in den Unterrichtsraum führte, war sie beinahe enttäuscht.
Im Klassenzimmer wartete Lord Vorel, bis wieder Ruhe eingekehrt war, dann erklärte er: »In der nächsten Stunde werden wir uns wieder der Verbesserung eurer Schilde zuwenden.« Die Novizen ließen enttäuscht die Schultern sinken. »Was ihr heute gesehen habt, sollte euch klar machen, warum es so wichtig für euch ist zu lernen, wie ihr euch mit einem Schild schützen könnt«, fuhr er streng fort. »In der Zeit bis zur Mittagspause möchte ich, dass ihr eure heutigen Erfahrungen niederschreibt.«