Выбрать главу

Mehrere Novizen stöhnten leise. Während die anderen ihre Notizbücher hervorholten, griff Sonea nach ihrem Handkoffer und stellte fest, dass sie vor ihrem Aufbruch in die Arena vergessen hatte, ihn mit einem magischen Schloss zu sichern.

Kurz darauf stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus. Ihre Habe war unversehrt geblieben. Als sie jedoch ihre Mappe mit Notizen auf ihr Pult legte, glitt etwas zwischen den Seiten heraus und fiel mit einem metallischen Klirren zu Boden.

»Das ist meine Schreibfeder!« Narron starrte sie an. Stirnrunzelnd senkte sie den Blick und sah etwas Goldenes zu ihren Füßen liegen. Sie bückte sich und hob es auf.

Jemand zog ihr die Feder aus den Fingern. Lord Vorel war vor sie hingetreten. Jetzt wandte er sich zu Narron um.

»Ist das die Feder, von der du mir erzählt hast, sie sei verschwunden?«

»Ja.« Narron sah Sonea wütend an. »Sonea hatte sie in ihrem Koffer.«

Vorel drehte sich mit zusammengebissenen Zähnen wieder zu Sonea um. »Woher hast du das?«

Sonea blickte auf den Bücherkoffer in ihren Händen. »Die Feder war hier drin«, sagte sie.

»Sie hat meine Feder gestohlen!«, rief Narron entrüstet.

»Das habe ich nicht getan!«, protestierte sie.

»Sonea, du kommst mit mir.«

Vorel machte auf dem Absatz kehrt und ging durch den Raum. Sonea sah ihm ungläubig nach, bis er sich mit finsterer Miene wieder zu ihr umdrehte.

»Sofort!«, blaffte er sie an.

Sonea schloss den Handkoffer, stand auf und folgte dem Magier zur Tür. Sie konnte die Blicke der übrigen Novizen in ihrem Rücken spüren. Sie glaubten doch nicht etwa, dass sie Narrons Feder gestohlen hatte - nicht, wenn es so offensichtlich war, dass Regin ihr abermals einen Streich gespielt hatte?

Als sie sich noch einmal zu der Klasse umdrehte, starrten ihre Kameraden sie argwöhnisch an. Poril hatte den Blick abgewandt. Gekränkt setzte sie ihren Weg fort.

Sie war das Hüttenmädchen. Das Mädchen, das zugegeben hatte, als Kind gestohlen zu haben. Die Außenseiterin. Eine Freundin der Diebe. Die anderen hatten beobachtet, wie Regin sie quälte, aber sie wussten nichts von den Notizen und den Büchern, die er gestohlen hatte, nichts von den zahlreichen anderen Gemeinheiten, die er ihr angetan hatte. Sie hatten keine Ahnung, wie schlau und entschlossen er war.

Es hatte keinen Sinn, Regin anzuklagen. Selbst wenn sie es gewagt und eine Wahrheitslesung riskiert hätte, hätte sie nicht beweisen können, dass er die Feder gestohlen hatte. Sie hatte nur ihre eigene Unschuld als Beweis, und eine Wahrheitslesung konnte sie nicht riskieren, denn es bestand die Gefahr, dass der Rektor ihr nicht gestatten würde, selbst den Magier auszusuchen, der sie dieser Prozedur unterzog. Und dann würde vielleicht noch jemand von dem Verbrechen des Hohen Lords erfahren.

An der Tür blieb Vorel stehen. »Narron, du kommst besser auch mit«, sagte er. »Ihr anderen widmet euch euren Notizen. Ich werde nicht vor der Mittagspause zurück sein.«

Als er das Büro des Rektors betrat, fiel Rothen sofort die Anspannung der dort Versammelten auf. Jerrik saß mit vor der Brust verschränkten Armen und grimmiger Miene an seinem Schreibtisch. Sonea hockte mit leerem Blick auf einem Stuhl. Ein zweiter Novize saß sehr aufrecht auf einem anderen Stuhl. Hinter ihm stand Lord Vorel, der Krieger, mit zornlodernden Augen.

»Worum geht es?«, fragte Rothen.

Jerrik runzelte die Stirn. »Bei Eurer Novizin wurde eine Schreibfeder gefunden, die ihrem Klassenkameraden Narron gehört.«

Rothen sah Sonea an, die seinen Blick jedoch nicht erwiderte.

»Ist das wahr, Sonea?«

»Ja.«

»Einzelheiten?«

»Ich habe meinen Bücherkoffer geöffnet und meine Notizen auf den Tisch gelegt, und die Feder ist herausgefallen.«

»Wie ist sie dort hineingekommen?«

Sie zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht.«

Jerrik hakte nach: »Du hast sie nicht hineingelegt?«

»Ich weiß nicht.«

»Was soll das heißen?«

»Ich weiß nicht, ob ich sie hineingelegt habe.«

Er runzelte die Stirn. »Wie kann man so etwas nicht wissen? Entweder du hast die Feder in deinen Koffer gelegt, oder du hast es nicht getan.«

Sie breitete die Hände aus. »Es ist möglich, dass die Feder bereits in meiner Mappe lag, als ich gestern Abend meine Notizen eingepackt habe.«

Jerrik schüttelte verärgert den Kopf. »Hast du Narrons Feder gestohlen?«

»Nicht mit Absicht.«

Da Rothen selbst schon ähnliche Gespräche mit Sonea geführt hatte, hätte er beinahe gelächelt. Dies war jedoch keine Zeit für Wortspiele. »Du behauptest also, dass du sie möglicherweise versehentlich gestohlen hast?«, fragte er nach.

»Wie kann man etwas versehentlich stehlen?«, rief Jerrik. »Diebstahl ist eine vorsätzliche Tat.«

Vorel schnaubte angewidert. »Sonea, wenn du es nicht leugnest, müssen wir davon ausgehen, dass du schuldig bist.«

Sie blickte zu dem Lehrer auf, und ihre Augen wurden plötzlich schmal. »Welche Rolle spielt das schon? Ihr habt Euch doch bereits entschieden. Nichts, was ich sage, wird daran etwas ändern.«

Für die Dauer mehrerer Herzschläge herrschte Schweigen im Raum, dann sah Rothen, wie Vorel die Röte ins Gesicht stieg, und er trat vor, um Sonea die Hand auf die Schulter zu legen.

»Warte draußen auf mich, Sonea.«

Sie verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.

»Was soll ich davon halten?«, stieß Jerrik hervor. »Wenn sie unschuldig ist, warum weicht sie unseren Fragen dann aus?«

Rothen warf einen vielsagenden Blick auf Narron. Jerrik bemerkte es und nickte kurz. »Du darfst jetzt wieder in deine Klasse gehen, Narron.«

Der Junge erhob sich. »Kann ich meine Feder zurückhaben, Direktor?«

»Gewiss.« Jerrik nickte Vorel zu. Als Rothen die teure, goldene Schreibfeder sah, die der Lehrer dem Jungen übergab, zuckte er zusammen. Die Feder war wahrscheinlich ein Geschenk anlässlich der Aufnahme des Jungen in die Gilde gewesen.

Als Narron den Raum verlassen hatte, sah Jerrik Rothen erwartungsvoll an. »Was wolltet Ihr sagen, Lord Rothen?«

Rothen verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Seid Ihr Euch der Schikanen bewusst, denen Sonea von Seiten der anderen Novizen ausgesetzt war?«

Jerrik nickte.

»Habt Ihr den Anführer dieser Unruhestifter ausfindig gemacht?«

Die Mundwinkel des Rektors zuckten. »Wollt Ihr damit sagen, dass dieser Anführer den Diebstahl begangen hat?«

»Ich schlage Euch lediglich vor, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen.«

»Dazu würdet Ihr Beweise benötigen. Wie die Dinge liegen, haben wir lediglich eine Schreibfeder, die sich unrechtmäßig bei Soneas Sachen befunden hat. Sie weigert sich, den Diebstahl abzustreiten, und sie hat keine Anklage gegen Regin erhoben. Was soll ich davon halten?«

Rothen nickte verständnisvoll. »Ich denke, Sonea hätte gern Beweise für das Gegenteil in der Hand, aber wenn sie niemanden anklagt, dann dürfte das wohl nicht der Fall sein. Hätte es in dieser Situation auch nur den geringsten Sinn, ihre Unschuld zu beteuern?«

»Das beweist nicht, dass sie es nicht getan hat«, wandte Vorel ein.

»Nein, aber man hat mich gebeten, ihr Verhalten zu erklären, nicht, ihre Unschuld zu beweisen. Ich kann mich nur für ihren Charakter verbürgen. Ich glaube nicht, dass sie es getan hat.«

Vorel schnaubte, sagte jedoch nichts. Jerrik betrachtete beide Männer, dann machte er eine wegwerfende Handbewegung. »Ich werde über eure Worte nachdenken. Vielen Dank. Ihr dürft jetzt gehen.«

Sonea lehnte draußen an der Wand und starrte auf ihre Stiefel hinab. Vorel musterte sie mit schmalen Augen, ging aber wortlos an ihr vorbei. Rothen trat neben sie, lehnte sich ebenfalls an die Wand und stieß einen Seufzer aus.

»Es sieht nicht gut aus.«

»Ich weiß.« Ihr Tonfall klang resigniert.

»Du hast nichts von Regin gesagt?«

»Wie könnte ich?« Sie sah ihm fest in die Augen. »Selbst wenn ich Beweise hätte, könnte ich ihn nicht beschuldigen.«