»Also«, sagte Vorel, während die Novizen auf den Stufen außerhalb der Arena Platz nahmen. »Nehmt eure Positionen ein.«
Sonea schluckte und ging auf die eine Seite der Arena hinüber. Regin schlenderte auf die andere Seite und drehte sich dann zu ihr um. Vorel und Makin zogen sich an den Rand des Kampffeldes zurück, und Sonea konnte die Schilde wahrnehmen, die sie um sich herum hochzogen. Ihr Herz hämmerte.
Vorel sah zuerst sie an, dann Regin, bevor er eine knappe Handbewegung machte. »Fangt an.«
Sonea riss einen starken Schild hoch und wappnete sich gegen das Kommende, aber der Ansturm von Schlägen, den sie erwartet hatte, blieb aus. Regin hatte sein Gewicht auf ein Bein verlagert und die Arme vor der Brust verschränkt. Er wartete.
Sonea kniff die Augen zusammen. Der erste Schlag war, so hatte sie gelernt, besonders bedeutsam, denn er ließ auf den Charakter des Kämpfers schließen. Als sie nun genauer hinsah, stellte sie fest, dass Regin nicht einmal einen Schild um sich herum gewoben hatte. Er verlagerte sein Gewicht, trommelte mit den Fingern einer Hand auf seinen Arm und tippte ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden. Dann sah er den Lehrer fragend an.
Sonea riskierte einen Blick auf Lord Vorel. Der Krieger beobachtete sie aufmerksam, anscheinend vollkommen ungerührt über den Mangel an kämpferischen Aktivitäten.
Schließlich seufzte Regin so laut, dass selbst die Novizen außerhalb der Arena es hören konnten. Dann gähnte er. Sonea unterdrückte ein Lächeln. In diesem Kampf ging es nicht um Magie, es ging um die Frage, wer als Erster die Geduld verlor.
Sie stemmte die Hände in die Hüften, musterte die Novizen und machte sich nicht länger die Mühe, Regin zu beobachten. Einige ihrer Mitschüler wirkten angespannt, andere verwirrt oder gelangweilt. Sonea sah wieder zu dem Lehrer hinüber. Lord Vorel musterte sie kalt.
Vielleicht konnte sie Regin mit einer List dazu bringen, als Erster zuzuschlagen. Wenn ich meinen Schild sinken lasse, dann wird er vielleicht…
Vorsichtig ließ sie ihre schützende äußere Barriere los. Im nächsten Moment war die Welt um sie herum ein einziges Meer aus weißem Feuer. Der Schild, den sie hastig hochriss, um die Schläge abzuwehren, hielt nur wenige Sekunden, dann schwankte er und brach in sich zusammen. Hitze kribbelte auf ihrer Haut, wo Regins Magie auf Vorels inneren Schild gestoßen war.
»Halt!«
Die Schläge brachen ab und hinterließen dunkle Flecken vor Soneas Augen. Blinzelnd beobachtete sie, wie Lord Vorel herbeikam und sich in die Mitte der Arena stellte.
»Regin ist der Sieger«, erklärte er. Schwacher Applaus kam von den übrigen Novizen. Sonea schoss die Röte ins Gesicht, als Regin sich anmutig verbeugte.
»Sonea.« Lord Vorel wandte sich zu ihr um. »Es ist nicht ratsam, deinen Schild sinken zu lassen, es sei denn, du hast die Fähigkeit, ihn sehr schnell wieder hochzuziehen. Wenn du diese Strategie noch einmal anwenden willst, solltest du vorher deine Verteidigung üben. Ihr dürft jetzt beide gehen. Benon und Yalend, ihr seid die Nächsten.«
Sonea verneigte sich und eilte so schnell wie möglich auf das Portal zu. Voller düsterer Gedanken trat sie in den Gang. Das war nur der erste Kampf, sagte sie sich. Sie konnte nicht erwarten, jedes Mal zu siegen, vor allem nicht gegen Regin, dessen Mentor schließlich ein Krieger war.
Wenn sie auch in Zukunft immer aufgrund ihrer Stärke zu Paaren zusammengestellt wurden, würde sie jedes Mal gegen Regin antreten müssen. Es hatte sich schon jetzt herausgestellt, dass Regin die Kriegskunst von allen Disziplinen am meisten zusagte, und Sonea hatte Hal darüber reden hören, dass Regin Privatstunden nahm. Da sie selbst kein Verlangen danach verspürte, Kriegerin zu werden oder zusätzliche Stunden zu nehmen, war sie davon überzeugt, dass er immer besser abschneiden würde als sie.
Aber Vorel hatte gesagt, dass sie zunächst einen etwa gleich starken Gegner bekommen würden. Wenn später Geschick und Talent im Kampf den Ausschlag gaben und sich herausstellte, dass sie Regin unterlegen war, würde Vorel sie gegen einen der anderen Novizen antreten lassen.
Das bedeutete, dass ihr zwei Möglichkeiten blieben: Sie konnte versuchen, ihre Sache gut zu machen und würde am Ende jedes Mal gegen Regin kämpfen müssen; oder sie gab sich keine Mühe mehr, um ihm auf diese Weise auszuweichen.
Seufzend stieg Sonea die Treppe hinauf und gesellte sich zu den Novizen, die von dort aus das Geschehen verfolgten. Wie sie sich auch entschied, ihr standen wahrscheinlich noch viele weitere demütigende Niederlagen bevor. Sehnsüchtig dachte sie an den Dom, den alten, kuppelförmigen Steinbau neben den Novizenquartieren. Vor der Erbauung der Arena hatten die Novizen dort trainiert. Die dicken Mauern hatten Zuschauer vor fehlgegangenen Schlägen der Kämpfer im Innern geschützt und gleichzeitig das Publikum auf die anwesenden Lehrer und Schüler beschränkt. Obwohl es ein luftloser, stickiger Raum war, hatte er zumindest eine gewisse Ungestörtheit geboten.
Während Benon und Yalend gegeneinander kämpften, verlor Sonea schnell das Interesse an dem Schauspiel. Sie konnte sich nicht vorstellen, inwiefern diese Unterrichtsstunden mit all ihren Regeln Magier auf einen echten Krieg vorbereiten sollten. Nein, diese Krieger verwandten ihr ganzes Leben auf gefährliche Spielereien, während sie ihre Magie für bessere Dinge hätten nutzen können - wie zum Beispiel die Heilkunst.
Sie schüttelte den Kopf. Wenn für sie die Zeit kam, eine Disziplin zu wählen, wusste sie, dass sie gewiss nicht die rote Robe ergreifen würde.
15
Ein Überraschungsangriff
Kaum hatte Sonea das Klassenzimmer betreten, spürte sie eine Veränderung, wie einen fremden Strom von Magie in der Luft. Zögernd blieb sie in der Tür stehen, und ihre Erleichterung darüber, dass sie Regins Bande entkommen war, löste sich in nichts auf.
Lord Kiano blickte auf und wandte sich ihr sogleich zu, so als sei er dankbar für die Ablenkung.
»Heute wird kein Unterricht stattfinden, Sonea.«
Sie sah den Lehrer überrascht an.
»Kein Unterricht, Mylord?«
Kiano zögerte. Ein Zischen lenkte Soneas Aufmerksamkeit auf die Mitte des Raumes. Nur vier Novizen hatten sich dort versammelt. Benon hatte den Kopf in die Hände gestützt. Trassia und Narron hatten ihre Stühle neben seinen gerückt. Regin saß schweigend hinter ihnen, und ausnahmsweise einmal lag in seinen Augen ein mutloser Ausdruck. Trassia starrte Sonea anklagend an.
»Ein Novize ist gestorben«, erklärte Kiano. »Shern.«
Sonea runzelte die Stirn und dachte an den Novizen aus der Sommerklasse, dessen Kräfte sich so eigenartig angefühlt hatten. Gestorben? Fragen schossen ihr durch den Kopf. Wie? Wann?
»Ach, geh doch einfach weg«, stieß Trassia hervor. Verblüfft über den Ausbruch des Mädchens, wandte Sonea sich zu ihr um.
»Er war Benons Vetter«, erklärte Kiano ihr leise.
Trassia funkelte sie wütend an. Langsam begriff sie. Durch ihre Frage, warum der Unterricht abgesagt worden sei, war Lord Kiano gezwungen gewesen, in Benons Gegenwart von Sherns Tod zu sprechen. Sonea spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Als Narron sie mit finsterer Miene musterte, wandte sie sich um und stürzte aus dem Raum.
Sie war erst wenige Schritte gelaufen, als Wut in ihr aufstieg. Wie hätte sie wissen können, dass Shern tot war oder dass Benon sein Vetter war? Die Frage, warum der Unterricht ausfiel, war vollkommen vernünftig gewesen.
Oder etwa nicht?
Ihre Gedanken kehrten zu Shern zurück. Als sie ihre Gefühle erforschte, konnte sie nicht mehr als eine leichte Traurigkeit finden. Shern hatte niemals mit ihr gesprochen, und auch mit sonst niemandem. Tatsächlich hatte die ganze Sommerklasse ihn während der wenigen Wochen, die er an der Universität verbracht hatte, einfach ignoriert.
Als sie das Ende der Treppe erreicht hatte, sah sie zu ihrer Erleichterung, dass Rothen ihr entgegenkam.