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»Da bist du ja«, sagte er. »Hast du es schon gehört?«

»Der Unterricht fällt aus.«

»Ja.« Er nickte. »So wird es immer gehandhabt, wenn etwas Derartiges geschieht. Ich habe dich in deinem Zimmer gesucht, aber du warst nicht dort. Komm, lass uns etwas Heißes trinken gehen.«

Schweigend begleitete Sonea ihn. Sie fand es bemerkenswert, dass die Gilde wegen des Todes eines Novizen, der kaum mehr als wenige Wochen dort verbracht hatte, die Universität schloss. Aber da abgesehen von ihr alle Novizen aus den Häusern stammten, war der Junge wahrscheinlich mit mehreren Novizen und Magiern verwandt gewesen.

»Shern war in deiner ersten Klasse, nicht wahr?«, fragte Rothen, als sie sein Quartier betraten.

»Ja.« Sonea zögerte. »Darf ich fragen, was ihm zugestoßen ist?«

»Natürlich.« Rothen nahm eine Kanne und zwei Tassen von einem Tisch, dann holte er zwei Krüge aus einem Schrank. »Ich habe dir einmal davon erzählt, dass ein Magier bei seinem Tod die Kontrolle über seine Kräfte verliert. Erinnerst du dich daran?«

»Alle ungenutzte Magie wird freigesetzt und verzehrt den Körper.«

Rothen nickte. Er stellte die Tassen und Krüge ab. »Shern hat die Kontrolle über seine Magie verloren.«

Ein kalter Schauer überlief Sonea. »Aber er hat die Zweite Stufe gemeistert.«

»Das hat er, allerdings nicht zur Gänze. Sein Geist war nie stabil genug.« Rothen schüttelte den Kopf. »So etwas ist sehr selten, aber es kommt bisweilen vor. Verstehst du, wenn man bei Kindern magisches Potenzial entdeckt, prüfen wir sie auch auf Probleme wie dieses. Manchmal haben sie einfach nicht die geistige Kraft oder Stabilität, um Magie zu kontrollieren.«

»Ich verstehe«, sagte Sonea nickend. Rothen füllte die Kanne mit Wasser und fügte einige Sumi-Blätter aus einem der Krüge hinzu. Sonea griff nach dem anderen Krug, mischte ein wenig Raka-Pulver mit Wasser und erhitzte das Ganze mit Magie.

»Bedauerlicherweise entwickeln manche Menschen eine solche geistige Instabilität erst, wenn sie älter werden«, fuhr Rothen fort, »oder wenn man ihre Magie freisetzt. Aber dann ist es zu spät. Früher oder später verlieren sie die Kontrolle, die man sie gelehrt hat - im Allgemeinen während der ersten Jahre. Shern hat vor einigen Monaten erste Anzeichen von Instabilität gezeigt. Die Gilde hat ihn aus der Stadt fortgeholt und in ein Haus gebracht, das wir eigens für solche Novizen erbaut haben. Wir versuchen, ihnen ein ruhiges, glückliches Leben zu ermöglichen, und sie werden von Heilern behandelt, die mit dem Problem wohlvertraut sind. Aber niemand hat je ein Heilmittel dafür gefunden, und selbst wenn wir ihre Kräfte blockieren, geht es meist nicht lange gut.«

Sonea schauderte. »Als ich ihn das erste Mal sah, fand ich seine Aura merkwürdig.«

Rothen runzelte die Stirn. »Du hast die Instabilität schon so früh gespürt? Niemand sonst hat etwas davon bemerkt. Das muss ich unbedingt dem Direktor…«

»Nein!«, rief Sonea. Wenn Rothen irgendjemandem erzählte, dass sie Sherns Problem gespürt hatte, hätten die Novizen noch etwas, an dem sie ihr die Schuld geben konnten. »Tut das nicht. Bitte.«

Rothen betrachtete sie nachdenklich. »Niemand wird es dir verübeln, dass du nichts gesagt hast. Du konntest unmöglich wissen, was du gespürt hast.«

Sie hielt seinem Blick stand. Rothen seufzte. »Na gut. Jetzt spielt es wahrscheinlich ohnehin keine Rolle mehr.« Er legte die Hände um die Kanne. Sofort stieg Dampf aus der Tülle auf. »Was empfindest du, wenn du an Shern denkst, Sonea?«

Sie zuckte die Achseln. »Ich habe ihn nicht gekannt.« Dann erzählte sie Rothen, was geschehen war, als sie kurz zuvor das Klassenzimmer betreten hatte. »Es war so, als sei das alles meine Schuld.«

Stirnrunzelnd schenkte sich Rothen eine Tasse von dem frisch aufgebrühten Sumi ein. »Sie haben dich wahrscheinlich nur deshalb so angefahren, weil du in einem ungünstigen Augenblick aufgetaucht bist. Mach dir keine Gedanken deswegen. Bis morgen haben sie es sicher vergessen.«

»Was soll ich mit dem heutigen Tag anfangen?«, überlegte sie laut.

Rothen hielt kurz inne, um an seinem Sumi zu nippen, dann lächelte er. »Ich dachte, wir könnten vielleicht Pläne für Dorriens Besuch schmieden.«

Der Kapitän der Anyi war hocherfreut gewesen, als Dannyl ihn gefragt hatte, ob sein Ziel die Inseln von Vin seien. Zuerst hatte Dannyl angenommen, der Mann brenne darauf, in seine Heimat zurückzukehren, aber als der Kapitän später darauf bestand, dass Dannyl und Tayend in seine eigene Kajüte zogen, hatte Dannyl Verdacht geschöpft. Nach allem, was er über die Seeleute aus Vin wusste, brauchte es mehr als Heimweh oder Respekt vor der Gilde, um einen Kapitän dazu zu bringen, sein eigenes Quartier herzugeben.

Am Abend nach ihrer Abreise hatte Dannyl den wahren Grund für die Begeisterung des Kapitäns entdeckt.

»Die meisten Schiffe mit Ziel Kikostadt fahren zuerst nach Capia«, erklärte der Kapitän ihnen bei einem üppigen Mahl. »Auf diesem Weg geht es viel schneller.«

»Warum segeln sie nicht direkt nach Kikostadt?«, fragte Tayend.

»Auf den Oberen Inseln von Vin leben böse Menschen.« Der Kapitän machte ein finsteres Gesicht. »Sie überfallen Schiffe, töten die Mannschaft. Gefährliche Menschen.«

»Oh.« Tayend sah Dannyl an. »Und wir werden an diesen Inseln vorbeisegeln?«

»Diesmal besteht keine Gefahr.« Der Kapitän schenkte Dannyl ein Lächeln. »Wir haben einen Magier an Bord. Wir hissen die Flagge der Gilde. Sie werden es nicht wagen, uns zu überfallen!«

Bei dem Gedanken an dieses Gespräch musste Dannyl lächeln. Er vermutete, dass die Kaufleute trotz allem gelegentlich diese Route befuhren und sich mit der Flagge der Gilde schützten, selbst wenn sie keinen Magier an Bord hatten. Möglich, dass das inzwischen auch die Piraten begriffen hatten, und es hätte ihn nicht überrascht, wenn in irgendeiner Truhe eine Gildeuniform gelegen hätte für den Fall, dass eine Flagge nicht immer ausreichte, um die Piraten fern zu halten.

Seine Erleichterung, aus Lonmar fortzukommen, war so groß gewesen, dass diese Fragen ihn kaum interessiert hatten. Die Beilegung des Konflikts mit dem Ältestenrat hatte sich über mehr als einen Monat hingezogen. Obwohl die Pflichten, die ihn in Vin erwarteten, weniger wichtig waren, fragte er sich doch, ob sie sich wohlmöglich als ähnlich kräftezehrend erweisen würden.

Während sie sich immer weiter von Lonmar entfernt hatten und die Anspannung der Mannschaft immer deutlicher spürbar geworden war, hatte Dannyl begriffen, dass die Angst vor Piraten durchaus real war. Aus den Gesprächen, die Tayend für ihn übersetzt hatte, schloss Dannyl, dass eine Begegnung mit Piraten kein Risiko war, sondern eine Gewissheit. Es war ein wenig beunruhigend, zu wissen, dass die Besatzung glaubte, ihr Leben hinge von Dannyls Anwesenheit auf dem Schiff ab.

Jetzt sah er Tayend an, der auf der zweiten schmalen Pritsche lag. Der Gelehrte war bleich und dünn. Die Seekrankheit hatte ihren Tribut gefordert. Aber trotz seiner Schwäche und des offenkundigen Unwohlseins weigerte sich Tayend immer noch, sich von Dannyl heilen zu lassen.

Bisher war ihre Reise bei weitem nicht das amüsante Abenteuer gewesen, auf das Tayend gehofft hatte. Dannyl wusste, dass auch der Gelehrte erleichtert über ihren Abschied aus Lonmar gewesen war. Wenn sie Kikostadt erreichten, beschloss er, würden sie sich ein oder zwei Wochen Ruhezeit gönnen. Die Vindo waren bekannt für ihre Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Blieb nur zu hoffen, dass sie sie für die Hitze und die eigenartigen Gepflogenheiten in Lonmar würden entschädigen können und Tayend wieder zu Kräften kam.

Durch zwei kleine Fenster hatte man einen Blick auf das Meer zu beiden Seiten des Schiffes. Der Himmel war wolkenlos und von einem staubigen Blau. Dannyl ging auf eins der Fenster zu und sah die fernen Schatten von Inseln, die auf der einen Seite den Horizont sprenkelten - und zwei große Schiffe.

Als er Tayend gähnen hörte, drehte er sich um. Der Gelehrte hatte sich auf seinem Lager aufgesetzt und reckte sich.