Die Magier sahen einander an.
»Regin hat zusätzliche Unterrichtsstunden in den Kriegskünsten genommen«, sagte Balkan schließlich. »Da diese Stunden das vorliegende Problem verursacht haben, werde ich sie für… sagen wir, für drei Monate aussetzen.«
Lorlen schürzte die Lippen. »Verlängert den Zeitraum bis zur Mitte des Zweiten Jahres. Ich glaube, bis dahin wird seine Klasse alle Lektionen in puncto Anstand und Ehre abgedeckt haben.«
Lorlen sah, dass Rothen die Hand hob, um sich an der Nase zu kratzen und ein Lächeln zu verbergen. Garrels Miene verdüsterte sich, aber er erhob keine Einwände. Lord Balkans Lippen zuckten schwach.
»Also gut«, stimmte der Krieger zu. »Der Unterricht wird bis zu den Halbjahrsprüfungen des Zweiten Jahres ausgesetzt.«
Lorlen blickte in die Runde. Die anderen Magier nickten zustimmend.
»Dann wäre diese Angelegenheit also geregelt.«
Jerrik seufzte. »Wenn das alles ist«, sagte er, »werde ich jetzt zu meiner Arbeit zurückkehren.«
Auch Lord Sarrin und Lady Vinara erhoben sich und folgten dem Rektor aus dem Raum. Lord Garrel schloss sich ihnen an.
Balkan wandte sich an Rothen. »Es ist ein Jammer, dass Sonea keine Begeisterung für die Kriegskünste zeigt. Wir finden nur selten Krieger von ihrer Stärke.«
»Ich kann nicht behaupten, dass ich über ihre mangelnde Begeisterung enttäuscht wäre«, erwiderte Rothen.
»Habt Ihr ihr diese Disziplin verleidet?« In Balkans Stimme schwang ein warnender Unterton mit.
»Keineswegs«, sagte Rothen. »Es war ein gewisser Zwischenfall auf dem Nordplatz, der ihr die Kriegskünste verleidet hat, und ich bezweifle, dass ich daran etwas ändern könnte, selbst wenn ich es versuchte. Ich habe lange genug gebraucht, um sie davon zu überzeugen, dass wir nicht alle blutdürstige Schurken sind.«
Balkan lächelte schief. »Ich hoffe, Ihr habt ihr diese Vorstellung tatsächlich gründlich ausreden können.«
Rothen seufzte. »Manchmal denke ich, dass ich der Einzige bin, der es überhaupt versucht.«
»Die Feindseligkeit der anderen Novizen war unvermeidlich und wird nach ihrem Abschluss nicht enden. Sie muss lernen, damit umzugehen. Diesmal hat sie wenigstens Magie benutzt, statt weniger ehrenwerter Fähigkeiten.«
Rothen musterte den anderen Magier mit schmalen Augen. Balkan erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Als Lorlen die Spannung zwischen den beiden Männern bemerkte, klopfte er leise auf seinen Schreibtisch.
»Sorgt nur dafür, dass sie ihre Kämpfe auf die Arena beschränken«, sagte er. »Wäre es Sommer gewesen, hätten sie womöglich den ganzen Wald in Brand gesteckt. Ich habe auch ohne derartige Katastrophen genug zu tun. Wenn Ihr jetzt vielleicht die Freundlichkeit hättet…« Er deutete auf die Tür. »Ich hätte gern mein Büro zurück!«
Die beiden Magier neigten den Kopf und verließen mit einer gemurmelten Entschuldigung den Raum. Als sich die Tür hinter ihnen schloss, stieß Lorlen einen Seufzer der Erleichterung aus, in dem ein Anflug von Ärger mitschwang.
Magier!
17
Ein kluger Gefährte
Die Wege durch die Gärten waren von Schnee befreit worden, aber die Bäume bogen sich noch immer unter ihrer weißen Last. Als sie vor der Universität ankamen, begann es wieder zu schneien, daher führte Rothen Sonea die Treppe hinauf und in den Schutz der Eingangshalle.
— Rothen?
— Dorrien.
— Ich hoffe, du hast in deinem Quartier ein Dutzend Wärmekugeln. Ich kann einfach nicht fassen, dass es noch einmal so kalt geworden ist. Dieser Winter ist schlimmer als alle anderen, an die ich mich erinnern kann. Ich bin jetzt in unmittelbarer Nähe der Tore.
Rothen sah, dass Sonea mit schmalen Augen die Straße jenseits der Tore beobachtete.
»Da kommt er«, murmelte sie.
Tatsächlich näherte sich jetzt ein einsamer Reiter dem Universitätsgelände. Der Mann hob die Hand, und eines der Tore schwang auf. Noch bevor es sich zur Gänze geöffnet hatte, trieb der Reiter sein Pferd im Galopp hindurch.
Die Hufe des Pferdes flogen über die Straße, und die grüne Robe des Reiters flatterten im Wind. Dorrien grinste übers ganze Gesicht.
»Vater!« Als das Pferd schlitternd zum Stehen kam, schwang Dorrien die Beine über den Sattel und sprang leichtfüßig zu Boden.
»Eine beeindruckende Darbietung, Dorrien«, bemerkte Rothen trocken, während er die Treppenstufen hinunterging. »Eines Tages wirst du noch mal übel auf die Nase fallen.«
»Zweifellos direkt zu deinen Füßen«, erwiderte Dorrien und ertränkte seinen Vater geradezu in grünen Stoffbahnen, als er ihn umarmte. »Und ich werde es nur dir zuliebe tun, damit du sagen kannst: ›Ich habe dich ja gewarnt.‹«
»Würde ich so etwas von mir geben?«, fragte Rothen arglos.
»Ja, das würdest du…« Dorriens blaue Augen flackerten, als er über Rothens Schulter blickte. »Das ist also deine neue Novizin.«
»Sonea.« Rothen winkte sie zu sich heran, und Sonea kam langsam die Treppe herunter.
Dorrien drückte Rothen die Zügel des Pferdes in die Hand und trat vor. Wie immer durchzuckte Rothen ein Stich des Kummers, wenn er seinen Sohn nach langer Abwesenheit lächeln sah. Gerade wenn Dorrien sich von seiner charmantesten Seite zeigte, erinnerte er Rothen am stärksten an seine verstorbene Frau. Der Junge hatte überdies auch Yilaras beinahe zwanghafte Hingabe an die Heilkunst geerbt.
Er ist kein Junge mehr, rief Rothen sich ins Gedächtnis. Dorrien war vor einigen Monaten vierundzwanzig geworden. Er war ein erwachsener Mann. In diesem Alter, überlegte Rothen, hatte ich bereits eine Frau und einen Sohn.
»Seid mir gegrüßt, Lady Sonea.«
»Seid mir gegrüßt, Lord Dorrien«, erwiderte Sonea mit einer anmutigen Verbeugung.
In diesem Moment kam ein Diener aus den Ställen, und Rothen übergab dem Mann die Zügel.
»Wohin soll ich das Gepäck bringen, Mylord?«, fragte der Diener.
»In mein Quartier«, antwortete Rothen. Der Mann nickte und führte das Pferd davon.
»Lasst uns zusehen, dass wir aus dieser Kälte wegkommen«, sagte Dorrien.
Rothen nickte und ging die Treppe zur Universität hinauf. Als sie in die Wärme der Halle traten, seufzte Dorrien.
»Es ist schön, wieder zu Hause zu sein«, sagte er. »Wie stehen die Dinge hier, Vater?«
Rothen zuckte die Achseln. »Es ist so still wie immer - und was es an kleinen Dramen gab im vergangenen Jahr, hat sich um uns gedreht.« Er lächelte Sonea zu. »Aber darüber weißt du bereits bestens Bescheid.«
Dorrien kicherte. »Ja. Und wie geht es Botschafter Dannyl?«
»Er hat sich seit einigen Monaten nicht mehr direkt bei mir gemeldet, aber ich habe einige Briefe bekommen und eine Kiste mit elynischem Wein.«
»Ist noch welcher übrig?«
»Ja.«
»Nun, das nenne ich eine gute Nachricht.« Dorrien rieb sich die Hände.
»Wie stehen die Dinge im Nordosten?«
Dorrien hob die Schultern. »Keine ungewöhnlichen Vorkommnisse. Eine kleine Epidemie von Winterfieber war schon das aufregendste Ereignis des vergangenen Jahres. Wie üblich haben einige der Bauern versucht, ihre Arbeit fortzusetzen, und haben sich dabei obendrein noch eine Lungenfäule zugezogen. Davon abgesehen musste ich mich um den einen oder anderen Unfall kümmern, von den alten Leuten ist der eine oder andere gestorben, und einige Babys haben ihre Plätze eingenommen. Oh, und einer der Reber-Hütejungen ist mit Brandwunden zu mir gekommen. Er hat behauptet, er sei von jemandem angegriffen worden, den die Einheimischen den Sakan-König nennen.«
Rothen runzelte die Stirn. »Sakan-König? Ist das nicht ein alter Aberglaube über einen Geist, der auf dem Berg Kanlor lebt?«
»Ja, aber nach den Verletzungen des Jungen zu schließen, hat er wohl selbst mit brennendem Holz herumgespielt.«