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»Ja, Mylord?« Sein Gesichtsausdruck war der Inbegriff von Unschuld und Verwirrung.

»Was hast du gerade in diesen Koffer gesteckt?«

»Welchen Koffer, Mylord?«

Galins Augen wurden schmal.

»Was gibt es für ein Problem, Lord Galin?« Lord Garrel war nun ebenfalls vor Jullens Schreibtisch aufgetaucht.

»Ich habe soeben gesehen, wie Regin etwas von Jullens Tisch genommen und in diesen Bücherkoffer gelegt hat.« Galin nahm Soneas Koffer aus dem Fach und stellte ihn vor Regin auf den Tisch.

Leises Stimmengewirr erklang, und Rothen sah, dass sich etliche Magier eingefunden hatten, die den weiteren Fortgang der Angelegenheit interessiert verfolgten. Lord Jullen kam hinter den Regalen hervor. Er blickte von den Magiern zu dem Novizen und dann zu dem Bücherkoffer. »Was ist hier los? Das ist Soneas Koffer.«

Galin zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ach ja? Das ist ja sehr interessant.« Er wiederholte, was er beobachtet hatte. Ein zutiefst missbilligender Ausdruck trat in Jullens Züge.

»Wollen wir nachsehen, welches eurer Besitztümer Regins Meinung nach Sonea besonders begehrenswert findet?«

Regin erbleichte. Rothen spürte, wie sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Eine Hand berührte seine Schulter. Dorrien war neben ihm aufgetaucht, ein wohlvertrautes, schelmisches Glitzern in den Augen.

»Was hast du getan?«, flüsterte Rothen vorwurfsvoll.

»Nichts«, antwortete Dorrien, und in seinen weit aufgerissenen Augen lag geheuchelte Arglosigkeit. »Das hat Regin ganz allein gemacht. Ich habe lediglich dafür gesorgt, dass ihn jemand dabei beobachtet.«

Im selben Moment wurde Soneas Köfferchen mit einem Klicken geöffnet, und Rothen beobachtete, wie Jullen einen schwarzen, glänzenden Gegenstand herausholte. »Mein zweihundert Jahre altes elynisches Tintenfass.« Der Bibliothekar runzelte die Stirn. »Wertvoll, aber leider leck. Ich muss dir gratulieren. Selbst wenn es Sonea gelungen wäre, das Tintenfass an seinen Platz zurückzustellen, wären ihre Notizen über und über mit Tinte bedeckt gewesen.«

Regin warf seinem Mentor einen verzweifelten Blick zu.

»Er wollte offenkundig ihre Notizen ruinieren«, erklärte Garrel. »Lediglich ein dummer Streich.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Galin. »In diesem Fall hätte er lediglich den Inhalt des Tintenfasses über ihre Papiere gießen müssen und das Tintenfass auf Lord Jullens Schreibtisch zurückgestellt.«

Garrels Miene verdüsterte sich, aber Galins anklagender Blick geriet nicht ins Wanken. Lord Jullen blickte von einem Magier zum anderen und dann hinüber zu den Regalen. »Lord Dorrien«, rief er.

Dorrien trat in den Gang. »Ja?«

»Bitte, macht Euch auf die Suche nach Sonea, und bringt sie her.«

Dorrien nickte und ging durch die Reihen der Regale. Rothen beobachtete Soneas Gesicht, als sie in Blickweite der Magier kam. Sofort verschloss sich ihre Miene. Als Jullen erklärte, was vorgefallen war, weiteten sich ihre Augen, und sie funkelte Regin zornig an.

»Ich fürchte, deine Notizen sind unbrauchbar geworden, Sonea«, sagte Jullen und hielt ihr den Koffer hin. Sie blickte hinein und schnitt eine Grimasse. »Wenn es dir recht ist, schließe ich deine Sachen in Zukunft in meinem Schrank ein.«

Sie sah ihn überrascht an. »Vielen Dank, Lord Jullen«, sagte sie mit leiser Stimme.

Er klappte den Koffer zu und stellte ihn in den Schrank hinter seinem Schreibtisch. Galin sah Regin an. »Du darfst jetzt zu deinen Studien zurückkehren, Sonea. Regin und ich werden auf ein Schwätzchen beim Rektor vorbeischauen.«

Sie blickte Regin noch einmal an, dann wandte sie sich ab und ging auf die Regale zu. Dorrien zögerte kurz, dann folgte er ihr.

Galin beäugte Garrel. »Werdet Ihr ebenfalls mitkommen?«

Der Krieger nickte.

Als die beiden Magier und der Novize die Bibliothek verlassen hatten, gesellten sich Dorrien und Sonea wieder zu Rothen. Beide gaben sich nicht die geringste Mühe, ihre Selbstgefälligkeit zu verbergen.

Kopfschüttelnd warf Rothen den beiden einen strengen Blick zu. »Das war sehr riskant. Wenn es nun niemand beobachtet hätte?«

Dorrien lächelte. »Ich habe ja dafür gesorgt, dass genau das geschehen würde.« Er sah Sonea an. »Es ist dir gelungen, sehr überzeugend Überraschung zu heucheln.«

Sie lächelte hinterhältig. »Ich war nur überrascht, dass es funktioniert hat.«

»Ha!«, sagte Dorrien. »Hat denn überhaupt niemand Zutrauen in mich?« Dann wurde er ein wenig ernster und sah Rothen an. »Hast du gemerkt, wer Jullen von seinem Schreibtisch weggelockt und alle anderen abgelenkt hat, während Regin seine Missetat beging?«

Rothen dachte an die Situation zurück. »Garrel? Nein. Mach dich nicht lächerlich. Regin hat sich die Situation zunutze gemacht. Nur weil Garrel derjenige war, der um Hilfe gebeten und in genau dem Moment zu husten begonnen hat, als Regin zur Tat schritt, heißt das nicht, dass er in irgendwelche kindischen Streiche verwickelt ist.«

»Da hast du wahrscheinlich Recht«, sagte Dorrien. »Aber ich an deiner Stelle würde ihn im Auge behalten.«

19

Die Prüfungen beginnen

Am Himmel machte sich gerade das erste Morgenlicht bemerkbar, als Sonea das Badehaus verließ. Draußen war es jedoch immer noch kalt, daher umgab sie sich mit einem Schild und erwärmte die Luft darin. Als sie kurz stehen blieb, um ihre Robe glatt zu streichen, trat aus dem Bereich des Badehauses, der für Männer reserviert war, eine grün gewandete Gestalt.

Bei Dorriens Anblick hob sich Soneas Stimmung. Da er an diesem Morgen abreisen wollte, hatten sie sich bereits gestern beim Abendessen in Rothens Quartier auf Wiedersehen gesagt. Aber jetzt ergab sich für sie noch einmal eine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen, bevor er aufbrach.

»Ich hätte mir doch denken können, dass du ein Frühaufsteher bist«, bemerkte sie.

Überrascht drehte er sich zu ihr um. »Sonea! Was treibt dich denn schon im Morgengrauen aus dem Bett?«

»Ich fange immer früh an. Auf diese Weise kann ich einige Dinge erledigen, ohne dass mich jemand stört.«

Er lächelte schief. »Eine kluge Entscheidung, obwohl das in Zukunft vielleicht nicht mehr notwendig sein wird. Regin hat dich in letzter Zeit in Ruhe gelassen, oder?«

»Ja.«

»Gut.« Er warf ihr einen seltsamen Blick zu. »Ich wollte vor meiner Abreise noch einen meiner alten Lieblingsplätze aufsuchen. Möchtest du mitkommen?«

»Wohin?«

»In den Wald.«

Sie schaute zu den Bäumen hinauf. »Ein weiteres Geheimversteck von dir?«

Dorrien lächelte. »Ja, aber diesmal ist es wirklich ein Geheimnis.«

»Tatsächlich? Wenn du es mir zeigst, wird es allerdings nicht länger ein Geheimnis sein.«

Er kicherte. »Wahrscheinlich nicht. Es ist einfach ein Ort, den ich als Junge gern besucht habe. Wann immer ich in Schwierigkeiten war, habe ich mich dort versteckt.«

»Dann warst du sicher sehr oft dort.«

»Selbstverständlich.« Er grinste. »Also, kommst du mit?«

Sie betrachtete nachdenklich ihren Bücherkoffer. Eigentlich hatte sie vom Badehaus direkt in den Speisesaal gehen wollen. »Wird es lange dauern?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich werde dich rechtzeitig zu den Prüfungen zurückbringen.«

»Also schön«, sagte sie.

Er bog in den Weg ein, der in den Wald führte. Sonea ging neben ihm her und dachte an das letzte Mal, als sie diesen Weg genommen hatte. Es war in einer kalten Nacht vor fast einem Jahr gewesen, als sie noch eine »Gefangene« der Gilde gewesen war. Rothen hatte gemeint, sie brauche frische Luft und ein wenig Bewegung. Nicht weit entfernt von hier lag ein alter Friedhof, und Rothen hatte ihr erklärt, was mit Magiern geschah, wenn sie starben.

Bei der Erinnerung daran schauderte sie. Wenn das Leben eines Magiers endete, verlor sein Geist die Kontrolle über seine Kräfte. Die verbliebene Magie verzehrte daraufhin seinen Körper und verwandelte Fleisch und Knochen in Asche und Staub. Da nichts übrig blieb, was man hätte begraben können, wurden Magier niemals beerdigt, und die Existenz eines alten Friedhofs war ein Rätsel.