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Sonea trat neben ihn und sah, dass das Wasser aus einer Spalte in den Felsen sickerte. »Im Sommer muss es hier wunderschön sein«, flüsterte sie.

»Warte nicht auf den Sommer.« Dorriens Augen leuchteten. »Im Frühling ist es hier genauso schön. Ich bin immer hierher gekommen, sobald der Schnee geschmolzen war.«

Sonea versuchte, sich Dorrien als Jungen vorzustellen, wie er den Hang hinaufgeklettert war und ganz allein an dieser Quelle gesessen hatte. Sie würde zurückkommen, beschloss sie. Hierher würde sie gehen, wenn sie ein wenig Zeit für sich brauchte, abseits von Regin und den anderen Novizen. Vielleicht hatte Dorrien genau das beabsichtigt.

»Was denkst du, kleine Sonea?«

»Ich möchte dir danken.«

Er hob die Augenbrauen. »Mir danken?«

»Dafür, dass du Regin in die Falle gelockt hast. Dafür, dass du mich auf das Dach der Universität geführt hast.« Sie kicherte. »Und dafür, dass du mir das Schweben beigebracht hast.«

»Ah.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das war nicht weiter schwierig.«

»Und dafür, dass du mir geholfen hast, meine Lebensfreude wiederzufinden. Ich hatte schon fast geglaubt, dass ein Magier keinen Spaß haben könne.« Sie lächelte schief. »Ich weiß, dass du in dein Dorf zurückkehren musst, aber ich wünschte, du könntest länger bleiben.«

Seine Miene wurde ernst. »Auch ich werde dich vermissen, kleine Sonea.« Er trat einen Schritt auf sie zu, dann öffnete er den Mund, als wollte er noch etwas sagen. Stattdessen legte er ihr jedoch nur einen Finger unter das Kinn, hob ihren Kopf an und drückte die Lippen auf ihren Mund.

Überrascht zog Sonea sich ein wenig zurück. Er stand sehr dicht vor ihr und sah sie mit fragendem Blick an. Plötzlich fühlte sich ihr Gesicht seltsam heiß an, und ihr Herz schlug sehr schnell. Sie lächelte töricht, und obwohl sie es versuchte, konnte sie nichts dagegen tun. Dorrien lachte leise, dann beugte er sich vor, um sie abermals zu küssen.

Diesmal verweilten seine Lippen länger auf ihren, und sie war sich der Wärme und der Weichheit seines Mundes bewusst. Ein Schaudern überlief sie, das nichts mit Kälte zu tun hatte. Als er sich von ihr löste, machte sie einen winzigen Schritt auf ihn zu, um die Berührung in die Länge zu ziehen.

Sein Lächeln verblasste. »Es tut mir Leid, das war nicht fair von mir.«

Sie schluckte und fand endlich ihre Stimme wieder. »Nicht fair?«

Er blickte mit ernster Miene zu Boden. »Weil ich fortgehe. Weil du vielleicht jemand anderen brauchen wirst, den du meinetwegen zurückweisen könntest.«

Sie lachte ein wenig verbittert. »Das bezweifle ich.«

Ein seltsam zurückhaltender Ausdruck war in Dorriens Augen getreten. Sonea runzelte die Stirn. Dachte er jetzt, dass sie seine Aufmerksamkeit nur deshalb willkommen hieß, weil sie glaubte, dass sich niemals ein anderer Mann auf solche Weise für sie interessieren würde?

Und glaubte sie das wirklich? Bis vor wenigen Sekunden hatte sie nicht einmal die Möglichkeit in Betracht gezogen, Dorrien könnte mehr für sie sein als nur ein Freund. Langsam schüttelte sie den Kopf, dann lächelte sie. »Du hast mich diesmal ziemlich überrascht, Dorrien.«

Seine Mundwinkel zuckten.

Dorrien?

Sie erkannte Rothens Gedankenstimme.

— Vater, erwiderte Dorrien.

— Wo bist du?

— Ich habe einen Morgenspaziergang gemacht.

— Der Stallmeister ist hier.

— Ich komme gleich.

Dorrien sah sie entschuldigend an. »Ich fürchte, der Weg hierher hat länger gedauert, als ich gedacht hatte.«

Ein Stich der Furcht durchzuckte sie. Würde sie zu spät zu ihren Prüfungen kommen?

»Lass uns gehen.«

Sie machten sich auf den Rückweg, und nachdem sie einige Minuten durch den Wald gegangen waren, kamen sie zu dem Baumstamm, auf dem sie ihren Bücherkoffer zurückgelassen hatte. Als sie kurz darauf die Straße erreichten, verfielen sie in Laufschritt.

Von Zeit zu Zeit sah sie zu Dorrien hinüber und fragte sich, was er denken mochte. Dann wieder ertappte sie ihn dabei, dass er sie beobachtete, und wenn ihre Blicke sich trafen, lächelte er. Schließlich griff er nach ihrer Hand. Seine Finger waren warm, und als die Gilde in Sicht kam und er ihre Hand losließ, war Sonea seltsam enttäuscht.

Vor dem Magierquartier kam ihnen Rothen entgegen. »Dein Pferd steht schon für dich bereit, Dorrien.« Rothen musterte sie beide von Kopf bis Fuß und zog die Augenbrauen hoch, als er den Schnee auf ihren Schuhen und ihren Roben bemerkte. »Ihr wärt beide gut beraten, wenn ihr eure Kleider trocknen würdet.«

Als sie den Pfad entlanggingen, der an der Universität vorbeiführte, stieg bereits Dampf von Dorriens Robe auf. Sonea konzentrierte sich, dann erwärmte auch sie die Luft um sich herum, bis ihr Gewand getrocknet war. An der Treppe vor der Universität erwartete sie ein Diener, der die Zügel von Dorriens Pferd festhielt.

Dorrien umarmte zuerst Rothen, dann Sonea. »Passt aufeinander auf«, sagte er.

»Pass du auf dich auf«, erwiderte Rothen. »Und versprich mir, dass du nicht durch Schneestürme reitest, nur um schneller nach Hause zu kommen.«

Dorrien schwang sich in den Sattel. »Es hat noch nie einen Schneesturm gegeben, der mich davon abgehalten hätte, nach Hause zurückzukehren!«

»Worüber hast du dann während der letzten vier Wochen ständig gejammert?«

»Ich? Gejammert?«

Rothen verschränkte lachend die Arme vor der Brust. »Mach, dass du fortkommst, Dorrien.«

Dorrien grinste. »Auf Wiedersehen, Vater.«

»Auf Wiedersehen, Dorrien.«

Dorriens Blick huschte zu Sonea hinüber. Sie nahm eine zaghafte Berührung in ihren Gedanken wahr.

— Auf Wiedersehen, Sonea. Lerne schnell.

Dann galoppierte Dorriens Pferd davon, durch die Tore hindurch und hinaus auf die schneebedeckten Straßen der Stadt.

Einige Sekunden lang blieben sie an den Toren stehen und sahen ihm nach. Dann drehte Rothen sich seufzend zu Sonea um. Seine Augen wurden schmal.

»Hm«, sagte er, »irgendetwas ist hier doch im Gange.«

Sie sah ihn unschuldig an. »Und was sollte das sein?«

»Keine Bange.« Er lächelte wissend, dann ging er langsam die Treppe hinauf. »Ich bin damit einverstanden. Der Altersunterschied dürfte wohl kaum eine Rolle spielen. Es sind schließlich nur wenige Jahre. Aber dir ist doch klar, dass du bis zu deinem Abschluss hier bleiben musst, nicht wahr?«

Sonea öffnete den Mund, um zu protestieren, klappte ihn jedoch wieder zu, als sie eine Bewegung in der Eingangshalle wahrnahm. Sie griff nach Rothens Arm.

»Es macht mir nichts aus, wenn Ihr Euch gewissen Spekulationen hingebt, Rothen«, bemerkte sie leise. »Aber ich wäre Euch dankbar dafür, wenn Ihr Eure Gedanken für Euch behalten würdet.«

Er sah sie überrascht an. Sie selbst hielt den Blick auf die Halle gerichtet. Als sie durch die Tür traten, bemerkte Sonea einen anderen Novizen, der hastig die Treppe hinauflief.

Ihr Magen krampfte sich zusammen. Bevor Regin verschwunden war, hatte sie einen Blick auf sein Gesicht werfen können. Nachdem Regin dabei erwischt worden war, wie er ihr einen Diebstahl in die Schuhe hatte schieben wollen, erfreute sie sich bei den Lehrern nun vielleicht einer gewissen widerstrebenden Sympathie, aber sie bezweifelte, dass sie deshalb vor Regins Spott sicher war. In der letzten Zeit war der Junge mit den Vorbereitungen auf die Prüfungen beschäftigt gewesen, aber Sonea vermutete, dass er bereits einen besonders abscheulichen Racheplan ausgeheckt hatte.

»Ich sehe Euch dann heute Abend«, sagte sie zu Rothen.

Er nickte ernst. »Viel Glück, Sonea. Ich weiß, dass du deine Sache gut machen wirst.«

Sie lächelte, dann machte sie sich auf den Weg die Treppe hinauf. Die Universität war voller Novizen, deren leise, angespannte Stimmen eine Atmosphäre der Erwartung und der Furcht schufen. Kurz darauf betrat sie ihr Klassenzimmer.

Regin saß auf seinem angestammten Platz und musterte sie eingehend. Sie wandte sich ab, verbeugte sich vor den beiden Lehrern, die an der vorderen Seite des Raumes standen, und ging zu ihrem Stuhl hinüber. Als sie ihre Notizen über das Geschichtsprojekt herausholte, das sie für Lord Skoran hatten bearbeiten müssen, stellte sie erleichtert fest, dass sie unbeschädigt waren. Fast hatte sie damit gerechnet, dass es Regin irgendwie gelungen war, sich daran zu schaffen zu machen.