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Sonea starrte ihn entsetzt an. Sie sollte seine Geisel sein!

»Ihr werdet in Zukunft nur noch miteinander sprechen, um dafür zu sorgen, dass niemand Verdacht schöpft. Ihr werdet euch beide so benehmen, als sei nichts Ungewöhnlicheres vorgefallen als ein Wechsel von Soneas Mentor. Habt ihr mich verstanden?«

Rothen gab einen erstickten Laut von sich. Sonea drehte sich erschrocken zu dem älteren Magier um und sah Schuldgefühle in seinem Blick.

»Zwingt mich nicht dazu, über eine Alternative nachzudenken«, sagte Akkarin warnend.

Als Rothen ihm antwortete, klang seine Stimme angespannt. »Ich verstehe. Wir werden tun, was Ihr verlangt.«

»Gut.«

Akkarin trat einen Schritt näher an Sonea heran und musterte sie eindringlich. »In meiner Residenz gibt es ein Zimmer für den Novizen des Hohen Lords. Du wirst mich jetzt sofort begleiten und später einen Diener ausschicken, der deine Sachen holt.«

Soneas Kehle war wie zugeschnürt, als sie sich hilfesuchend zu Rothen umwandte. Er erwiderte ihren Blick.

— Es tut mir Leid.

»Sofort, Sonea.« Akkarin deutete auf die Tür, die daraufhin aufschwang.

Rothen, der immer noch die Hände auf ihren Schultern liegen hatte, gab ihr einen sanften Stoß. Sie riss sich zusammen; sie wollte nicht, dass Rothen mit ansehen musste, wie man sie mit Gewalt fortschaffte. Er würde eine Möglichkeit finden, ihr zu helfen. Er würde alles tun, was in seinen Kräften stand. Für den Augenblick hatten sie beide keine andere Wahl, als zu gehorchen.

Sonea holte tief Luft, dann löste sie sich von Rothen und trat in den Korridor hinaus. Akkarin bedachte den älteren Magier mit einem letzten abschätzenden Blick, dann ging er auf die Tür zu. Als der Hohe Lord sich abwandte, loderte Hass in Rothens Augen auf.

Dann fiel die Tür ins Schloss, und er blieb allein im Raum zurück.

»Komm mit«, sagte Akkarin. »Das Novizenzimmer in meiner Residenz hat seit vielen Jahren keinen Bewohner mehr gehabt, aber es hat stets für diesen Verwendungszweck bereitgestanden. Du wirst feststellen, dass es erheblich komfortabler ist als die Zimmer in den Novizenquartieren.«

Zweiter Teil

20

Soneas Glück

Als die Tür geöffnet wurde, blickte der Rektor von seinem Schreibtisch auf, um festzustellen, wer da in sein Büro trat. Zum ersten Mal, seit Sonea sich erinnern konnte, zeigte Jerriks Miene keinen säuerlichen Ausdruck. Er sprang sofort auf.

»Was kann ich für Euch tun, Hoher Lord?«

»Ich möchte mit Euch über Soneas Ausbildung sprechen. Ich habe Euren Bericht gelesen, und ihre mangelhaften Fähigkeiten in gewissen Fächern machen mir Sorgen.«

Jerrik wirkte überrascht. »Soneas Fortschritte waren mehr als zufriedenstellend.«

»Ihre Zensuren in den Kriegskünsten sind bestenfalls durchschnittlich zu nennen.«

»Ah.« Jerrik blickte zu Sonea hinüber. »Es ist nicht ungewöhnlich, wenn ein Novize in diesem Stadium der Ausbildung für eine der Disziplinen eine geringere Neigung zeigt. Auch wenn sie sich in den Kriegskünsten nicht besonders ausgezeichnet hat, sind ihre Noten dennoch akzeptabel.«

»Trotzdem möchte ich, dass etwas deswegen unternommen wird. Ich denke, Lord Yikmo wäre ein geeigneter Tutor.«

»Lord Yikmo?« Jerriks buschige Augenbrauen zogen sich zusammen. »Er unterrichtet abends grundsätzlich nicht, aber wenn Sonea in anderen Fächern Abendkurse belegt, würde sie dadurch tagsüber die notwendige Zeit gewinnen.«

»Ich glaube, sie hat gestern ihre Prüfung in Kriegskunst versäumt.«

»Ja«, erwiderte Jerrik. »Normalerweise hätten wir ihre Prüfung nach den Ferien nachgeholt, aber ich denke, dass uns eine Einschätzung ihrer Leistungen durch Lord Yikmo durchaus genügen würde.« Er blickte auf seinen Schreibtisch hinunter. »Wenn Ihr es wünscht, kann ich mich sofort um Soneas Stundenplan für das nächste Jahr kümmern. Es wird nicht lange dauern.«

»Ja. Ich werde Sonea hier lassen, damit sie ihn gleich mitnehmen kann. Vielen Dank, Rektor.«

Als sich die Tür hinter dem Hohen Lord schloss, holte Sonea tief Luft. Er war fort. Endlich.

Jerrik ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen, dann bedeutete er Sonea, ebenfalls Platz zu nehmen.

»Setz dich, Sonea.«

Sie gehorchte. Während sie abermals tief durchatmete, spürte sie, wie ein Teil der Anspannung von ihr abfiel.

Alles, was nach ihrem Abschied von Rothen geschehen war, erschien ihr wie ein böser Traum. Sie war Akkarin in seine Residenz gefolgt, wo ein Diener ihr ein Zimmer im Obergeschoss gezeigt hatte. Nicht lange danach war eine Truhe mit ihren Habseligkeiten aus dem Novizenquartier gekommen. Ein anderer Diener hatte ihr etwas zu essen gebracht, aber Sonea war zu verstört gewesen, um Hunger zu haben. Stattdessen hatte sie an einem der kleinen Fenster gesessen und die Magier und Novizen draußen auf dem Gelände beobachtet, ohne sie wirklich zu sehen. Ihre ganze Konzentration hatte der Suche nach einem Ausweg aus ihrer Situation gegolten.

Zuerst hatte sie erwogen, in die Hüttenviertel zu fliehen. Jetzt, da sie ihre Magie kontrollieren konnte, wären die Diebe überglücklich gewesen, ihr ihren Schutz anzubieten. Es war ihnen gelungen, Senfel zu verstecken, den wilden Magier, den Faren - erfolglos - zu überreden versucht hatte, sie zu unterrichten. Und wenn sie Senfel verstecken konnten, dann konnten sie auch sie verstecken.

Falls sie jedoch verschwand, würde Akkarin Rothen etwas antun. Aber wenn Rothen vorgewarnt wäre, konnte er dem Rest der Gilde erzählen, dass Akkarin schwarze Magie praktizierte, und das, noch bevor der Hohe Lord erfuhr, dass Sonea verschwunden war. Natürlich würde sie auch Lorlen warnen müssen, da ihm ebenfalls Gefahr drohte, wenn sie fortging. Ja, wenn sie beide Männer vorher warnte und den richtigen Zeitpunkt wählte, würde Akkarin vielleicht keine Chance haben, Lorlen und Rothen daran zu hindern, sein Geheimnis preiszugeben.

Und was dann? Die Gilde würde Akkarin zur Rede stellen. Lorlen glaubte, dass sie einen solchen Kampf nicht gewinnen könnten, und der Administrator kannte Akkarin besser als jeder andere Magier. Wenn sie also floh, beschwor sie möglicherweise eine Konfrontation herauf, die nicht nur die Gilde zerstörte, sondern wahrscheinlich ganz Kyralia.

Und dann war ihr plötzlich der Gedanke gekommen, dass das Schicksal der Gilde in ihren Händen lag. In den Händen eines Hüttenmädchens. Diese plötzliche Macht über das Schicksal der Gilde erfüllte sie jedoch keineswegs mit Freude. Stattdessen war ihr beinahe schlecht vor Angst.

Lange nachdem die Gärten in der Dunkelheit der Nacht verschwunden waren, war der Diener mit einem Getränk zurückgekommen. Sonea hatte den Duft erkannt - es war ein leichtes Schlafmittel gewesen -, und sie hatte das ganze Glas geleert, sich auf dem fremden, viel zu weichen Bett zusammengerollt und die Müdigkeit, die sich langsam in ihr ausbreitete, willkommen geheißen.

Am Morgen hatten eifrige Diener ihr neue Roben und das Frühstück gebracht. Es gelang ihr, einige Bissen zu essen, aber als Akkarin kam, bedauerte sie es. Wie schon am Abend zuvor war ihr übel vor Furcht, als sie ihm zur Universität folgte. Zu Jerriks Büro. War sie auf dem Weg dorthin an anderen Novizen vorbeigekommen? Waren sie beim Anblick des Hohen Lords in Schweigen verfallen, wie sie es immer taten? Sonea konnte sich nicht daran erinnern.

Jerriks Bewegungen waren hektisch, und ein konzentrierter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Sie hatte den Hohen Lord nur wenige Male zusammen mit anderen Magiern gesehen und dabei festgestellt, dass man ihn allgemein mit Respekt, ja sogar mit Ehrfurcht behandelte. Galt diese Huldigung der Position des Hohen Lords? Oder war es etwas anderes? Hatten die Magier instinktiv Angst vor ihm, ohne den Grund dafür zu kennen?