»Ich verstehe.« Akkarins Stimme hatte plötzlich einen harten Klang angenommen. »Ich wünschte, ich könnte dir glauben, aber ich kann es nicht. Heute Abend habe ich etwas mit dir getan, das ich noch nie zuvor getan habe und niemals zu tun beabsichtigte. Während wir uns unterhalten haben, habe ich deine Gedanken gelesen. Sie haben viel mehr enthüllt als das wenige, was du verraten hast. Ich weiß, dass du lügst. Ich weiß, dass du Dinge gesehen hast, die du niemals hättest sehen dürfen, und ich muss herausfinden, woher du diese Informationen hast. Erzähl mir, seit wann du weißt, dass ich schwarze Magie praktiziere.«
So wenige Worte, und alles hatte sich verändert. Lag Bedauern in seiner Stimme oder Schuldbewusstsein? Nein. Nur Zorn…
In seinem Entsetzen nahm Lorlen Zuflucht zu einem letzten, verzweifelten Täuschungsmanöver. Er sah seinen Freund fassungslos an.
»Du praktizierst was?«
Akkarins Miene verdüsterte sich. »Mach dich nicht lächerlich, Lorlen«, fuhr er ihn an. »Ich habe es in deinen Gedanken gesehen. Du weißt, dass du mich nicht belügen kannst.«
Als Lorlen klar wurde, dass er es nicht leugnen konnte, wanderte sein Blick zu dem Messer auf dem Tisch hinüber. Er fragte sich, was jetzt geschehen würde. Ob er sterben würde. Wie Akkarin seinen Tod erklären würde. Ob Rothen und Sonea die Wahrheit vermuten und Akkarins Verbrechen offenbaren würden…
Zu spät wurde ihm klar, dass Akkarin seine Gedanken lesen könnte. Aber das Gesicht des Hohen Lords verriet weder Erschrecken noch Argwohn, nur Neugier, und diese Tatsache gab Lorlen ein wenig Hoffnung.
»Wie lange weißt du es schon?«, hakte Akkarin nach.
»Seit mehr als einem Jahr«, gestand er.
»Woher?«
»Ich bin eines Nachts hierher gekommen. Die Tür stand offen, und ich habe Licht im Treppenhaus gesehen, also bin ich nach unten gegangen. Als ich sah, was du tatest… es war ein Schock. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.«
»Was genau hast du gesehen?«
Stockend beschrieb Lorlen, was Sonea beobachtet hatte. Während er sprach, hielt er Ausschau nach einem Anflug von Scham in den Zügen des anderen Magiers, konnte aber nur eine leichte Verärgerung entdecken.
»Weiß sonst noch jemand davon?«
»Nein«, antwortete Lorlen hastig. Er hoffte, dass er es vermeiden konnte, Sonea und Rothen zu verraten, aber Akkarins Augen wurden schmal.
»Du belügst mich, mein Freund.«
»Das tue ich nicht.«
Akkarin seufzte. »Das ist bedauerlich.«
Lorlen stand auf, um vor seinen alten Freund hinzutreten, fest entschlossen, Akkarin davon zu überzeugen, dass sein Geheimnis bei ihm sicher war. »Akkarin, du musst mir glauben. Ich habe niemandem von diesem Vorfall erzählt. Es hätte in der Gilde zu viel Unruhe gegeben. Ich… ich weiß nicht, warum du mit dieser… dieser verbotenen Magie herumspielst. Ich kann nur darauf vertrauen, dass du gute Gründe dafür hast. Glaubst du, ich würde hier stehen, wenn es anders wäre?«
»Du vertraust mir also?«
»Ja.«
»Dann zeig mir die Wahrheit. Ich muss wissen, wen du schützt, Lorlen, und wie viel genau du herausgefunden hast.«
Plötzlich streckte Akkarin die Hände nach Lorlens Kopf aus. Erschrocken begriff Lorlen, dass Akkarin die Absicht hatte, seine Gedanken zu lesen. Er packte die Hände des anderen Magiers und stieß sie von sich, entsetzt darüber, dass sein Freund etwas Derartiges von ihm verlangen könnte. »Du hast kein Recht…«
Und dann erstarb der letzte Rest von Lorlens Vertrauen in seinen Freund, als dieser die Finger zu einer vertrauten Geste durchbog. Eine Macht, der er sich nicht zu widersetzen vermochte, stieß Lorlen in den Sessel zurück, dann spürte er, wie die Magie des anderen ihn unerbittlich dort festhielt.
»Tu das nicht, Akkarin!«
Aber Akkarin schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid, mein alter Freund, aber ich muss es wissen.«
Und dann spürte Lorlen Akkarins Finger auf seinen Schläfen.
Das hätte nicht möglich sein dürfen! Ich konnte seine Anwesenheit in meinem Geist nicht spüren, und doch war er dort. Wie gelingt es ihm nur, in die Gedanken eines anderen einzudringen, ohne dass sein Opfer etwas davon bemerkt?
Lorlen, dem die Erinnerung jetzt noch einen eisigen Schauer über den Rücken jagte, schlug die Augen auf und starrte die Wände seines Schlafzimmers an. Als er die Fäuste ballte, spürte er den Abdruck eines Metallrings auf der Haut eines seiner Finger. Er hob die Hand, und sein Magen krampfte sich zusammen, als der rote Edelstein in dem fahlen Licht aufblitzte.
Alles war an den Tag gekommen: was Sonea beobachtet hatte, die Wahrheitslesung, Rothens Verwicklung in die ganze Geschichte und alles, was Dannyl in Erfahrung gebracht hatte. Von Akkarins Gedanken und Gefühlen jedoch war nichts in Lorlens Bewusstsein gedrungen. Erst später hatte er ein wenig vom Gemütszustand des Hohen Lords erraten können, als Akkarin eine geschlagene Stunde schweigend in seinem Empfangsraum auf und ab gelaufen war. Was er erfahren hatte, machte ihm offensichtlich große Sorgen, aber seine Haltung hatte nichts von ihrer Entschlossenheit verloren.
Nach geraumer Zeit hatte sich endlich die Magie, die Lorlen in seinem Sessel festhielt, gelöst, und Akkarin hatte wieder nach dem Messer gegriffen. Wenn Lorlen mehr Zeit zum Nachdenken geblieben wäre, hätte er um sein Leben gefürchtet, aber so hatte er Akkarin nur ungläubig angestarrt, als dieser die Klinge über die Innenfläche seiner eigenen Hand zog.
Im nächsten Moment hatte Akkarin nach Lorlens leerem Glas gegriffen und es an der Tischkante zersplittern lassen. Einen der Splitter hatte er aufgefangen und in die Luft geworfen.
Das kleine Stückchen Glas hatte direkt vor Akkarins Augen in der Luft geschwebt und schließlich zu kreisen begonnen, bis es rot glühend geschmolzen war. Als es sich wieder abgekühlt hatte, formte es sich zu einer facettierten Kugel. Akkarin hatte die blutende Hand gehoben und die Finger um die Glaskugel geschlossen. Als er die Faust wieder geöffnet hatte, war der Schnitt verschwunden, und ein leuchtend roter Edelstein hatte in seiner Hand gelegen.
Daraufhin hatte Akkarin einen silbernen Löffel von der Kommode, in der die Flaschen standen, durch die Luft schweben lassen und ihn geschmolzen und verbogen, bis er sich zu einem Ring geformt hatte. Dann hatte er den Edelstein in den dicksten Teil des Ringes gelegt, der sich daraufhin wie eine Blume um das Juwel schloss.
Schließlich hatte er Lorlen den Ring hingehalten. »Streif ihn über.«
Lorlen hatte mit dem Gedanken gespielt, sich zu weigern, aber er wusste, dass Akkarin im Notfall Gewalt angewendet hätte. Er wollte sich die Möglichkeit offen lassen, das seltsame Schmuckstück eines Tages wieder entfernen zu können, daher nahm er den Ring entgegen und streifte ihn sich widerstrebend über den Mittelfinger.
»Ich werde alles um dich herum sehen und hören können«, hatte Akkarin ihm erklärt. »Außerdem werden wir auf diese Weise in der Lage sein, miteinander Verbindung aufzunehmen, ohne dass jemand uns hört.«
Ob Akkarin mich vielleicht gerade jetzt beobachtet? Sieht er mich in meiner Wohnung auf und ab gehen? Macht ihm das, was er mir angetan hat, auch nur im Mindesten zu schaffen?
Obwohl Akkarins Taten Lorlen zutiefst verletzt hatten, war es doch Soneas Schicksal, das ihm die größten Qualen bereitete. Hatte Akkarin Sonea beobachtet, als sie vorhin die Universität verlassen hatte? Sie war mitten auf dem Weg zum Magierquartier abrupt stehen geblieben, und ein schmerzlicher Ausdruck war in ihren Augen erschienen, als ihr plötzlich wieder eingefallen war, dass sie nicht länger zu Rothen zurückkehren konnte.
Er war sich nicht sicher, ob er wünschte, dass Akkarin sie gesehen hatte. Er war sich nicht sicher, ob sein »Freund« überhaupt zu Bedauern oder Schuldgefühlen fähig war. Soweit Lorlen es beurteilen konnte, war es durchaus möglich, dass Akkarin Soneas Unglück sogar genoss.