Mit einem Mal regte sich Hunger in Soneas Magen.
»Vielen Dank, Takan«, murmelte Akkarin, als der Diener mit seinen Erläuterungen zum Ende gekommen war. Takan verbeugte sich und verließ den Raum. Akkarin griff nach einer kleinen Kelle und traf seine Auswahl unter den verschiedenen Speisen.
Von einigen förmlichen Mahlzeiten mit Rothen wusste Sonea, dass dies die traditionelle Art war, in der die kyralischen Häuser Gäste bewirteten. In den Hüttenvierteln verwandte man nur wenig Zeit auf die Vorbereitung des Essens, und das einzige Besteck, das man dort benutzte, war das Messer, das jeder selbst mit sich führte. Die kyralische Tradition, Speisen in kleinen, mundgerechten Stücken zu servieren, bedurfte gründlicherer Vorbereitungen, und je förmlicher eine Mahlzeit war, desto kunstvoller fielen die Speisen aus.
Glücklicherweise hatte Rothen ihr den Zweck all der verschiedenen Gabeln, Löffel, Pinzetten und Spieße erklärt und ihr die Aufgabe gestellt, sich all diese Dinge genau einzuprägen. Wenn Akkarin geglaubt hatte, er könne sie beschämen, indem er ihren Mangel an »richtiger« Erziehung aufdeckte, dann stand ihm eine Enttäuschung bevor.
Sie entschied sich als Erstes für die in Brasi-Blätter eingewickelten Rassook-Stücke, von denen sie eine kleine Menge auf ihren Teller legte. Als sie einen dieser Leckerbissen auf ihre Gabel spießte und in den Mund schob, wurde ihr bewusst, dass Akkarin sie beobachtete.
Ein köstlicher Geschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus. Überrascht nahm sie einen zweiten Bissen. Schon bald war ihr Teller leer, und sie beäugte die nächste Schale.
Während sie jedes einzelne der Gerichte auf dem Tisch kostete, vergaß sie alles andere. Kleine Fischbröckchen waren in einer würzigen, roten Marin-Sauce angerichtet worden. Rätselhafte Päckchen waren mit Kräutern und Harrel-Minze gefüllt. Große, purpurne Crots, Bohnen, die sie immer gehasst hatte, waren mit einer salzigen Kruste umhüllt, die sie praktisch unwiderstehlich machte.
Noch nie zuvor hatte Sonea so köstliche Speisen gegessen. Die Mahlzeiten an der Universität waren immer gut gewesen, und wenn die anderen Novizen über das Essen geklagt hatten, waren sie bei ihr nur auf Unverständnis gestoßen. Diese Mahlzeit erklärte jedoch, wie es möglich war, dass sie an der Küche des Speisesaals etwas auszusetzen hatten.
Bei Takans Rückkehr blickte sie auf und stellte abermals fest, dass Akkarin, das Kinn auf eine Hand gestützt, sie beobachtete. Sie wandte den Blick ab und sah zu, wie Takan die leeren Teller und Schalen übereinander stellte und fortbrachte.
»Wie hat dir das Essen geschmeckt?«
Sonea nickte. »Sehr gut.«
»Takan ist ein hervorragender Koch.«
»Er hat all diese Speisen selbst zubereitet?« Sie konnte ihre Überraschung nicht verbergen.
»Ja, obwohl er eine Gehilfin hat, die für ihn in den Töpfen rührt.«
Takan kam mit zwei Schalen zurück, die er vor sie und Akkarin hinstellte. Sonea lief das Wasser im Mund zusammen. Zu Halbmonden geschnittene Pachi-Früchte glitzerten in dickflüssigem Sirup. Der erste Bissen enthüllte Süße, die durch eine Spur Alkohol eine gewisse Schärfe erhielt. Sonea aß langsam und kostete jeden Bissen voll aus. Für Mahlzeiten wie diese könnte es sich direkt lohnen, seine Gesellschaft zu ertragen, dachte sie.
»Ich möchte, dass du in Zukunft an jedem Ersttagabend hier mit mir speist.«
Sonea erstarrte. Hatte er ihre Gedanken gelesen? Oder trug er sich schon länger mit dem Plan?
»Aber ich habe Abendkurse«, protestierte sie.
»Takan weiß, wie viel Zeit für die Abendmahlzeit zur Verfügung steht. Du wirst deine Stunden nicht versäumen.«
Sie blickte auf die leere Schale hinab.
»Aber heute wirst du deinen Abendunterricht versäumen, wenn ich dich noch länger aufhalte«, fügte er hinzu. »Du darfst jetzt gehen, Sonea.«
In ihrer Erleichterung wäre sie beinahe vom Stuhl gesprungen, dann legte sie eine Hand auf den Tisch, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden, da sich in ihrem Kopf plötzlich alles drehte. Immer noch ein wenig benommen, verneigte sie sich und ging dann auf die Tür zu.
Als sie auf dem Flur kurz innehielt, hörte sie leises Murmeln aus dem Raum hinter der Tür.
»Weniger Wein beim nächsten Mal, Takan.«
»Es war das Dessert, Meister.«
25
An den unmöglichsten Orten
Als Sonea Narron und Trassia zur nächsten Unterrichtsstunde gehen sah, seufzte sie. Ausnahmsweise einmal wünschte sie, sie hätte sich ihnen anschließen können, aber inzwischen stimmte nur noch die Hälfte ihrer Stundenpläne überein. Ihr Ziel für diesen Morgen war ein kleiner Raum tief in den Fluren der Universität, wo Lord Yikmo sie erwartete, um sie weiter in der Kriegskunst zu unterrichten.
Nachdem sie vom Hauptflur in einen Nebengang eingebogen war, verlangsamte sie ihre Schritte. Ein Gefühl düsterer Vorahnung erfasste sie. Die Arena war tagsüber ständig belegt, daher hielt Yikmo seinen Unterricht in einem durch Magie geschützten Raum in der Universität ab. Es wurden nur kleine Mengen Magie benötigt, da sie in diesen Stunden komplizierte Spiele spielten, die ihren Verstand und ihre Reflexe schulen sollten.
Als sie um die nächste Ecke bog, stieß sie beinahe mit einem Magier zusammen. Mit gesenktem Blick murmelte sie eine Entschuldigung.
»Sonea!«
Als sie die Stimme erkannte, hob sie den Kopf, und ihr stockte fast das Herz. Rothen stand vor ihr. Sofort blickten sie beide über ihre Schultern. Der Gang war leer.
»Ich freue mich, dich zu sehen.« Er musterte sie forschend, und sie entdeckte Falten in seinem Gesicht, an deren Existenz sie sich nicht erinnern konnte. »Wie geht es dir?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich bin immer noch hier.«
Er nickte mit grimmiger Miene. »Wie behandelt er dich?«
»Ich bekomme ihn kaum zu sehen.« Sie schnitt eine Grimasse. »Zu viel Unterricht. Ich denke, genau das war seine Absicht.«
Als sie aus einiger Entfernung Schritte näher kommen hörte, blickte sie abermals über ihre Schulter. »Ich muss gehen. Lord Yikmo erwartet mich.«
»Natürlich.« Er zögerte. »Meinem Stundenplan zufolge unterrichte ich morgen deine Klasse.«
»Ja.« Sie lächelte. »Man würde es wohl eigenartig finden, wenn die Novizin des Hohen Lords nicht von dem besten Alchemielehrer unterrichtet würde, den die Gilde hat.«
Seine Züge entspannten sich ein wenig, aber er lächelte nicht. Sonea zwang sich, ihren Weg fortzusetzen. Da sie keine Schritte hinter sich hören konnte, wusste sie, dass er sie noch immer beobachtete. Er sieht anders aus, dachte sie, als sie in einen weiteren Flur einbog. Viel älter. Oder hat er immer schon so alt gewirkt, und ich habe es nur nicht bemerkt? Ohne Vorwarnung schossen ihr Tränen in die Augen. Sie blieb stehen, lehnte sich an eine Wand und blinzelte heftig. Nicht hier! Nicht jetzt! Ich muss mich zusammenreißen! Zitternd holte sie tief Luft und atmete dann langsam wieder aus.
Ein Gong ertönte, und sie konnte die Vibrationen in der Wand hinter sich spüren. In der Hoffnung, dass ihre Augen nicht gerötet waren, eilte sie weiter. Als die Tür zu Yikmos Unterrichtsraum nur noch einige Schritte entfernt war, wurde sie geöffnet, und Sonea, die einen schwarzen Ärmel aufblitzen sah, kam schlitternd zum Stehen.
Nein. Ich kann ihm nicht gegenübertreten. Nicht jetzt. Sie lief zurück zu der letzten Wegbiegung, bis zu einem Gang, der von dem Flur abzweigte, und dort versteckte sie sich. Sie konnte das Gemurmel vertrauter Stimmen hören, verstand jedoch nicht, was gesprochen wurde.
»Nun, das ist ja interessant.«
Sonea fuhr herum. Regin stand, die Arme vor der Brust verschränkt, in dem Gang gegenüber. »Ich dachte, du würdest deinem Mentor auf Schritt und Tritt folgen, statt dich vor ihm zu verstecken.«