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Sie lief zu Lord Jullens Schreibtisch und nahm sich einen dünnen Bogen Papier, eine Schreibfeder und sein Tintenfass. Dann legte sie das Papier über die Karte und begann zu zeichnen, so schnell sie konnte. Sie hatte das Gefühl, dass es viel zu lange dauerte, aber schließlich war sie fertig. Sie faltete die Kopie der Karte zusammen und schob sie in eine Tasche in ihrer Robe.

Erst dann hörte sie das leise Geräusch von Schritten, die sich der Bibliothek näherten. Mit einem gemurmelten Fluch säuberte sie hastig Jullens Schreibfeder und legte sie an ihren Platz zurück. Sie lief in den Lagerraum hinüber, schob die Karte wieder in das Buch und stellte den Band zurück. Sie hatte gerade das Stück Holz wieder an seine Stelle gedrückt, als sie hörte, dass die Schritte vor der Bibliothekstür innehielten. Mit einem Satz sprang sie von der Mauer weg und konzentrierte ihren Willen auf den Schrank.

Ganz ruhig. Sie holte tief Luft, hob den Schrank an und schob ihn zurück an die Wand.

Die Tür der Bibliothek fiel mit einem leisen Klicken ins Schloss.

»Sonea?«

Sonea zitterte so heftig, dass sie ihrer Stimme nicht trauen konnte.

»Hm?«, antwortete sie.

Tya erschien in der Tür zum Lagerraum. »Bist du fertig?«

Sonea nickte und griff nach den leeren Kartons.

»Es tut mir Leid, dass ich so lange gebraucht habe.« Tya runzelte die Stirn. »Du wirkst ein wenig… beunruhigt.«

»Es ist ziemlich unheimlich hier drin«, gab Sonea zu.

Tya lächelte. »Ja, das stimmt. Aber dank deiner Hilfe ist alles erledigt, und wir können endlich schlafen gehen.«

Als Sonea Tya aus der Bibliothek folgte, legte sie eine Hand auf die Tasche, in der die Karte versteckt war, und lächelte.

29

Eine Enthüllung

Sonea holte tief Luft, bevor sie Yikmos Übungsraum betrat. Direkt hinter der Tür blieb sie stehen, den Blick zu Boden gerichtet.

»Mylord«, begann sie. »Ich entschuldige mich dafür, dass ich Euch gestern Abend nicht gehorcht habe. Ihr habt mir geholfen, und ich war unhöflich.«

Yikmo schwieg einen Moment, dann kicherte er. »Dafür brauchst du dich nicht zu entschuldigen, Sonea.«

Zu ihrer Erleichterung sah sie, dass er lächelte. Er zeigte auf einen Stuhl, und sie nahm gehorsam Platz.

»Genau das ist meine Methode, und ich möchte, dass du das verstehst«, erklärte er. »Ich nehme Novizen, die mit den Kriegskünsten Schwierigkeiten haben, in meine Obhut und finde heraus, warum dem so ist. Von allen Novizen, die ich bisher unterrichtet habe, bist du jedoch die einzige, die meine Hilfe nicht freiwillig gesucht hat. Wenn den Novizen klar wird, dass ich persönliche Fragen ansprechen werde, die der Grund für ihre Probleme sein könnten, haben sie drei Möglichkeiten: Sie akzeptieren meine Unterrichtsmethode, suchen sich einen anderen Lehrer oder entscheiden sich für eine andere Disziplin. Aber du? Du bist nur deshalb hier, weil dein Mentor es wünscht.« Er sah sie direkt an. »Habe ich Recht?«

Sonea nickte.

»Es ist schwer, Gefallen an etwas zu finden, worin man nicht gut ist.« Der Magier betrachtete sie gelassen. »Möchtest du deine Fähigkeiten in dieser Disziplin verbessern, Sonea?«

Sie zuckte die Achseln. »Ja.«

Seine Augen wurden schmal. »Ich nehme an, das sagst du nur, weil du glaubst, du müsstest es sagen, Sonea. Ich werde mit deinem Mentor nicht über deine Antwort sprechen, wenn es das ist, wovor du Angst hast. Du wirst auch meine Achtung nicht verlieren, wenn du meine Frage verneinst. Denk noch einmal genau darüber nach. Möchtest du diese Kunst wirklich zu beherrschen lernen?«

Sonea dachte an Regin und seine Gefährten. Wenn Yikmos Unterricht ihr half, sich zu verteidigen … aber welchen Sinn hatten Geschick und Strategie, wenn sich so viele Novizen gegen sie verbündeten?

Gab es irgendeinen anderen Grund, warum sie ihre Leistungen in den Kriegskünsten verbessern wollte? Die Anerkennung des Hohen Lords kümmerte sie wenig - und selbst wenn sie das Niveau von Yikmo oder Balkan erreichte, würde sie niemals stark genug sein, um gegen Akkarin zu kämpfen.

Eines Tages würde die Gilde jedoch vielleicht die Wahrheit über den Hohen Lord erfahren. Dann wollte sie zur Stelle sein, um mit den anderen zu kämpfen. Wenn sie sich auf die Kriegskünste verstand, würde das die Chancen, Akkarin zu besiegen, jedenfalls vergrößern.

Sie straffte sich. Ja, das war ein guter Grund, um an ihren Fähigkeiten zu arbeiten. Der Unterricht in den Kriegskünsten machte ihr keinen Spaß, aber wenn sie dazu beitrugen, dass die Gilde eines Tages Akkarin bezwingen konnte, sollte sie lernen, so viel sie nur konnte.

Sie blickte zu Yikmo auf. »Wird mir Euer Fach besser gefallen, wenn ich Fortschritte mache?«

Der Krieger lächelte breit. »Ja. Das verspreche ich dir. Es wird allerdings auch Stunden geben, die dir weniger zusagen werden. Wir alle müssen von Zeit zu Zeit eine Niederlage erleiden, und ich kenne niemanden, dem das Spaß macht.« Er hielt inne, und seine Miene wurde wieder ernst. »Aber zuerst müssen wir uns schwierigeren Dingen zuwenden. Du hast viele Schwächen, die du überwinden musst, und die meisten deiner Probleme hängen mit dem zusammen, was du während der Säuberung erlebt hast. Die Angst, einen Menschen zu töten, ist der Grund für dein Widerstreben, im Kampf Magie einzusetzen, und da du weißt, dass du stärker bist als andere, bist du erst recht vorsichtig. Du musst lernen, dir selbst zu vertrauen. Du musst die Grenzen deiner Stärke und deiner Kontrolle kennen lernen - und ich habe einige Übungen für dich ausgearbeitet, die dir dabei helfen werden. Heute Nachmittag steht uns die Arena zur Verfügung.«

Sonea sah ihn überrascht an. »Die Arena?«

»Ja.«

»Nur für mich?«

»Du wirst ganz allein dort sein - mit deinem Lehrer natürlich.« Er machte einen Schritt auf die Tür zu. »Lass uns gehen.«

Sonea stand auf und folgte Yikmo aus dem Raum.

»Wird die Arena nicht ständig von anderen Klassen benutzt?«

»Ja«, erwiderte Yikmo. »Aber ich habe Balkan dazu überredet, seine Klasse heute Nachmittag anderweitig zu beschäftigen.« Er sah sie an und lächelte. »Ich habe ihn gebeten, sich etwas auszudenken, das Spaß macht und sie aus der Gilde hinausbringt, so dass sie es dir nicht übel nehmen, dass du sie aus der Arena verdrängst.«

»Was tun sie denn?«

Er kicherte. »Sie gehen in einen alten Steinbruch und sprengen Geröll aus dem Felsen.«

»Was werden sie dadurch lernen?«

»Das zerstörerische Potenzial ihrer Kräfte zu respektieren.« Er zuckte die Achseln. »Außerdem wird diese Übung ihnen vor Augen führen, welchen Schaden sie anzurichten imstande sind, sollten sie jemals außerhalb der Arena kämpfen.«

Als sie das Gebäude verließen und sich auf den Weg zur Arena machten, blickte Sonea zu den Fenstern der Universität hinauf. Obwohl sie dort niemanden entdecken konnte, wurde ihr plötzlich bewusst, dass ihre »private« Unterrichtsstunde keineswegs privat sein würde.

Sie stiegen zum Portal der Arena hinunter, gingen einige Schritte durch die Dunkelheit und traten dann wieder ins Sonnenlicht hinaus.

Yikmo zeigte zum Heilerquartier hinüber. »Greif den Schild an.«

Sie runzelte die Stirn. »Ich soll einfach… angreifen?«

»Ja.«

»Welche Art von Angriff soll ich anwenden?«

Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Irgendeine. Es spielt keine Rolle. Greif einfach an.«

Sonea holte tief Luft, konzentrierte sich und schleuderte einen Feuerzauber gegen den unsichtbaren Schild. Als der Zauber sein Ziel traf, kräuselten sich Hunderte von feinen Energiefäden zwischen den gewölbten Türmen der Arena. Ein gedämpftes Klirren vibrierte in der Luft.

»Schlag noch einmal zu, aber stärker.«

Diesmal bedeckten die Blitze den gesamten gewölbten Schild. Yikmo lächelte und nickte.