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* * *

Sie sorgten für George, wie sie es ihm versprochen hatten; sie waren gut zu ihm und immer freundlich - etwa in der gleichen Art, dachte George, in der er sich selbst einer kranken kleinen Katze angenommen hätte.

Sie ermahnten ihn, er solle sich doch wieder für seine Umwelt interessieren. Und sie versuchten ihn dadurch zu trösten, daß sie ihm versicherten, sein Zustand sei durchaus nicht ungewöhnlich, und er werde schon wieder zur Vernunft kommen.

Dr. Ellenford suchte ihn persönlich auf, um ihm zu sagen, daß er Georges Eltern davon benachrichtigt hatte, ihr Sohn sei in einem Spezialauftrag unterwegs.

"Wissen sie...", murmelte George.

Ellenford schüttelte beruhigend den Kopf. "Ich habe keine näheren Angaben gemacht."

Zuerst hatte George jegliche Nahrungsaufnahme verweigert. Sie ernährten ihn intravenös, sie nahmen ihm alle scharfen Gegenstände fort und stellten ihn unter Bewachung. Hali Omani teilte ein Zimmer mit ihm, und seine unerschütterliche Ruhe beruhigte auch George.

Eines Tages bat George ihn aus reiner Langeweile um ein Buch.

Omani, der eigentlich ständig las, sah auf und grinste zufrieden. George hätte seine Bitte in diesem Augenblick am liebsten wieder zurückgenommen, aber dann überlegte er sich, daß das kindisch gewesen wäre.

Er hatte keinen bestimmten Wunsch geäußert, deshalb brachte Omani ihm ein Chemiebuch. Es war groß gedruckt, mit kurzen Sätzen und vielen Abbildungen. Ein Chemiebuch für Jugendliche. George warf es wütend an die Wand.

Das würde er also immer bleiben. Ein Jugendlicher sein ganzes Leben lang. Ewig ein Nicht-Erzogener, der speziell für ihn geschriebene Bücher lesen mußte. Er lag auf seinem Bett und starrte vor sich hin, bis er eine Stunde später doch aufstand und in dem Buch zu lesen begann.

* * *

Eine Woche darauf hatte er es ausgelesen und verlangte ein anderes.

"Soll ich das erste zurückbringen?" fragte Omani.

George runzelte die Stirn. Er hatte nicht alles verstanden, wollte diese Tatsache aber nicht gern zugeben.

Aber Omani erlöste ihn aus diesem Zwiespalt, als er hinzufügte: "Vielleicht behältst du es doch lieber. Schließlich muß man Bücher immer wieder lesen."

Das war an dem Tag, an dem George Omanis Einladung zu einer Besichtigung der Anstalt annahm. Er hielt sich dabei dicht hinter dem Nigerianer und sah sich nur widerstrebend um.

Die Anstalt war tatsächlich kein Gefängnis. Hier gab es weder hohe Mauern noch verschlossene Türen noch Wächter. Aber sie war ein Gefängnis, weil die Insassen nicht gewußt hätten, was sie in der Außenwelt tun sollten.

George fühlte sich durch den Anblick seiner Leidensgenossen irgendwie getröstet. Man konnte sich so leicht einbilden, man sei der einzige Mensch auf der Welt, der so... verkrüppelt war.

"Wie viele Leute sind hier eigentlich?" murmelte er.

"Zweihundertfünf, George, und dies ist nicht die einzige Anstalt auf der Welt. Es gibt noch Tausende von anderen."

Männer sahen auf, wenn George an ihnen vorbeiging; in der Turnhalle, auf den Tennisplätzen, in der Bibliothek (er hätte nie gedacht, daß es so viele Bücher geben könnte; hier waren sie tatsächlich in langen Regalen aufgereiht). Die anderen starrten George neugierig an, und er warf ihnen böse Blicke zu. Schließlich waren sie auch nicht besser als er; sie brauchten ihn nicht anzustarren, als sei er eine Abnormität.

Alle Insassen waren jünger als fünfundzwanzig. "Was geschieht mit den älteren Leuten?" wollte George plötzlich wissen.

Omani antwortete: "Diese Anstalt ist speziell für jüngere Menschen eingerichtet." Dann erst schien er Georges Gedanken zu erraten, denn er schüttelte ernst den Kopf und fuhr fort: "Da wirst nicht aus dem Weg geschafft, falls du das gemeint haben solltest. Es gibt andere Anstalten für ältere Leute."

"Wen kümmert das schon", murmelte George und versuchte uninteressiert zu erscheinen.

"Vielleicht dich. Wenn du älter bist, kommst du in eine Anstalt, in der nicht nur Männer sind."

George war ehrlich überrascht. "Frauen ebenfalls?"

"Natürlich. Oder hast du etwa geglaubt, daß Frauen dagegen immun sein könnten?"

George schüttelte den Kopf.

Omani blieb in der Tür eines größeren Raums stehen, in dem fünf oder sechs junge Männer vor einem Fernsehapparat saßen. "Das ist ein Klassenzimmer", erklärte er George.

"Und was tun diese Leute hier?"

"Sie werden erzogen", erklärte Omani ihm. "Allerdings", fügte er rasch hinzu, "nicht in der üblichen Weise."

"Sie lernen also langsam und allmählich, willst du damit sagen."

"Richtig. Früher war das die einzige Methode."

"Und was haben sie davon?" fragte er.

"Sie vertreiben sich die Zeit, George, und befriedigen gleichzeitig ihre Neugier."

"Was haben sie davon?"

"Es macht sie glücklicher."

George dachte abends im Bett darüber nach.

Am nächsten Morgen wandte er sich an Omani. "Kannst du mir ein Klassenzimmer zeigen, wo ich etwas über das Programmieren von Elektrorechnern lernen kann?"

"Gern", antwortete Omani herzlich.

* * *

Die Methode war langwierig, und George lehnte sie innerlich ab. Warum sollte man sich etwas immer und immer wieder erklären lassen müssen? Warum sollte er eine schwierige Stelle lesen und trotzdem nicht alles sofort verstehen? Andere Leute hatten es doch auch einfacher!

Manchmal wollte er schon aufgeben. Einmal blieb er dem Unterricht mehrere Wochen lang fern.

Aber er kam immer wieder zurück. Der Ausbilder, der einzelne Aufgaben zuteilte und schwierige Begriffe erklärte, verlor niemals ein Wort darüber.

George erhielt schließlich bestimmte Arbeiten innerhalb des Gartens und der Küche zugeteilt. Das sollte ein gewisser Fortschritt sein, aber George ließ sich davon nicht beeindrucken. Die Anstalt war absichtlich nicht vollautomatisiert, damit die jungen Leute beschäftigt werden konnten, um ihnen die Illusion einer verantwortungsvollen Tätigkeit zu vermitteln. Nein, George ließ sich nicht hereinlegen.

Sie erhielten sogar eine Entlohnung, die sie entweder für bestimmte Luxusartikel ausgeben oder für eine spätere Verwendung zurücklegen konnten. George bewahrte sein Geld in einer offenen Dose auf einem Regal auf. Er hatte keine Ahnung, wieviel er im Laufe der Zeit angesammelt hatte. Es war ihm auch gleichgültig.

Er schloß keine Freundschaften, lernte aber einige der anderen Insassen so gut kennen, daß sie ihn freundlich begrüßten, wenn sie sich zufällig trafen. Er dachte weniger oft über den Justizirrtum nach, dem er seine Einlieferung in die Anstalt verdankte. Manchmal träumte er wochenlang nicht mehr von Antonelli, den er noch immer als den eigentlich Schuldigen ansah.

An einem eiskalten Februartag sagte Omani zu ihm: "Eigentlich erstaunlich, wie du dich schon angepaßt hast."

Aber das war im Februar gewesen; genauer gesagt am dreizehnten Februar, seinem neunzehnten Geburtstag. Der März verging, dann der April, und als der Mai heranrückte, stellte George fest, daß er sich keineswegs angepaßt hatte.

Der letzte Mai war unbeachtet vorübergegangen, weil George damals noch teilnahmslos im Bett lag. Aber dieses Jahr war alles anders.

George wußte, daß nun bald die Olympischen Spiele stattfinden würden, bei denen die jungen Männer miteinander um einen Platz auf einer neuen Welt kämpften. George dachte an die festliche Stimmung, die Aufregung, die Zeitungsmeldungen, die Rekrutierungsbüros von anderen Planeten, den rauschenden Beifall für die Sieger...

Deshalb konnte er nicht verhindern, daß seine Stimme sehnsuchtsvoll klang, als er sagte: "Morgen ist der erste Mai. Die Olympischen Spiele!"

Und das führte zu seinem ersten Streit mit Omani, in dessen Verlauf der Nigerianer schließlich den vollen Namen der Institution aussprach, in der George sich befand.

Omani sah George in die Augen und sagte deutlich: "Eine Anstalt für Schwachsinnige."