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Vom ersten Augenblick an wurde sie von den Leichen verfolgt. Das Meer versuchte hartnäckig immer wieder, sie auf ihr Stückchen Sand zu werfen, und sie blieb, bis ihr die Kräfte schwanden, hartnäckig dabei, sie wieder ins Meer zurück zu werfen, wo die Haie sie zerrissen und verschlangen. Als sie nicht mehr konnte, begannen die Leichen ihren Strand mit ihrem grausigem Schrecken zu überziehen und sie zog sich so weit wie möglich von ihnen zurück, was nicht weit war.

Am zehnten Tag war ihre letzte Kokosnuss aufgebraucht und sie vertrocknete vor Durst. Sie schleppte sich auf der Suche nach Kokosnüssen den Strand entlang. Es war seltsam, dass so viele Leichen antrieben und keine einzige Nuss. Es mussten doch mehr Kokosnüsse herumschwimmen als tote Menschen! Schließlich gab sie auf und blieb erschöpft liegen. Das Ende war da. Es blieb ihr nichts mehr, als auf den Tod zu warten.

Als sie aus ihrem Dämmerzustand wieder auftauchte, wurde sie sich nach und nach bewusst, dass sie ein Büschel rotblonden Haares auf dem Kopf einer Leiche anstarrte. Das Meer warf den Körper auf sie zu, zog ihn wieder zurück. Er rollte herum und sie sah, dass er kein Gesicht mehr hatte. Und dennoch kam ihr an diesem Büschel rotblonden Haares etwas bekannt vor. Eine Stunde verging. Sie strengte sich nicht besonders an, die Leiche zu identifizieren. Sie wartete auf den Tod, und es war ihr ziemlich gleichgültig, welcher Mann dieses entsetzliche Ding einmal gewesen war. Aber nach Ablauf einer Stunde setzte sie sich langsam auf und starrte den Leichnam an. Eine ungewöhnlich hohe Welle hatte ihn soweit an Land geworfen, dass die kleineren ihn nicht mehr erreichen konnten. Ja, sie hatte recht; dieses Büschel rotblonden Haares konnte nur einem Menschen in den Paumotus gehören. Es war Levy, der deutsche Jude, der Mann, der die Perle gekauft und auf der Hira mit sich fortgenommen hatte. Nun, eines war offensichtlich: Die Hira war gesunken. Der Gott der Fischer und Diebe des Perlenaufkäufers hatte ihn im Stich gelassen.

Sie kroch hinab zu dem toten Mann. Sein Hemd war fortgerissen worden und sie konnte den ledernen Geldgürtel um seine Taille sehen. Sie hielt den Atem an und zerrte an den Schnallen. Sie gaben leichter nach, als sie erwartet hatte und sie kroch hastig über den Sand fort, den Gürtel hinter sich her schleifend. Tasche nach Tasche öffnete sie die Verschlüsse des Gürtels und fand sie leer. Wo konnte er sie hingetan haben? In der allerletzten Tasche entdeckte sie sie, die erste und einzige Perle, die er auf dieser Reise gekauft hatte. Sie kroch noch ein paar Meter weiter weg, um dem Pestgestank des Gürtels zu entkommen und untersuchte die Perle. Es war die, die Mapuhi gefunden und die ihn Toriki geraubt hatte. Sie wog sie in der Hand und rollte sie zärtlich hin und her. Aber sie sah nicht die ihr innewohnende Schönheit. Was sie sah, war das Haus, das Mapuhi und Tefara und sie so sorgfältig im Geiste gebaut hatten. Jedesmal, wenn sie die Perle ansah, sah sie das Haus in allen Details vor sich, einschließlich der achteckigen Pendeluhr an der Wand. Das war etwas, wofür es sich zu leben lohnte.

Sie riss einen Streifen aus ihrem Ahu und knotete sich die Perle sicher um den Hals. Dann ging sie den Strand entlang, stöhnend und keuchend, aber fest entschlossen, Kokosnüsse zu finden. Bald hatte sie eine entdeckt, und als sie sich umsah, eine zweite. Sie brach eine davon auf, trank die Milch, die schimmlig schmeckte und aß das Fleisch bis zum letzten Brocken. Ein wenig später fand sie einen zertrümmerten Einbaum. Der Ausleger war verschwunden, aber ihre Hoffnung wuchs und bevor der Tag vorüber war, hatte sie auch den Ausleger gefunden. Jeder Fund war eine Verheißung. Die Perle ein Talisman. Spät am Nachmittag sah sie eine Holzkiste, die tief im Wasser schwamm. Als sie sie an Land zerrte, klapperte der Inhalt und drinnen fand sie zehn Büchsen Lachs. Sie öffnete eine davon, indem sie damit auf das Kanu einhämmerte. Als ein Loch entstand, trank sie den Saft. Danach verbrachte sie mehrere Stunden damit, den Lachs herauszuholen, indem sie Stück für Stück heraushämmerte und –quetschte.

Noch acht Tage länger wartete sie auf Rettung. In der Zwischenzeit befestigte sie den Ausleger wieder am Kanu, wobei sie zum Verzurren alle Kokosfasern verwendete, die sie finden konnte, und auch die verbliebenen Reste ihres Ahu. Das Kanu hatte große Risse und sie konnte es nicht wasserdicht bekommen; aber sie verstaute eine aus der Schale einer Kokosnuss gemachte Kalebasse als Schöpfer an Bord. Das Paddel war ein Problem. Mit einem Stück Blech sägte sie sich die Haare dicht über der Kopfhaut ab. Aus den Haaren flocht sie eine Schnur; und mittels dieser Schnur verzurrte sie ein einen Meter langes Stück Besenstiel mit einem Brett von der Lachskiste.

Mit den Zähnen nagte sie sich Keile zurecht und mit diesen Keilen spannte sie die Verzurrung fest.

Am achtzehnten Tag, um Mitternacht, brachte sie das Kanu durch die Brandung zu Wasser und machte sich auf den Rückweg nach Hikueru. Sie war eine alte Frau. Die durchlittene Mühsal hatte ihren Körper allen Fetts beraubt, bis kaum mehr als Haut und Knochen und ein paar Muskelstränge übrig blieben. Das Kanu war groß und hätte von drei starken Männern gepaddelt werden sollen.

Aber sie tat es allein, mit einem improvisierten Paddel. Außerdem leckte das Kanu stark, und ein Drittel ihrer Zeit musste sie darauf verwenden, es auszuschöpfen. Bei hellem Tageslicht hielt sie vergebens Ausschau nach Hikueru. Hinter ihr war Takokota hinter dem Horizont verschwunden. Die Sonne brannte auf ihre Nacktheit hernieder und raubte ihren Körper das letzte Quäntchen Feuchtigkeit. Zwei Dosen Lachs waren noch übrig und im Laufe des Tages schlug sie Löcher hinein und saugte die Flüssigkeit heraus. Sie konnte keine Zeit darauf vergeuden, das Fleisch herauszuholen. Eine Strömung setzte nach Westen, und sie trieb westwärts ab, unabhängig davon, wie weit sie südwärts vorankam.

Am frühen Nachmittag, aufrecht im Kanu stehend, sichtete sie Hukueru. Seine Fülle an Kokospalmen war verschwunden. Nur hie und da, in weiten Abständen, konnte sie die zerfetzten Überbleibsel eines Baumes sehen. Der Anblick weckte ihre Lebensgeister. Sie war näher, als sie geglaubt hatte. Die Strömung versetzte sie nach Westen. Sie stemmte sich dagegen und paddelte weiter. Die Keile in der Verzurrung des Paddels lockerten sich und sie verlor in regelmäßigen Abständen viel Zeit damit, sie wieder fest zu schlagen. Und dann das Schöpfen. Eine Stunde von drei musste sie das Paddeln einstellen, um zu schöpfen. Und die ganze Zeit driftete sie weiter nach Westen.

Bei Sonnenuntergang lag Hikueru südöstlich von ihr, drei Meilen entfernt. Es war Vollmond und um Acht lag das Land genau im Osten und war zwei Meilen entfernt. Sie kämpfte noch eine Stunde lang weiter, aber das Land blieb so weit weg wie vorher. Die Strömung hatte sie jetzt fest in ihrem Griff; das Kanu war zu groß, das Paddel unzulänglich, zu viel Zeit und Kraft verschwendete sie mit Schöpfen. Außerdem war sie sehr schwach und wurde immer schwächer. Trotz aller Anstrengungen wurde ihr Kanu nach Westen abgetrieben.

Sie schickte ein Gebet zu ihrem Hai-Gott, ließ sich über die Bordwand gleiten und fing an, zu schwimmen. Tatsächlich erfrischte sie das Wasser und sie ließ das Kanu schnell hinter sich. Nach Ablauf einer Stunde war sie dem Land merklich näher gekommen. Dann kam die Angst. Genau vor ihren Augen, keine sieben Meter entfernt, durchschnitt eine große Finne das Wasser. Als sie gleichmäßig darauf zu schwamm, glitt sie langsam davon, kurvte nach rechts und umrundete sie. Ohne die Finne aus den Augen zu lassen schwamm sie weiter. Wenn die Finne untertauchte, legte sie sich mit dem Gesicht nach unten aufs Wasser und hielt Ausschau. Wenn die Finne wieder auftauchte, schwamm sie weiter. Das Monster hatte es nicht eilig – soviel konnte sie erkennen. Ohne Zweifel war es seit dem Hurrikan gut genährt. Wäre es sehr hungrig gewesen, hätte es nicht gezögert, sie anzugreifen. Der Hai war fünf Meter lang und sie wusste, dass er sie mit einem einzigen Biss in zwei Hälften zerteilen konnte.