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Wolfgang und Heike Hohlbein

DIE PROPHEZEIUNG

Eine phantastische Geschichte

Fließtext-RTF

Non-profit scan by tigger, Juni 2003

Kein Verkauf!

Ueberreuter

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Hohlbein, Wolfgang:

Die Prophezeiung / Wolfgang Hohlbein. -

Wien : Ueberreuter, 1993

ISBN 3-8000-2383-0

J2076/1

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag von Jörg Huber

Copyright © by Verlag Carl Ueberreuter, Wien

Druck und Bindung; Ueberreuter Buchproduktion, Korneuburg

Printed in Austria

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Prolog

Fast alle seine Krieger waren tot. Und die wenigen, die noch am Leben waren, würden in wenigen Augenblicken sterben, und keine Macht des Himmels konnte sie noch retten. Die Feinde waren zu übermächtig - auf einen seiner Krieger kamen zehn von ihnen, ein Verhältnis, gegen das aller Mut und alle Tapferkeit nichts nutzen. Er wußte es. Hier oben, zwischen den sonnendurchglühten, geborstenen Felsen der Schlucht, in die er sich geflüchtet hatte, war die Luft erfüllt gewesen von Staub, dem scharfen Schweiß von Mensch und Tier, dem Klirren von Waffen und den dumpfen Lauten zusammenprallender Körper, in das sich gellende Schmerz- und Todesschreie mischten.

Aber nun war der Höhepunkt überschritten, und aus dem verbissenen Ringen derer, die geschworen hatten, sein Leben mit den ihren zu verteidigen, war längst ein verzweifeltes Rückzugsgefecht geworden; ein Kampf, der keinem anderen Zweck mehr diente als dem, den Feind aufzuhalten, einige wenige Augenblicke mehr Leben für ihn selbst, nach denen ihn nichts anderes erwartete als ein schmachvoller Tod.

Echnaton wußte es. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben als Mensch und Gott, als Herrscher über Ägypten und als Stellvertreter des einen und einzigen Gottes war ihm seine eigene Sterblichkeit wirklich bewußt geworden; nicht die Vorstellung des Todes als abstrakter Begriff, als etwas, was irgendwann und irgendwo einmal geschehen würde, sondern hier und jetzt. Er spürte keine Angst. Vielleicht weil er sofort begriffen hatte, daß es kein Entkommen geben würde, als er das gewaltige Heer sah, das der Verräter aufgeboten hatte, um ihn zu vernichten.

Aber er fühlte keine Angst.

Nur Verbitterung und Schmerz.

Und eine tiefe, mit Zorn gemischte Enttäuschung, daß dies nun alles gewesen war, ein grausamer Tod in dieser sonnendurchglühten Wüste.

Er wußte nicht, warum er sterben mußte.

Er wußte nicht, wer seine Mörder waren, und vielleicht war das das Schlimmste: sterben zu sollen, ohne zu wissen, warum, ohne sich einer Schuld bewußt zu sein. All diese Männer, die den Eid, den sie ihm geschworen hatten, nun auf so grausame Weise einlösten, mußten sterben, ohne daß er einen Grund dafür hätte nennen können, ohne daß er seine Mörder auch nur kannte.

Echnaton schleppte sich weiter durch den schmalen Felsspalt nach oben. Das grelle Sonnenlicht machte ihn fast blind. Jeder Schritt war eine größere Anstrengung als der davor, jeder Atemzug eine Qual, der kleine feurige Schmerzpfeile durch seinen Körper schießen ließ. Er wußte, daß er die Anstrengung nicht mehr lange ertragen würde. Er war kein starker Mann. Anders als die anderen Pharaonen vor ihm war er selten auf die Jagd gegangen und hatte niemals an einem Kriegszug teilgenommen, ja, seinen Palast in Achet-Aton während der letzten fünf Nilschwemmen nicht einmal mehr verlassen. Vielleicht rächte sich dieses Versäumnis jetzt. Hinter ihm lag nichts als die sonnenverbrannte Wüste, aber ein wirklich kräftiger Mann hätte es vielleicht geschafft, sich nach Theben durchzuschlagen, der Hauptstadt des Reiches, die das Ziel seiner Reise gewesen war.

Echnaton überlegte, ob sie vielleicht nicht nur das Ziel seiner Reise, sondern auch der Grund für diesen heimtückischen Überfall war. Er hatte mit vielen alten Regeln gebrochen beim Aufbau seines neuen Königreiches, nicht nur die alten Götter, sondern auch ihre Priester erzürnt, und er war nicht ganz so einfältig, wie viele glaubten: Natürlich wußte er, daß viele seines Volkes insgeheim noch der alten Religion und dem alten Irrglauben anhingen, und es waren einflußreiche Männer darunter, Priester und Generäle. Aber es gab keinen unter ihnen, denen Echnaton einen Aufstand zutraute oder gar den Mord an einem Pharao!

Hätte er noch die Kraft dazu gehabt, dann hätte er vielleicht gelacht, als er begriff, daß er über sich selbst bereits wie über einen Toten dachte. So wurde nur ein Verzerren der Lippen daraus, das eher eine Grimasse der Pein war als ein Lächeln.

Er erreichte das Ende der schmalen, steilen Klamm und blieb einen Moment stehen, um zurückzublicken. Über dem Tal hing eine gewaltige Staubwolke, so daß der Großteil des grauenhaften Anblickes verhüllt wurde. Es waren die tapfersten der Tapferen, die dort unten gekämpft hatten, doch selbst die Kräfte eines Löwen mußten erlahmen, wenn er von hundert Schakalen gleichzeitig angegriffen wurde. Bald würden die letzten seiner Männer fallen, und dann würden sie kommen und ihn töten.

Ein Gefühl tiefer, schmerzlicher Verbitterung machte sich in Echnaton breit. Warum? Was hatte er getan, daß sie die Hand gegen ihn erhoben, gegen den Herrscher des Landes, gegen einen Gott? Und was hatte er getan, daß jener andere, mächtigere Gott, dessen Größe und Lob er sein ganzes Leben und das seines Volkes gewidmet hatte, ihn im Stich ließ?

Zitternd wandte er sich wieder um und hob den Blick zur Sonne, deren Licht grell und schmerzhaft in seine Augen stach.

Aton, dachte er, warum hast du mich verlassen? Warum wendest du dich ab von deinem Sohn, dem du doch die Herrschaft über die Menschen in meinem Lande gegeben hast und der deinen Ruhm gemehrt und alle anderen Götter vertrieben hat?

Aber die lodernde Sonnenscheibe am Himmel antwortete nicht.

Nur ihr Licht brannte weiter in Echnatons Augen, und ihre Hitze sengte auch noch das letzte bißchen Feuchtigkeit aus seinem Körper. Er hatte Durst. Entsetzlichen Durst. Er, der niemals gewußt hatte, was es hieß, zu dursten oder zu hungern, dem zeit seines Lebens jeder Wunsch von den Augen abgelesen worden war und der nicht einmal wußte, was das Wort Entbehrung bedeutete, hätte die letzten Augenblicke, die ihm noch zu leben verblieben, gegen einen Schluck Wasser eingetauscht.

Taumelnd ging er weiter. Er hatte nicht mehr die Kraft, zu rennen - und er wollte es auch gar nicht. Etwas in ihm hatte längst begriffen, daß es vorbei war. Es gab nichts mehr, wohin er flüchten konnte, und jeder Schritt, den er sich weiter vom Schlachtfeld entfernte, verlängerte seine Qual nur noch.

Trotzdem blieb er nicht stehen, als er zwischen den geborstenen Felsen hindurchtrat und auf die gewaltige, steinerne Ebene hinausblickte. Irgendwo, unendlich weit entfernt, glaubte er die Schatten der Berge zu sehen, aber vielleicht war es auch nur die Schwäche, die dunkle Nebel vor seinen Augen wallen ließ.

Mühsam setzte er einen Fuß vor den anderen, halb tot vor Durst und Erschöpfung. Seine Glieder hingen wie Blei an seinem Körper, und die Luft, die er atmete, war wie flüssiges Feuer.

Seine Füße waren längst zerschunden und hinterließen blutige Abdrücke auf dem glühenden Stein, über den er wankte, und auf dem Weg nach oben war er ein paarmal gestürzt und hatte sich die Hände am rauhen Stein aufgerissen. Er wußte nicht mehr, warum er nicht einfach aufgab und darauf wartete, daß sie kamen und ihn töteten. Der Tod erschien ihm wie eine Erlösung. Und doch trieb ihn etwas in ihm dazu, sich weiterzuquälen, immer wieder ein Bein vor das andere zu setzen, ganz egal, welche Pein es bedeutete.