»Und was würde geschehen, wenn ... wenn ich in der Nähe wäre?« fragte Aton - obwohl er die Antwort darauf ganz genau kannte.
»Es wäre dein Tod«, sagte Petach ernst. »Und nicht nur der deine. Die Sterne stehen in der richtigen Position, und mit dem Auge des Horus in der Nähe ...« Er seufzte. »Ich habe dir erzählt, was geschieht, wenn sie erwachen, jetzt und in der Nähe all dieser ahnungslosen Menschen.«
»Aber sie werden nicht aufgeben«, sagte Aton leise. »Vielleicht sind wir ja sicher, solange die Sonne am Himmel steht, aber sobald es dunkel wird ...«
»Sie werden alles in ihrer Macht Stehende tun, um deiner habhaft zu werden«, bestätigte Petach. »Aber hab keine Sorge - es gibt einen Ort, an den ihre Macht nicht reicht, und dorthin werden wir gehen. Den einzigen Ort auf der Welt, der selbst den Göttern verschlossen ist.«
»Echnatons Grab«, sagte Aton.
Petach nickte. »Ja. Wir müssen es zurückbringen. Du bist dort sicher, und ohne dich und das, was du bei dir trägst, kann sich die Prophezeiung nicht erfüllen.«
»Dann sollten wir keine Zeit mehr verlieren«, sagte Aton.
Er war von dem, was er von Petach erfahren hatte, viel zu aufgewühlt und betroffen, als daß an Schlafen noch zu denken gewesen wäre, obwohl er sich nach den Aufregungen der vergangenen Nacht so müde fühlte, daß seine Glieder Zentner zu wiegen schienen. So stand er auf und folgte dem Ägypter ins Freie, als Petach sich nach einer Weile erhob und das Haus verließ.
Der kleine Ort war zum Leben erwacht, was aber nicht mehr hieß, als daß auf der staubigen Straße eine Handvoll Menschen zu sehen waren, aber die Familie, die das Gebäude normalerweise bewohnte, war nicht dabei. Petach sah in nördlicher Richtung die Straße hinunter, offensichtlich wartete er auf jemanden.
»Wie kommen wir von hier weg?« fragte Aton. Er hatte die Karte Ägyptens nicht im Kopf, aber er wußte doch, daß das Tal der Könige nicht unbedingt um die nächste Ecke lag. Selbst mit einem schnellen Wagen würden sie einen gut Teil des Tages brauchen, um dorthin zu kommen. Er hoffte nur, daß das Sonnenlicht sie tatsächlich so zuverlässig vor ihren Verfolgern schützte, wie Petach behauptete. Schließlich wäre es nicht das erste Mal, daß er sich irrte.
Am Ende der Straße erschien eine Staubwolke. Petachs Haltung spannte sich ein wenig, und Aton trat einen Schritt weiter auf die Straße hinaus, um besser sehen zu können. Der wirbelnde Staub verdichtete sich zu den Umrissen eines schwarzlackierten Landrovers, der rasch näher kam. Yassir, der wie versprochen aus dem Nachbarort zurückkehrte und den angekündigten Wagen mitbrachte.
Wie auf ein Stichwort hörten sie Schritte hinter sich, und als Aton den Blick wandte, erkannte er Sascha, die hinter ihnen aus dem Haus trat. Der Anblick verblüffte ihn ein wenig, denn er war vollkommen sicher gewesen, beim Erwachen mit Petach allein in der einfachen Hütte zu sein. Und es gab in dem nur aus einem Raum bestehenden Haus keinen Fleck, an dem sie seinen Blicken hätte verborgen bleiben können. Aber er vergaß seine Verwunderung sofort, als er den Ausdruck von Sorge und Zorn auf Saschas Gesicht erblickte.
Mit schnellen Schritten näherte sie sich Petach, kam jedoch gar nicht dazu, etwas zu sagen, denn der Ägypter hob befehlend die Hand und brachte das Kunststück fertig, in einem Ton, der zugleich scharf wie auch sehr freundlich klang, zu sagen: »Hier trennen sich unsere Wege. Aton und ich reisen von hier ab allein weiter.«
In Saschas Augen blitzte es kampflustig auf. »Das glaube ich nicht«, sagte sie. »Wenn Sie mich wirklich so gut kennen, wie Sie behaupten, dann sollten Sie wissen, daß ich Ihnen den Jungen ganz bestimmt nicht überlasse.«
Petach seufzte. Er sah mehr traurig als zornig drein, aber er machte auch zugleich nicht den Eindruck, daß er willens sei, sich auf Diskussionen einzulassen. Ehe er antwortete, warf er einen raschen Blick auf die Straße. Der Wagen würde sie in längstens einer Minute erreicht haben.
»Seien Sie vernünftig«, sagte Petach. »Ich weiß, wer Sie sind, und auch, wozu Sie in der Lage sind. Glauben Sie mir - Sie können mich nicht besiegen. Und Sie sind auch nicht hier, um gegen mich zu kämpfen.«
Atons Verwirrung wuchs ins Unermeßliche. Sein Blick irrte zwischen Sascha und Petach hin und her. »Was bedeutet das?« fragte er. »Was soll das heißen - wer du bist, und wozu du in der Lage bist?«
Sascha lächelte, ohne Petach jedoch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Auf ihrem Gesicht lag Entschlossenheit, und ihre ganze Haltung verriet Anspannung. Sie antwortete nicht auf Atons Frage, und wahrscheinlich hatte sie sie gar nicht gehört.
»Ich werde ihn nicht allein lassen«, beharrte sie. »Vor allem jetzt nicht.«
Der Wagen war da. Yassir brachte den Landrover in einer Staubwolke zum Stehen und stieg aus, und offensichtlich erfaßte er die Situation mit einem einzigen Blick, denn er trat schweigend neben Petach und funkelte Sascha herausfordernd an. Die beiden hatten sich ja nie verstanden, aber Aton fühlte, daß es jetzt nur noch einer Winzigkeit bedurfte, um die Situation zum Explodieren zu bringen.
»Bitte«, sagte Petach. »Was nun geschieht, hat mit Ihnen und denen, die Sie geschickt haben, nichts mehr zu tun. Ich verspreche Ihnen, daß Aton nichts geschieht. Was immer in meiner Macht steht, werde ich für ihn tun. Sie haben getan, wozu Sie hierhergesandt wurden, und Sie haben Ihre Aufgabe hervorragend erfüllt. Aber nun ist sie beendet. Wir helfen nur unseren gemeinsamen Feinden, wenn wir uns nun gegenseitig bekämpfen.« Er lächelte sanft. »Manchmal muß man verlieren, um am Ende zu gewinnen, wissen Sie?«
Atons Gedanken begannen wild hinter seiner Stirn zu kreisen. Unseren gemeinsamen Feinden? Ich weiß, wozu Sie gesandt wurden? Was sollte das heißen? Was zum Teufel -?
Ganz im Gegenteil, Aton, sagte Sascha. Aber sie sagte es nicht wirklich. Sie starrte Petach unverwandt weiter an, und ihre Lippen hatten sich nicht bewegt, und tatsächlich hatte Aton ihre Stimme gar nicht gehört - sowenig, wie er die Frage laut ausgesprochen hätte, so daß Sascha sie hören konnte. Die Worte waren direkt in seinem Kopf gewesen, und noch während sich Aton bestürzt fragte, ob er nun endgültig dabei war, den Verstand zu verlieren, hörte er Saschas Stimme ein zweites Mal und auf die gleiche, unheimliche Art: Keine Angst, Aton, sagte sie. Ich werde auf dich achtgeben.
»Bitte«, sagte Petach noch einmal. »Zwingen Sie mich nicht zum Schlimmsten.«
Sascha antwortete nicht darauf. Aber sie machte auch keinen Versuch mehr, ihn oder Aton zurückzuhalten, und nur einen Augenblick später stiegen sie in den Wagen und verließen die Ortschaft.
Das Tal der Könige
Ganz wie er es erwartet hatte, brauchten sie beinahe den gesamten restlichen Tag, um das Tal der Könige zu erreichen. Es begann bereits zu dämmern, als sie endlich von der asphaltierten Hauptstraße abbogen und die staubige Zufahrt zum Tal der Könige hinabrollten. Yassir fuhr jetzt langsamer - nicht nur, weil die Straße einfach schlecht war, um sie weiter mit mehr als hundert Stundenkilometern entlangpreschen zu können. Während der letzten halben Stunde hatte der Wagen begonnen, sonderbare Geräusche von sich zu geben, und jetzt klopfte und rumorte es immer lauter unter der Motorhaube. Sie waren nur noch drei oder vier Kilometer von ihrem Ziel entfernt - nachdem sie an einem einzigen Tag über siebenhundert Kilometer zurückgelegt hatten, eine geradezu lächerliche Strecke, aber wenn sie mit einem defekten Motor hier liegenblieben, dann konnte ihr Vorhaben in Gefahr geraten. Aton schätzte, daß ihnen allerhöchstens noch eine halbe Stunde blieb, ehe es dunkel wurde.
Aton erinnerte sich nicht an jede Einzelheit des Tages. Er hatte auf dem harten Rücksitz geschlafen, und obwohl er wirklich sehr unbequem war und außerdem unentwegt unter ihm geschwankt hatte wie ein bockendes Kamel, sogar sehr tief und sehr fest, so daß er erst eine halbe Stunde vor Erreichen ihres Zieles überhaupt wieder erwacht war und sich auch jetzt immer wieder den Schlaf aus den Augen reiben mußte, um nicht wieder einzunicken. Seine Müdigkeit war verständlich nach der letzten Nacht und den Tagen davor - trotzdem argwöhnte er, daß Petach ein wenig nachgeholfen hatte, sprach seinen Verdacht aber nicht laut aus. Er konnte sich die Antwort denken. Aber der Gedanke brachte ihn auf eine andere, im Grunde viel interessantere Frage: Warum nämlich Petach, dem die Angst, die ihm Yassirs Fahrkünste einjagten, deutlich im Gesicht geschrieben stand, sie nicht auf einem anderen, magischen Weg zum Tal der Könige gebracht hatte.