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»Dort!« rief Sascha plötzlich. »Seht doch!«

Ihr ausgestreckter Arm deutete nach Westen, zum Eingang des Tales hin. Auch dort hatten sich die Schatten zu einer kompakten Mauer zusammengeballt, und auch in ihr war etwas entstanden, was dort nicht hingehörte. Die Dunkelheit gerann zu den Umrissen eines gewaltigen, von zwei riesigen Pferden in der Farbe der Nacht gezogenen Streitwagens. Hinter der Brüstung standen nun gleich drei Gestalten, aber nur eine war entfernt menschlich - falls man eine von Kopf bis Fuß in graue Leinenbinden eingehüllte Mumie als Menschen bezeichnen wollte, hieß das. Die beiden anderen boten einen noch bizarreren Anblick. Die eine sah aus wie ein riesenhafter Mann mit dem Kopf eines Falken, während die dritte überhaupt nicht richtig zu erkennen war, als hätte sie gar keinen wirklichen Körper, sondern bestünde tatsächlich nur aus Schwärze, die sich zur Illusion eines Leibes verdichtet hatte.

»Horus!« flüsterte Petach.

»Und Osiris«, fügte Yassir hinzu. »Es ist soweit. Sie kommen!«

Um mich zu holen, dachte Aton. Seltsam - er sollte Angst empfinden, aber er spürte eigentlich gar nichts. Vielleicht war es tatsächlich so, wie Petach behauptet hatte: Am Ende war das Schicksal doch mächtiger als der Wille des Menschen. Es hatte keinen Sinn, vor dem Unausweichlichen davonzulaufen. Er wußte, daß er fliehen konnte, wohin und so weit er wollte, und am Ende würden ihn die beiden Götter doch einholen.

»Aber das ist doch unmöglich!« flüsterte sein Vater. »Das ... das ist ein Scherz, nicht? Ein schlechter Witz, den sich jemand mit uns erlaubt!«

»Ganz im Gegenteil«, antwortete Petach düster. »Kommen Sie. Schnell. Noch haben wir einen kleinen Vorsprung. Das Licht hält sie auf.« Er lachte kurz und bitter. »Jetzt werden Sie doch heute schon alles erfahren. Auch wenn ich bezweifle, daß Sie das wirklich wollen.«

Sie rannten los. Auf den ersten Metern stolperten sie noch über loses Geröll und Steine, aber nach einigen wenigen Schritten schon war ein glatter, leergeräumter Pfad unter ihren Füßen, der sich in steilem Winkel den Berg hinaufwand.

»Wohin bringen Sie uns?« fragte Vater. »Wir sind - he! Das ist Tutanchamuns Grab!«

Petach antwortete nicht, sondern wandte nur im Laufen den Blick, und was er sah, das veranlaßte ihn wohl, noch mehr an Tempo zuzulegen. Es wurde jetzt immer schneller dunkel, eigentlich viel schneller, als es hätte sein dürfen, so daß Aton vermutete, daß die beiden ägyptischen Götter mit ihrer magischen Kraft ein wenig nachhalfen. Die Schatten kamen rasch näher und mit ihnen der Streitwagen und die unheimliche Armee der Gespenster. Ihre Umrisse waren jetzt deutlicher, so daß Aton sie zu erkennen glaubte. Sie glichen Menschen, waren aber größer und schlanker, und ihre Köpfe waren die großer Hunde. Es waren sehr viele. Und diesmal würde ihnen keine dreitausend Jahre alte Katzenarmee zu Hilfe eilen.

Die ersten Schatten berührten den Fuß des Berges, als sie den Eingang zu Tutanchamuns Grab erreichten. Er war mit einem massiven Eisengitter und einem gewaltigen Vorhängeschloß gesichert, aber das Schloß zerfiel einfach zu Staub, als Petach es berührte, und das Gitter schwang wie von Geisterhand bewegt vor ihnen auf.

Hintereinander stürmten sie durch den schmalen Eingang, liefen aber nur einige Schritte weit, denn Petach blieb plötzlich stehen, drehte sich herum und breitete die Arme aus. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Aton ein unheimliches, bläuliches Leuchten zu sehen, das von seinen Fingerspitzen ausging.

»So«, sagte Petach grimmig, als er sich wieder zu ihnen herumdrehte. »Das wird sie eine Weile aufhalten - wenn auch nicht sehr lange, wie ich fürchte. Aber vielleicht reicht die Zeit ja.«

»Was bedeutet das?« fragte Atons Vater verblüfft. Auch er hatte das blaue Leuchten gesehen. »Was haben Sie getan? Was ... was sind Sie? So eine Art Magier?«

»Ja«, bestätigte Petach lächelnd. »So eine Art.« Er ging mit schnellen Schritten an ihnen vorüber und machte sich einige Sekunden lang in der Dunkelheit zu schaffen. Etwas klackte, und dann glommen unter der Decke des Ganges eine Reihe kleiner Glühbirnen auf, deren Schein ihnen jedoch nichts als leere Wände und Staub zeigte. Die Stufen der kurzen Treppe endeten bald vor einer zweiten, sehr viel massiveren Tür - die Petach jedoch keine Sekunde länger aufhielt als das erste Gitter. Nachdem sie sie durchschritten hatten, wiederholte er seine beschwörende Geste, und wieder sprühte blaues Feuer aus seinen Fingerspitzen.

»Abrakadabra«, sagte Atons Vater. Er grinste, aber es wirkte gekünstelt - wahrscheinlich war das nur seine Art, das Unmögliche zu verarbeiten. Aton vermutete, daß es seinem Vater, einem Mann, der trotz seiner Vorliebe für dieses Land und seine Geschichte durch und durch Realist war, noch viel schwerer fiel als ihm, zu glauben, was er sah.

Sie eilten weiter. Nach einigen Metern wurde der Gang schmäler, so daß sie nun hintereinander gehen mußten, und dann betraten sie die Vorkammer, der sich Tutanchamuns eigentlicher Grabraum und die Schatzkammer anschlossen.

Petach blieb stehen. Einen Moment lang blickte er mit schräggehaltenem Kopf zum Eingang zurück, als lauschte er. Auch Aton spitzte die Ohren. Er hörte nichts, und wenn Petach irgend etwas vernommen hatte, so schien es jedenfalls etwas zu sein, was ihn beruhigte, denn der Ausdruck von Anspannung auf seinen Zügen milderte sich etwas. Aton versuchte in Gedanken die Zeit abzuschätzen, die vergangen war, seit sie das Grab betreten hatten - sicher waren es nicht mehr als zwei oder drei Minuten. Die Dunkelheit konnte den Eingang noch nicht erreicht haben.

»Also, was soll das eigentlich?« fragte sein Vater. »Was um alles in der Welt tun wir hier?«

Das fragte sich Aton mittlerweile auch immer mehr. »Sie haben von Echnatons Grab gesprochen, nicht von dem Tutanchamuns«, fügte er hinzu.

»Wie?« stieß sein Vater hervor.

Petach ignorierte ihn. Statt auch nur auf eine der beiden Fragen zu antworten, wandte er sich nach rechts und trat zum Eingang der eigentlichen Grabkammer, in der der goldene Sarkophag des Pharaos gestanden hatte, ehe man ihn ins Museum von Kairo brachte. Aton und die anderen folgten ihm, und sein Vater fragte noch einmal mit kaum noch beherrschter, zitternder Stimme:

»Was hast du gesagt, Aton? Echnatons Grab?«

Sie betraten die Sarkophagkammer, die mit herrlichen Wandmalereien ausgestattet war, aber Aton schenkte all der Pracht auch jetzt kaum einen Blick. Sein Herz begann zu klopfen.

Sein Vater redete weiter, aber er hörte die Worte gar nicht mehr. Plötzlich wußte er, was geschehen würde, noch bevor Petach die Hand hob und ein einzelnes Wort in einer unbekannten, sonderbar klingenden Sprache sagte.

Der steinerne Sarkophag in der Mitte des Raumes bewegte sich. Vollkommen lautlos glitt der tonnenschwere Block zur Seite und gab den Blick auf die ersten Stufen einer schmalen, steil in eine dunkle Tiefe hinabführende Treppe frei.

»Großer Gott!« flüsterte Atons Vater. »Das ... das kann nicht sein. Aber das ist ... das ist doch ...«

»Das Grab des Echnaton«, sagte Petach. Ein feierlicher Ernst schwang in seiner Stimme mit, aber auch etwas, was fast wie Stolz klang. »Jahrtausendelang haben die Menschen danach gesucht, aber es wurde nie gefunden. Sie und Ihr Sohn sind die ersten Sterblichen, die es zu Gesicht bekommen werden.«

»Hier?!« murmelte Atons Vater fassungslos. Er wirkte so erschüttert wie nie zuvor im Leben. »Es ist ... hier? Es war die ganze Zeit über hier? Direkt unter unseren Füßen? Aber Tutanchamun -«

»- war Echnatons Bruder«, unterbrach ihn Petach sanft. Er lächelte. »Er hat den Mördern seines Bruders nie verziehen, aber er war nicht stark genug, sie zur Verantwortung zu ziehen. Alles, was ihm blieb, war, Echnaton und seine Gemahlin zu bestatten, wie es einem Pharao gebührte. So ließ er sein eigenes Grab über dem Echnatons errichten, in der Hoffnung, daß die, die vielleicht kommen, es zu plündern, sich von einem kleinen Schatz blenden lassen und so erst gar nicht nach dem wirklichen suchen.«