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»Unfaßlich«, murmelte Atons Vater. »Und es ist ... es ist wirklich dort unten?«

Petach nickte. Hintereinander und schweigend begannen sie die Treppe hinabzusteigen.

Duell der Götter

Die Dunkelheit war nicht so vollkommen, wie es von oben den Anschein gehabt hatte. Wie beim ersten Mal, als Aton das unterirdische Grablabyrinth betreten hatte, dauerte es nur wenige Sekunden, bis sich seine Augen an das graue Dämmerlicht gewöhnt hatten, das die schmalen Gänge erfüllte, und er wieder sehen konnte. Die Treppe war sehr steil und so schmal und niedrig, daß sie nur hintereinander und gebückt gehen konnten, und bevor sie ihr unteres Ende erreichten, blieb Petach stehen und wies nach oben, und sie konnten hören, wie der schwere Sarkophag wieder an seinen Platz glitt und den Eingang verschloß. Aton glaubte nicht, daß dies ihre Verfolger lange würde aufhalten können; dafür wurde das Gefühl, lebendig begraben zu sein, wieder stärker in ihm - und diesmal entsprach es sogar der Wahrheit, denn sie befanden sich ja tatsächlich in einem Grab.

Die Treppe endete in einer quadratischen Kammer, von der mehrere Türen abzweigten. Ihre Wände waren über und über mit Bildern bedeckt, bei deren Anblick sein Vater in eine regelrechte Verzückung geriet, aber Petach dämpfte seine Begeisterung mit einer befehlenden Geste und deutete auf den Durchgang zur Rechten.

Aton versuchte sich zu erinnern, ob er damals dieselbe Tür benutzt hatte, wußte es aber nicht. Seine Erinnerung war nicht so komplett, wie er bisher geglaubt hatte - der Traum hatte ihm gezeigt, wie sein Abenteuer geendet hatte, aber nicht, wie es begann. Er erinnerte sich auch jetzt nur daran, stundenlang durch ein wahres Labyrinth von Gängen und Stollen geirrt zu sein, sprach aber die Sorge, mit der ihn dieser Gedanke erfüllte, nicht aus. Petach kannte sich offensichtlich hier unten aus, würde ihnen den richtigen Weg zu Echnatons Grab weisen.

Ein schmaler Gang nahm sie auf. Sein jenseitiges Ende verschwand in grauer Entfernung, aber er war zumindest etwas breiter als die Treppe, so daß Aton und sein Vater nebeneinander gehen konnten. Petach eilte voraus, dicht gefolgt von Sascha, deren nervöse Bewegungen und Blicke deutlich machten, wie unwohl sie sich in dieser Umgebung fühlte, und Yassir bildete den Abschluß. Während sie durch die stauberfüllten Gänge liefen, fand Aton zum ersten Mal, seit sie das Tal der Könige erreicht hatten, Gelegenheit, über die Frage nachzudenken, warum Sascha eigentlich gekommen war - und vor allem, warum sie seinen Vater mitgebracht hatte. Er wußte noch immer nicht, wer sie wirklich war - wenn er auch nach Petachs Worten zumindest zu wissen glaubte, was sie nicht war: nämlich eine ganz normale junge Polizeibeamtin aus seiner Heimatstadt, der er durch einen reinen Zufall begegnet war -, aber wie auch immer, sie mußte wissen, daß ihm sein Vater hier am allerwenigsten helfen konnte. Bestenfalls würde er sie behindern, und sehr viel wahrscheinlicher war, daß auch er in Gefahr geriet.

Er fragte sich, welches Geheimnis Sascha verbarg. Jetzt fielen ihm auch all die kleinen Ungereimtheiten und seltsamen Vorkommnisse wieder ein, die ihm in ihrer Gegenwart widerfahren waren. Ihre Wohnung, die so sonderbar leer und unfertig wirkte, als hätte sie jemand eigens für seinen Besuch dort eingerichtet, aber nur an das Allernotwendigste gedacht und selbst dabei einiges vergessen. Das Hotel, das mehr einer Theaterkulisse als einem wirklichen Hotel geglichen hatte und in dem es Räume gab, die erst dann existierten, als er sich vorgestellt hatte, wie sie eigentlich aussehen sollten, und das sich am Ende als seit Jahren von Menschen verlassene Ruine herausstellte. Und da war noch mehr: ihre Fähigkeit, immer im genau richtigen Moment am richtigen Ort aufzutauchen, und ... ja, auch Dinge zu tun, die sie eigentlich gar nicht konnte. Er bedauerte es, sie nie nach alledem gefragt zu haben, aber er tat es auch jetzt nicht - es war nicht der richtige Moment, und wahrscheinlich würde sie ihm auch nicht antworten.

Er erinnerte sich, daß sie einmal gesagt hatte, sie wäre sein Schutzengel. Natürlich hatte er das für einen Scherz gehalten, aber jetzt war er nicht mehr sicher.

Sie erreichten eine Abzweigung. Petach blieb stehen und schloß für einen Moment die Augen, so daß Aton zuerst glaubte, er hätte Mühe, sich an den richtigen Weg zu erinnern. Dann begriff er, daß der Ägypter lauschte. Und einen Augenblick später hörte er es auch: ein entferntes, schweres Schleifen und Gleiten. Und etwas wie mühsame Atemzüge. Die Sphinx. Sie hatten den Wächter des Grabes geweckt, und er kam, um nachzusehen, wer seine Ruhe störte.

»Schnell jetzt!« sagte Petach. Er deutete nach links und eilte mit weit ausgreifenden Schritten los, und es bedurfte keiner weiteren Aufforderung, daß die anderen ihm ebenso schnell folgten. Sie alle hatten die Schritte und das Atmen gehört, und auch wenn Sascha, Atons Vater und vielleicht auch Yassir nicht wirklich wissen konnten, was sich ihnen da näherte, so waren diese Geräusche doch so schrecklich, daß sie sie zur Eile antrieben.

Trotz ihres schnellen Tempos kamen die unheimlichen Laute näher. Aton versuchte sich verzweifelt zu erinnern, an welcher Stelle des Labyrinths der Eingang zu Echnatons Grab lag, aber es gelang ihm nicht. Die Schritte der Sphinx kamen näher, und ihr Atem war jetzt ganz deutlich zu hören. Noch war das Ungeheuer nicht zu sehen, aber sie alle spürten seine Nähe, die Gegenwart eines Wesens, das aus einer fremden, vollkommen unbegreiflichen Welt stammte und dessen einziger Daseinszweck das Wachen und Toten war. Aton hatte bisher angenommen, daß Petach es damals vernichtet hatte, aber das stimmte nicht. Das Geschöpf war so unsterblich und unverwundbar wie die Mächte, die es erschaffen hatten. Man konnte es aufhalten, vielleicht für eine kurze Zeit zurückjagen in die Dimensionen des Schreckens, aus denen es stammte, aber nicht zerstören.

Auch sein Vater sah sich immer wieder nervös um. Der Ausdruck von Begeisterung, der auf seinem Gesicht erschienen war, als sie das Labyrinth betraten, war längst Entsetzen gewichen, und auch wenn er nicht wußte, was es war, was ihnen folgte, so empfand er doch die gleiche Furcht wie Aton und die anderen.

»Was ist das?« fragte er mit zitternder Stimme. »Petach, was ... was um alles in der Welt ist das?«

»Schneller!« sagte Petach anstelle einer Antwort. »Es ist nicht mehr weit! Hinter der nächsten Biegung!« Er begann nun wirklich zu rennen, und auch die anderen verfielen in einen schnellen Laufschritt, aber es war so, wie Aton es schon mehrmals erlebt hatte: Je rascher sie sich bewegten, desto rascher wurde auch ihr Verfolger, und er wußte, daß er im Gegensatz zu ihnen weder Erschöpfung noch Müdigkeit kannte und nicht mehr langsamer werden würde. Er begann die Anstrengung bereits jetzt zu spüren. Sein Atem wurde immer schwerer, und er bekam Seitenstiche. Auch sein Vater keuchte. Aber sie würden dieses Tempo auf Gedeih und Verderb halten müssen.

Endlich hatten sie die Gangbiegung erreicht, und tatsächlich - nur noch ein knappes Dutzend Schritte von ihnen entfernt befand sich eine Tür. Aton erkannte sie sofort wieder, obwohl sich das Bild von dem aus seinem Traum unterschied: Das milde Licht, das er damals gesehen hatte, war nun erloschen, und hinter der Tür lag nur der diffuse graue Schein, der auch den Gang erfüllte. So schnell sie konnten, liefen sie auf den Durchgang zu, aber Petach blieb einen Schritt davor stehen und wandte sich mit einer auffordernden Geste zu Aton um.

»Öffne sie!« sagte er. »Schnell!«

Öffnen? dachte Aton verwirrt. Die Tür war nicht verschlossen.

Genaugenommen gab es gar keine Tür, sondern nur diesen offenen Durchgang. Und trotzdem schien es Petach unmöglich zu sein, hindurchzuschreiten. Er versuchte es, aber er hatte nicht einmal einen halben Schritt getan, als er wieder zurückwich. Irgend etwas Unsichtbares war da, das ihn daran hinderte, den Raum hinter der Tür zu betreten. Auch Yassir und schließlich sogar Sascha versuchten es, aber mit demselben Ergebnis.