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Ein Geräusch riß ihn aus seinen Gedanken. Aton sah auf und blickte direkt ins Gesicht seines Vaters, der hinter ihm aus der Tür getreten war und sich mit einem Ausdruck der völligen Fassungslosigkeit umsah.

»Das ist ... unglaublich. Einfach ... einfach unfaßbar! Echnatons Grab! Das ... das ist tatsächlich Echnatons Grab! Aber wenn ... wenn es existiert, dann ... dann ist vielleicht alles andere auch ... auch wahr!«

Aton begriff im ersten Moment nicht ganz, aber dann wurde ihm klar, daß die Begeisterung seines Vaters eine verzweifelte war, um nicht den Verstand zu verlieren. Sein Vater war kein Narr. Er wußte sehr wohl, daß das Geheimnis um das verschollene Grab des Pharaos vielleicht das kleinste von allen war, auf das sie hier gestoßen waren. Aber es war das einzige, was er noch halbwegs einordnen konnte, die einzige Erkenntnis, die wenigstens noch etwas mit der Welt des Normalen und Erfaßbaren gemein hatte, die er kannte. Er hatte Dinge erlebt und gesehen, die mit den Maßstäben seiner Welt nicht mehr zu erklären waren, und er war niemand, der es gewohnt war, Wunder zu akzeptieren, sondern der ganz im Gegenteil stets und immer nach einer Erklärung suchte und sie wohl auch meistens fand. Hier, in dieser geheimen Welt unter der Oberfläche der Erde, funktionierte die Frage nach dem Wie nicht mehr, und so klammerte er sich mit aller Macht an das einzige, was er noch halbwegs begriff, und versuchte im übrigen einfach die Augen vor allem anderen zu verschließen.

Vielleicht hätte der Anblick der Grabkammer seinem Vater noch einige weitere Minuten geholfen, all die anderen, viel unheimlicheren Rätsel zu ignorieren, die ihnen bisher begegnet waren, aber schon im nächsten Augenblick erklangen hinter ihm Schritte, und Petach betrat als letzter die Grabkammer. Er war vollkommen unversehrt. Sein Haar und sein Gewand waren voller Blut, und er wirkte ein wenig blaß, aber er war unverletzt, und er lächelte sogar, als er Atons Blick begegnete. Aton war nicht überrascht, denn er hatte damit gerechnet, wenn auch nicht so schnell, und auch Sascha hob nur sacht die linke Augenbraue, um eine leise Verwunderung anzudeuten. Atons Vater jedoch wurde leichenblaß. Seine Augen quollen aus den Höhlen, und er wankte zurück, als hätte ihn ein Schlag getroffen. »Aber das kann doch nicht sein!« jammerte er. »Das ist doch -«

Petach brachte ihn mit einer Geste zum Verstummen. Aton tat sein Vater ein bißchen leid, denn er konnte nur zu gut nachfühlen, was er in diesem Moment empfand, aber was Petach mit seiner Handbewegung andeutete, war nur zu wahr: Sie hatten keine Zeit für Erklärungen.

»Das also ist es«, sagte Petach. Die Worte bewiesen, daß er tatsächlich noch nie hiergewesen war, ja offensichtlich nicht einmal gewußt hatte, wie dieser Raum aussah. Vielleicht war Aton der einzige Mensch überhaupt, der ihn je in seiner ganzen Pracht und unversehrt erblickt hatte. Er fragte sich, was Petach - und vor allem sein Vater! - wohl gesagt hätten, hätten sie diesen Raum so gesehen wie er ihn damals.

»Das Grab liegt auf der Insel«, sagte Aton und wies in diese Richtung. »Jedenfalls ... war es dort.«

Seine Worte - und vor allem wohl das kaum merkliche Stocken darin - veranlaßten Petach zu einem verwirrten Stirnrunzeln. Aber er stellte keine entsprechende Frage, sondern machte nur eine auffordernde Geste, und sie gingen los. Aton entging nicht, daß sich Petach zwei- oder dreimal rasch und nervös umsah, während sie sich dem Ufer des künstlichen Sees näherten.

Auch Sascha wirkte mit einem Male regelrecht ängstlich. Plötzlich erinnerte sich Aton wieder daran, wie es ihr in der Kammer in der Cheopspyramide ergangen war. Wenn es darin etwas gegeben hatte, was ihr angst machte, dann mußte es auch hier sein und ungleich schlimmer. Er fragte sich wieder, warum sie überhaupt gekommen war.

Als sie das Ufer des gemauerten Bassins erreichten, erklang hinter ihnen ein dumpfer Knall, der unmittelbar darauf in ein ungeheuerliches Brüllen und Fauchen überging. Es hörte sich so nahe an, als wäre es direkt hinter ihnen entstanden, doch als sie erschrocken herumfuhren, waren sie allein. Es war das Brüllen der Sphinx, die draußen vor dem verschlossenen Eingang der Grabkammer ihre Wut hinausschrie.

Seltsamerweise schien der Lärm Petach eher zu beruhigen als zu erschrecken. Er lächelte sogar flüchtig.

»Was ist so komisch?« erkundigte sich Sascha. Sie versuchte vergeblich, ihre Stimme so herausfordernd und feindselig klingen zu lassen wie bisher.

»Nichts«, antwortete Petach. »Ich finde nur den Gedanken beruhigend, daß sie ihre Aufgabe weiter erfüllt. Das verschafft uns noch ein wenig zusätzliche Zeit.«

Sascha schien nicht zu begreifen, was er damit meinte, aber Aton sagte: »Sie meinen, es sind ... Horus und Osiris?«

»Und ihre Krieger, ja«, bestätigte Petach ernst. »Sie kann sie nicht besiegen, aber sie werden eine Weile damit beschäftigt sein, sie zu verjagen. Ich habe selbst gespürt, wie stark sie ist.« Er schauderte ein wenig. »Echnaton hat das furchtbarste Wesen zu seinem Wächter erkoren, das jemals auf dieser Welt gelebt hat. Aber rasch jetzt! Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«

Es kostete Aton etliches an Überwindung, in den gemauerten See hinabzuklettern. Seine Wände waren jetzt brüchig und so porös, daß es nicht sehr schwierig war, die Entfernung bis zu seinem Grund zu überwinden, aber der Boden war von einer knöchelhohen Schicht aus klebrigem, schwarzem Schlamm bedeckt, von der ein schrecklicher Gestank ausging.

Der Weg zu der gemauerten Insel in der Mitte des Wasserbeckens erschien ihm ungleich weiter als damals, als er ihn auf dem Boot zurückgelegt hatte. Jeder Schritt auf dem klebrigen Untergrund kostete große Kraft; der Morast schien sich wie mit tausend winzigen Fingern an ihre Füße zu klammern, so daß ihre Schritte von unheimlichen, saugenden Geräuschen begleitet wurden, die von den Wänden des Wasserbeckens hundertfach gebrochen und verzerrt widerhallten. Manchmal ragten spitze Knochen aus dem Schlamm, hier und da schien sich etwas in der zähen, klebrigen Masse zu bewegen, und ungefähr auf halber Strecke kamen sie an etwas vorüber, was das Skelett eines Krokodils hätte sein können, wäre es nicht viel zu groß dafür gewesen.

Trotz Petachs immer deutlicher werdender Ungeduld blieben sie einen Moment stehen, um es zu betrachten. Sein Vater maß die verblichenen Knochen mit Blicken, in denen Furcht und Entsetzen längst die Neugier übertrafen, und auch Aton spürte ein eisiges Frösteln. Er hatte dieses Geschöpf gesehen, als es noch lebte, und plötzlich war er sehr froh, es damals nicht wirklich erkannt, sondern nur als Schemen im Wasser wahrgenommen zu haben.

Sie gingen weiter. Wahrscheinlich hatten sie alles in allem kaum mehr als zehn Minuten gebraucht, bis sie die Insel erreichten, aber Aton war es, als wären sie Stunden unterwegs. Die letzten Schritte kosteten ihn fast mehr Kraft, als er aufzubringen imstande war, und auch die anderen - vor allem Sascha, die Mühe zu haben schien, sich überhaupt noch auf den Beinen zu halten - atmeten erleichtert auf, als die gemauerte Treppe vor ihnen lag, die zur Oberfläche der Insel hinaufführte.

Vom Eingang her erscholl wieder jenes fürchterliche Brüllen und Fauchen, diesmal aber begleitet von einem ganzen Chor anderer, schriller Schreie, einem wütenden Kläffen und Geifern und einem Geräusch, als zerbräche Fels.