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»Aber wieso denn nur?« fragte Aton.

»Ich habe dir nie den ganzen Wortlaut von Echnatons Fluch erzählt«, antwortete Petach. Er schloß für eine Sekunde die Augen. In seinem Gesicht arbeitete es. »Ich hielt es nicht für nötig - ich Narr! Hätte ich es doch gewußt! Wäre ich doch damals geblieben, um nach dir zu sehen!«

»Den ganzen Wortlaut?« wiederholte Aton. »Was meinen Sie?«

Petach seufzte abermals. Dann drehte er sich mit einer langsamen Bewegung zu Yassir herum und sagte:

»Sag es ihm.«

Auch Aton wandte den Kopf - und unterdrückte nur noch mit Mühe einen Schrei.

Yassir war nicht mehr Yassir. Das hieß - natürlich war er es, aber im Grunde war er es nie gewesen. Er hatte sich nicht etwa verändert. Seine Gestalt, sein Gesicht und die dunklen, wachen Augen, alles war unverändert, aber erst jetzt erkannte Aton ihn wirklich.

Yassir war der Wanderer. Eje. Der Verräter. Der Verfluchte.

»Als der Pharao starb«, sagte Yassir, »da verfluchte er seinen Mörder. Er verdammte ihn dazu, so lange leben zu müssen, bis ein Toter all seine toten Krieger wieder aus ihren Gräbern führt.«

»Du, Aton«, sagte Petach. »Denn du bist der Prophezeite. Du bist im Reich der Toten gewesen, und du bist zurückgekehrt.«

Aton verspürte einen eisigen Schauer. Er versuchte vergeblich zu glauben, was er hörte. Er wußte, daß es die Wahrheit war, aber der Gedanke war so phantastisch, daß er sich einfach weigerte, ihn zu akzeptieren.

»Dann haben wir keine andere Wahl mehr«, flüsterte Petach. »Wir müssen es tun. Jetzt, ehe sie hier sind. Gerieten sie auch nur in deine Nähe, so wäre alles verloren.«

Er hob sein Messer und trat auf Aton zu, und auf seinem Gesicht machte sich ein ebenso entschlossener wie mitleidsvoller Ausdruck breit.

Aber auch Yassirs Züge waren in Aufruhr. Aton konnte regelrecht sehen, welchen Kampf hinter seiner Stirn tobte. Er glaubte Petach, wenn er sagte, daß Eje sich geändert hatte. Die mehr als hundertdreißig Lebensspannen, die er gelebt hatte, hatten ihn geläutert - er hatte mit dem Mann, der er damals gewesen sein mochte, kaum noch mehr als das Aussehen gemein. Er glaubte Petach auch, wenn er sagte, daß sie gemeinsam hier waren, um Osiris und Horus daran zu hindern, Echnatons Prophezeiung zu erfüllen, selbst wenn dies das weitere Leben für Yassir bedeutete. Und trotzdem wußte er, welche Qual Yassir nun durchlebte, hatte er doch das Ende seines Martyriums greifbar nahe vor Augen, die letzte Ruhe, den Frieden, den er sich so lange und so vergebens gewünscht hatte. Vielleicht war das, was er nun erlebte, Echnatons wahrer Fluch, die schlimmste Strafe, die noch auf den Verräter wartete.

»Bist du bereit?« fragte Petach.

Aton nickte tapfer, schloß die Augen und biß die Zähne zusammen, um sich gegen den furchtbaren Schmerz zu wappnen, den er erwartete.

Der Schmerz war grauenhaft, aber er währte nur kurz, denn Petachs Messer hatte kaum seine Schulter berührt, da trat Sascha neben ihn und legte ihm sanft die Hand auf den anderen Arm, und im selben Moment erlosch die sonnenheiße Qual in seiner Schulter. Er spürte nicht einmal mehr, was Petach tat. Ein Gefühl weißer Wärme hüllte ihn ein, und statt höllischer Qual hatte er ein Empfinden von Geborgenheit und Schutz, wie er es nie zuvor im Leben verspürt hatte.

Trotzdem verlor er nach einigen Augenblicken das Bewußtsein.

Er erwachte mit einem tauben Gefühl in der Schulter in Saschas Armen. Es konnte nicht sehr viel Zeit vergangen sein, denn er spürte, wie sich jemand an seiner Schulter zu schaffen machte, und das erste, was er sah, als sich die roten Schleier vor seinen Augen lichteten, war sein Vater, der mit nacktem Oberkörper neben ihm kniete. Er hatte sein Hemd ausgezogen und in Streifen gerissen, um einen Verband zu improvisieren, und in seinen Augen stand eine Verzweiflung geschrieben, die Aton mit einem Gefühl tiefer Dankbarkeit erfüllte.

Es tat gut, einen Menschen bei sich zu wissen, der sich um einen sorgte.

»Beweg dich nicht«, sagte sein Vater rasch, als Aton aufzustehen versuchte. Mit erstaunlicher Geschicklichkeit legte er den Verband fertig an, überprüfte sein Werk mit kritischem Blick und fragte schließlich: »Hast du große Schmerzen?«

Aton lauschte eine Sekunde in sich hinein, aber da war nichts. Seine Schulter war einfach nur taub. Er versuchte den Arm zu bewegen und stellte überrascht fest, daß er es konnte.

»Mir tut überhaupt nichts weh«, sagte er.

»Spiel nicht den Helden«, sagte sein Vater. »Dazu ist jetzt wirklich nicht der richtige Moment.«

»Aber es ist wahr!« protestierte Aton. Nur zum Beweis seiner Worte setzte er sich auf und hob den Arm. Sein Vater blinzelte überrascht, aber dann machte sich schon wieder Schrecken auf seinem Gesicht breit. Allerdings war sein Blick jetzt nicht mehr auf Aton gerichtet, sondern auf etwas hinter ihm. Beunruhigt drehte Aton den Kopf - und fuhr ebenfalls erschrocken zusammen, als er in Saschas Gesicht blickte.

Sie saß hinter ihm auf den Fersen, und bisher hatte er ganz selbstverständlich angenommen, daß sie ihn gestützt hatte, als er erwacht war - aber die Wahrheit war wohl eher, daß sie sich gegenseitig gestützt hatten. Sascha war kraftlos nach vorne gesunken. Ihr Gesicht war schweißüberströmt und bleich, und sie zitterte am ganzen Leib. In ihren Augen stand eine Qual geschrieben, deren Anblick Aton einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

»Sascha!« rief er erschrocken. »Was hast du?«

Er bekam keine Antwort, aber die junge Frau sank weiter nach vorne, kippte plötzlich zur Seite und wäre hart auf den steinernen Boden gestürzt, hätten Aton und sein Vater nicht rasch zugegriffen und sie aufgefangen. Gemeinsam ließen sie Sascha zu Boden gleiten und drehten sie vorsichtig herum.

»Was ist los mit ihr?« fragte sein Vater.

Aton hätte viel darum gegeben, es zu wissen. Vielleicht, dachte er, ist es dasselbe wie in der Kammer unter der Pyramide. Auch dort hatte irgend etwas an Saschas Kräften gezehrt, und er hatte ihr angesehen, wie schwer es ihr gefallen war, in jenem Raum auszuharren. Und wie ungleich schwerer mußte es dann erst hier für sie sein. »Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich. »Sie ... sie scheint Schmerzen zu haben.«

»Deinen Schmerz«, sagte eine Stimme hinter ihm. Aton sah auf und blickte in Petachs Gesicht. »Es ist dein Schmerz, den sie erleidet«, sagte Petach, und als Aton antworten wollte, hob er rasch die Hand und machte eine abwehrende Geste. »Das ist der Grund, aus dem sie hier ist - dir zu helfen. Und nun komm. Unsere Zeit läuft ab, und ihr Opfer soll nicht umsonst gewesen sein.«

Aton bemerkte erst jetzt, daß Petach etwas in der anderen Hand hielt; etwas Kleines, Schimmerndes, das zwischen seinen Fingern funkelte und blitzte wie ein Edelstein, aber keiner war. Langsam stand er auf, sah aber noch einmal auf Sascha hinab, ehe er sich vollends zu Petach herumdrehte. Sie lag mit halbgeschlossenen Augen da, und von Zeit zu Zeit kam ein leises Stöhnen über ihre Lippen. Die linke Hand hatte sie auf die Schulter gepreßt, in der der grausame Schmerz tobte, der eigentlich ihm zukam. Aton fühlte sich unendlich schuldig, und er hätte alles getan, um mit Sascha tauschen zu können - aber natürlich hatte Petach recht: Sascha hatte all dies aus keinem anderen Grund auf sich genommen als dem, ihm zu helfen, und er war es ihr einfach schuldig, die Chance zu nutzen, die sie ihm verschaffte.

Petach reichte ihm die Pupille des Udjatauges. Zögernd nahm Aton das Bruchstück entgegen, betrachtete es einen Moment und streckte die Hand dann nach dem Rest des in Gold gefaßten Anhängers aus, den Petach ihm hinhielt. Seine Finger bewegten sich fast von selbst. Rasch und mit einer Sicherheit, als hätte er es hundertfach geübt, setzte er das fehlende Stück in das Udjatauge ein und drehte sich dann um, um auf den Sarkophag zuzugehen. Nofretetes goldenes Gesicht schien ihm zuzulächeln, um ihm Mut zu machen, als er sich ihrem Sarg näherte - und trotzdem blieb er noch einmal stehen, kurz bevor er ihn erreichte.