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»Wird es hier wirklich ... sicher sein?« fragte er stockend.

»Nur der, der es in ihre Hände gelegt hat, kann es auch wieder daraus nehmen«, antwortete Petach. »Vertrau mir ein letztes Mal, Aton. Es ist so, wie ich sage: Ohne den Stein bist du nicht mehr als ein sterblicher Mensch, der von keinem Nutzen für sie ist. Und ohne dich ist das Udjatauge nicht mehr als ein Schmuckstück. Wenn diese Nacht vorüber ist, wird auch seine magische Macht erloschen sein, für die nächsten fünfhundert Jahre und vielleicht mehr, bis wieder ein sterblicher Mensch den Tod besiegt und hierherkommt.«

Aton zögerte noch eine letzte Sekunde - und dann trat er mit einem entschlossenen Schritt an den Sarkophag heran und streckte die Hände aus.

»Neiiiiin!«

Der gellende Schrei und das Gefühl von Bewegung erreichten Atons Sinne gleichzeitig. Er spürte die Gefahr und versuchte sich nach vorne zu werfen, um das Udjatauge an seinen angestammten Platz in Nofretetes Hände zurückzulegen, aber er war nicht schnell genug. Yassir prallte mit entsetzlicher Wucht gegen ihn und riß ihn von den Beinen. Das Udjatauge flog in hohem Bogen davon und klirrte meterweit entfernt zu Boden, und während Aton stürzte, sah er, wie Yassir mit weit vorgestreckten Armen nach dem Schmuckstück sprang.

Auch Petach schrie auf. Seine Hände sprühten blaues Feuer, aber Yassir entwickelte eine übermenschliche Schnelligkeit. Mit einer einzigen, blitzartigen Bewegung riß er das Udjatauge an sich und warf sich gleichzeitig zur Seite. Petachs magische Blitze verfehlten ihn um Haaresbreite und sengten ein rotglühendes Loch in den Stein, wo er eben noch gelegen hatte, und dann war Yassir auch schon wieder auf den Beinen, wich ein paar Schritte zurück und preßte das Schmuckstück an sich. Mühsam rappelte sich Aton wieder hoch, machte einen Schritt in Yassirs Richtung und blieb wieder stehen, als er das warnende Funkeln in dessen Augen registrierte. Aton wich rasch wieder zurück und trat an die Seite seines Vaters.

»Tu das nicht«, sagte Petach. Die Worte galten Yassir, und seine Stimme klang drohend. Er hatte die Hände erhoben, bereit, seine magische Macht gegen Yassir einzusetzen, aber aus irgendeinem Grund zögerte er noch.

»Gib es zurück. Du weißt, daß es sein muß.«

»Ich ... ich kann nicht«, stammelte Yassir. Er zitterte am ganzen Leib. Sein Gesicht zuckte unentwegt, und seine Augen flackerten. Er sah aus wie ein Mann, der im wahrsten Sinne des Wortes Höllenqualen litt, und das tat er wohl auch in diesem Moment.

»Ich kann dich verstehen«, sagte Petach sanft. »Besser, als du vielleicht glaubst. Aber du weißt, daß ich es nicht zulassen kann.«

»Nein«, beharrte Yassir. »Du ... du begreifst nicht. Er ist der Prophezeite. Er ist der, der ... der Echnatons Fluch brechen kann. Nur er! Er ist der erste in dreitausend Jahren, und vielleicht werden wieder dreitausend Jahre vergehen, bis ein anderer wie er kommt! Ich kann nicht noch einmal so lange warten! Ich ertrage das nicht mehr!«

»Du weißt, was geschehen wird, wenn das Udjatauge und Aton in Osiris' Hände fallen«, sagte Petach. »Ich kann das nicht zulassen.«

»Das ist mir gleich!« widersprach Yassir heftig. »Ich weiß, was ich dir versprochen habe, aber ich kann mein Wort nicht halten. Nicht jetzt. Nicht, wo ich weiß, daß er wirklich der ist, auf den ich so lange Zeit gewartet habe!« Er wich einen weiteren Schritt zurück, das Udjatauge noch immer wie einen Schatz an sich gepreßt.

Petach seufzte tief. Er sah sehr traurig drein. »Also läßt du mir keine andere Wahl«, sagte er. Er streckte die Hände in Yassirs Richtung aus. Seine Finger begannen zu leuchten.

Aber bevor er seine unheimliche Macht erneut einsetzen konnte, geschah etwas, womit keiner von ihnen gerechnet hatte. Ein unheimliches Grollen erklang, und plötzlich ballten sich unmittelbar hinter Yassir die Schatten zu einer tieferen, lebendigen Schwärze zusammen. Von einer Sekunde auf die andere wurde es sehr kalt, und Aton wußte schon, was geschehen würde, noch bevor Horus und Osiris aus der Dunkelheit hervortraten und Gestalt annahmen.

Petach stieß einen keuchenden Schrei aus. Ein sengender blauer Blitz zuckte aus seinen Fingerspitzen und durchbohrte Yassir, doch im selben Moment riß dieser die Arme in die Höhe und warf das Udjatauge hinter sich - direkt in Horus' ausgestreckte Hände!

Yassir wurde von den Füßen gerissen, prallte torkelnd gegen den Falkengott und stürzte. Brust und Rücken seines Gewandes schwelten, und wäre er ein normaler Mensch gewesen, hätte ihn Petachs Blitz sicher auf der Stelle getötet. Aber Echnatons Fluch, der ihn zu dreitausend Jahren Leben verdammt hatte, schützte ihn auch jetzt. Nach einem Augenblick nur stemmte er sich wieder in die Höhe. Sein Gesicht war verzerrt, denn er war vielleicht unsterblich, aber er empfand Schmerz wie jeder andere auch, doch die Qual auf seinen Zügen entsprang nicht nur der körperlichen Pein.

Sein Blick suchte den Atons. »Bitte verzeih mir«, flüsterte er. »Ich ... ich mußte es tun. Ich weiß, was ich dir antue, aber ich ... ich kann nicht noch einmal so lange warten. Dreitausend Jahre sind zu viel. Niemand erträgt eine solche Strafe, auch ich nicht.«

Seltsam - Aton empfand eine grenzenlose Enttäuschung und eine ebenso grenzenlose Furcht vor den beiden Göttergestalten neben Yassir und dem, was sie ihm vielleicht antun würden, aber es gelang ihm nicht, wirklichen Zorn auf Yassir zu verspüren. Er bildete sich nicht ein, wirklich nachempfinden zu können, was es hieß, dreitausend Jahre und mehr leben zu müssen, aber allein der Gedanke daran erfüllte ihn mit einem Entsetzen, das mit Worten nicht zu beschreiben war.

Nach einer Weile löste sich sein Blick von Yassir und suchte die beiden Götter. Horus betrachtete das Udjatauge, dann reichte er es an die nur aus wogender Schwärze zu bestehen scheinende Gestalt Osiris' neben sich weiter, und nun wies sein ausgestreckter Arm auf Aton. Die Bedeutung dieser Geste war klar.

Aton machte einen Schritt in seine Richtung, aber sein Vater riß ihn grob zurück und vertrat ihm den Weg, um sich schützend zwischen ihn und den Falkengott zu stellen.

»Nein«, sagte er entschlossen. »Ihr bekommt ihn nicht.«

Horus starrte ihn nur an. Aton zweifelte keine Sekunde daran, daß er ihn einfach zerschmettern konnte, so mühelos, wie ein Mensch ein lästiges Insekt zerquetschte, aber er tat es nicht, sondern sah ihn nur aus seinen unheimlichen Falkenaugen an, und nach einer Sekunde begann Atons Vater am ganzen Leib zu zittern. Nach einer weiteren trat er zur Seite.

»Es ist in Ordnung«, sagte Aton ruhig. »Wir haben verloren. Hab keine Angst. Sie werden mir nichts tun. Es ist nicht mein Tod, den sie wollen.«

Er lächelte seinem Vater beruhigend zu, wandte sich wieder zu Horus und Osiris um und machte einen weiteren Schritt, da war Petach mit einem Sprung hinter ihm und riß ihn zurück. Mit schier übermenschlicher Kraft umklammerte er seine Arme und drückte sie an den Körper, und seine andere Hand hob das Messer, mit dem er das Udjatauge aus seiner Schulter entfernt hatte, und preßte die Klinge an seinen Hals.

»Nein«, sagte er entschlossen. »Ihr bekommt ihn nicht. Einen Schritt weiter, und er stirbt.«

Tatsächlich rührten sich Horus und Osiris nicht - aber Aton konnte fühlen, wie sich ihre unheimlichen Kräfte auf Petach konzentrierten. Der Ägypter begann zu zittern, ganz wie sein Vater zuvor. Aber anders als dieser hielt er dem geistigen Angriff der beiden Götter stand. Zumindest vorläufig.

Aton wagte nicht zu atmen. Alles war so schnell gegangen, daß er gar nicht richtig begriffen hatte, wie ihm geschah - und vor allem, warum es geschah. Petachs Hände zitterten so stark, daß das Messer Atons Haut ritzte und ein einzelner, warmer Blutstropfen an seinem Hals herabrann.

»Um Gottes willen, Petach!« keuchte sein Vater. »Was tun Sie?!«