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»Ich habe keine Wahl!« antwortete Petach. Seine Stimme klang verzweifelt. »Verstehen Sie doch! Ohne Aton ist das Auge nichts wert! Aber mit ihm kann keine Macht der Welt sie noch aufhalten. Es werden Tausende sterben, wenn Echnatons Krieger erwachen!«

»Aber das können Sie nicht tun!« stöhnte Atons Vater. »Bitte, Petach! Aton kann nichts dafür! Er hat mit eurem Kampf nichts zu tun!«

»Ich muß es tun«, antwortete Petach. »Ich ... kann sie nicht aufhalten. Sie sind zu stark für mich. Aber ich kann auch nicht zulassen, daß es geschieht!«

»Dann sind Sie nicht besser als sie.«

Es war nicht Atons Vater, der diese Worte gesprochen hatte, sondern Sascha. Sie hatte sich in die Höhe gestemmt und stand zitternd da, schwach und mit einem Gesicht, das von Schmerz und Erschöpfung gezeichnet war. Ihr Blick hielt den Petachs gefangen, und die Kraft, die Aton trotz allem darin las, stand der in Horus' oder Petachs Augen nicht nach.

»Er ist nur einer«, antwortete Petach. »Ein Leben gegen Hunderte, vielleicht Tausende. Wenn er sie begleitet, wird unendliches Leid über mein Volk kommen. Und vielleicht auch über Ihres.«

»Vielleicht«, sagte Sascha. »Das wird das Schicksal entscheiden. Aber Sie können das Böse nicht aufhalten, indem Sie Böses tun. Sie wissen, daß ich recht habe.«

Petach begann immer heftiger zu zittern. »Es ... darf ... nicht ... geschehen«, stöhnte er.

»Und Sie dürfen Aton nicht töten«, sagte Sascha leise. »Jedes Menschenleben ist kostbar.«

Aton war, als wäre die Zeit stehengeblieben. Die Messerklinge an seinem Hals bewegte sich nicht. Petach hatte noch nicht zum tödlichen Stoß ausgeholt, aber erzog die Waffe auch nicht zurück, und Aton wußte, daß die nächste Sekunde über sein Leben oder seinen Tod entscheiden würde. Aber er hatte noch immer keine Angst.

Unendlich langsam senkte Petach das Messer und ließ ihn los. Aton taumelte einen Schritt zur Seite, preßte die Hand gegen den schmerzenden Hals und rang keuchend nach Luft. Sein Vater wollte auf ihn zutreten, aber Sascha hielt ihn zurück, denn schon kamen Horus und Osiris auf ihn zu.

Aton wandte sich noch einmal zu Petach um, während sich ihm die beiden Götter näherten. Petachs Gesicht war mit einem Male so ausdruckslos und starr wie die beiden goldenen Gesichter auf den Sarkophagen, aber in seinen Augen stand eine tiefe Enttäuschung und eine Furcht, die Aton schaudern machte. Und trotzdem wußte Aton, daß er richtig gehandelt hatte. Es war so, wie Sascha sagte: Niemand konnte das Böse bekämpfen, indem er Böses tat.

Horus' Hand berührte seine Schulter, und im selben Moment begannen die Grabkammer und die Gestalten von Petach, Sascha und seinem Vater vor Atons Augen zu verblassen.

Der gebrochene Fluch

Es war sehr kalt. Obgleich sich rings herum nichts als Wüste erstreckte und die scheinbare Unendlichkeit aus Steinen und Sand die Vorstellung von Trockenheit und hitzeflimmernder Luft entstehen ließ, war mit der Nacht eine empfindliche Kühle über das Land hereingebrochen, zusammen mit einem sacht, aber beständig wehenden Wind, der einen Hauch von Feuchtigkeit von der anderen Seite des Staudammes herantrug, so daß Aton noch mehr fror, als er es ohnehin getan hätte. Aber er war gar nicht sicher, ob es wirklich die äußere Kälte war, die ihn am ganzen Leib zittern ließ.

Aton saß auf den Fersen im Sand und versuchte sich daran zu erinnern, was in den letzten Stunden geschehen war. Sein Zeitempfinden war genauso durcheinandergeraten wie sein Erinnerungsvermögen. Er erinnerte sich an schemenhafte Gestalten, unheimliche Geräusche und ... Dinge, die plötzlich aus dem Schatten gekrochen waren. Was hier geschehen war, hatte nichts mit der Welt der Menschen, nichts mit ihrer Art zu denken und nichts mit ihren Gesetzen und ihrer Logik zu tun, und er hatte Dinge gesehen, die nicht für menschliche Augen gedacht waren. Vielleicht wäre er gestorben, hätte er wirklich gesehen, was geschah, und - er war nicht einmal sicher, ob Osiris oder Horus ihn nicht ganz bewußt vor der Wahrheit geschützt hatten, um sein Leben zu retten. Denn eines hatte er ganz deutlich gespürt, während er ihnen nahe gewesen war: Petach hatte sich geirrt. Die beiden Götter waren sowenig böse wie er. Sie waren stark, unglaublich stark, und sie waren zornig, unendlich zornig, und nach Jahrtausenden der Gefangenschaft in einer Welt der Schatten und des Beinahevergessenseins zu begierig auf das Leben, um noch irgendwelche Rücksichten zu nehmen, aber der wirkliche Grund für das, was sie taten, war nicht die pure Lust am Zerstören. Sie wollten leben, das war alles.

Aton hob müde den Kopf und sah in den Himmel hinauf. Die Nacht war sehr klar, wie die meisten Nächte in der Wüste, aber es war Neumond, so daß er trotzdem nicht sehr viel von seiner Umgebung erkennen konnte.

In drei Richtungen erstreckte sich die Wüste, so weit der Blick reichte, und in der Nacht war sie nicht mehr als eine schwarze Fläche ohne erkennbare Konturen. Nur im Osten erhob sich der gewaltige schwarze Schatten der Staumauer, die die Felsenschlucht, in der Echnaton damals ums Leben gekommen war, längst überragte. Vorhin, während Osiris und Horus taten, wozu sie gekommen waren, war die Nacht voller Geräusche und unheimlicher Bewegung gewesen, aber jetzt war es beinahe gespenstisch still.

Aton vergrub die Hand in dem feinen, fast weißen Sand, in dem er kniete, und als er sie wieder hervorzog, glitzerte das Udjatauge darin. Es war jetzt wirklich nicht mehr als ein Schmuckstück. Seine magische Kraft war aufgebraucht, ein für allemal, so daß es keinen Wert mehr für die Götter besaß; sowenig wie für Aton, denn der Anblick des kleinen Kunstwerkes machte ihm auf sonderbare Weise klar, wie wenig weltlicher Besitz und Schätze in Wirklichkeit zählten. Aus einem plötzlichen Impuls heraus wollte er es von sich schleudern, aber dann überlegte er es sich doch anders und steckte es ein. Wieder tastete sein Blick über die Wüste. Der Sand lag noch immer still und so unberührt wie seit dreitausend Jahren da, aber er glaubte zu spüren, wie sich tief unter ihm etwas bewegte. Sie würden kommen, das wußte er. Wenn die Sonne aufging, würde dieses scheinbar leblose Stück Erde etwas hervorbringen, das wie Leben aussah, aber keines war, und das den Tod verbreitete.

Einen Moment lang überlegte er, ob er aufstehen und zum Staudamm hinüberlaufen sollte, um die Menschen dort zu warnen - die Arbeiter und Ingenieure und die einheimischen Helfer, die in einem kleinen Hüttendorf am Ufer des Stausees lebten und noch nichts von dem Unglück ahnten, das sich über ihren Köpfen zusammenballte. Aber er verwarf den Gedanken wieder. Der Staudamm schien zum Greifen nahe zu sein, aber dieser Eindruck kam nur von der gewaltigen Größe der Betonmauer. In Wirklichkeit war er Kilometer entfernt, und er würde noch dazu einen enormen Umweg machen müssen, um die Mauer und die sie einschließenden Felswände zu umgehen, so daß er keine Chance hatte, vor Sonnenaufgang dort zu sein. Und selbst wenn - wer würde ihm glauben?

Nein, er würde hier sitzen bleiben und warten, bis die Sonne aufging. Vielleicht - wahrscheinlich sogar - würde er so das erste Opfer der Krieger werden, deren Regen er schon jetzt tief unter sich im Sand spürte, aber der Gedanke an den Tod schreckte ihn nicht mehr. Möglicherweise war Aton der einzige Mensch auf dieser ganzen Welt, der nicht nur glaubte, sondern wußte, mit unzweifelhafter, völliger Gewißheit wußte, daß der Tod nicht das Ende aller Dinge war. Er hatte es immer gewußt, nur war ihm dieses Wissen nie so recht klargewesen. Schließlich hatte er den Schlüssel zum ewigen Leben in sich getragen.

Ein Geräusch drang in seine Gedanken: ein leises, rhythmisches Dröhnen, das ganz allmählich näher kam. Noch bevor er den Schatten am Himmel sah, identifizierte er den Laut als das Rotorengeräusch des Hubschraubers. Sein Vater hatte also den Weg aus dem Grab herausgefunden und kehrte zurück.

Er stand nun doch auf und hob die Arme, um zu winken, aber dann wurde ihm klar, wie sinnlos das war - in der Dunkelheit würde sein Vater ihn nicht sehen; nicht einmal, wenn er nach ihm suchte.