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»Noch ist es nicht soweit«, antwortete Petach ernst. »Die Sterne stehen noch nicht in der richtigen Konstellation. Doch sobald die Sonne aufgeht, werden sie kommen. Niemand kann sie jetzt noch aufhalten.«

»Aber wenn Aton doch nichts gesehen hat -«

»Menschliche Sinne«, unterbrach ihn Petach, »können die Welt der Götter nur unzulänglich wahrnehmen. Seien Sie froh, daß es so ist. Es gibt Dinge, die töten, wenn man sie nur sieht.«

Atons Vater warf ihm einen Seitenblick zu, aber er kam nicht zu einer weiteren Frage, denn in diesem Moment hob die Maschine ab, und er hatte für die nächsten Sekunden alle Hände voll zu tun, den Helikopter zu stabilisieren und auf Kurs zu bringen. Petach versteifte sich in seinem Sitz. Er gab sich alle Mühe, sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen, aber natürlich gelang es ihm nicht.

»Wir müssen die Arbeiter warnen«, sagte sein Vater, während sie sich der Staumauer näherten. Aton erkannte, daß die Entfernung noch viel größer war, als er geglaubt hatte. Selbst mit dem Hubschrauber würden sie drei oder vier Minuten brauchen, um sie zu erreichen. »Bis Sonnenaufgang ist noch Zeit. Wenn wir alle Wagen und Kamele nehmen und alles zurücklassen, können wir vielleicht die meisten in Sicherheit bringen.«

»Dann würden sie sich neue Opfer suchen«, antwortete Petach düster. »Nichts kann sie aufhalten, wenn sie einmal erwacht sind.«

Atons Vater sah ihn erneut auf jene sonderbare Weise an, aber er protestierte auch jetzt nicht. Noch vor wenigen Stunden hätte er ganz laut am Verstand seines Gesprächspartners gezweifelt, hätte irgend jemand von einem Heer ägyptischer Krieger erzählt, das nach mehr als dreitausend Jahren aus seinem Grab stieg und sich daranmachte, über die Lebenden herzufallen. Aber was er erlebt hatte, hatte sein Weltbild gründlich verändert.

»Vielleicht haben wir doch noch eine Chance«, sagte Aton.

Petach und sein Vater drehten sich gleichzeitig überrascht zu ihm herum und starrten ihn an, und der Helikopter begann prompt zu bocken und nach links abzudriften. Hastig griff Atons Vater nach dem Steuer und stabilisierte die Maschine wieder, behielt aber Aton über den Spiegel hinweg scharf im Auge.

»Wie meinst du das?« fragte Petach.

»Erzählen Sie mir noch einmal, wie Echnatons Fluch lautet«, bat Aton. »Wortwörtlich. Versuchen Sie sich zu erinnern. Jedes Wort ist wichtig!«

Petach sah ihn an, als zweifelte er an Atons klarem Verstand, aber dann wiederholte er die wenigen Sätze - und Aton hatte Mühe, einen triumphierenden Schrei zu unterdrücken. Seine Erinnerung hatte ihn nicht getrogen. Mit ein paar Worten erklärte er Petach und seinem Vater, was er vorhatte.

Sein Vater wurde noch blasser, als er es ohnehin schon war, und auch Petach riß ungläubig die Augen auf - doch Aton sah auch die verzweifelte Hoffnung, die darin aufglomm.

»Vielleicht ... bei Amun, vielleicht hast du sogar recht!« flüsterte er. »Es ist die letzte Chance, wir können es versuchen. Ist das möglich?«

Die letzte Frage galt Atons Vater, der mit verbissenem Gesicht hinter dem Steuer hockte. Er antwortete erst nach Sekunden, aber dann mit einem einfachen, klaren: »Ja.«

Petach drehte sich wieder zu Aton herum. Plötzlich huschte ein Schatten über sein Gesicht. »Selbst wenn du recht hast und dein Plan gelingt - du weißt, was das für Yassir bedeutet? Er würde niemals mehr Erlösung finden.«

»Nicht wenn ich es selbst tue«, widersprach Aton. »Mein Vater kann mir zeigen, was ich machen muß. Es ist ganz einfach. Wenn ich es eigenhändig tue, dann muß Echnaton ihn gehen lassen.«

»Dann wollen wir hoffen, daß ein vor dreitausend Jahren verstorbener Pharao für deine Spitzfindigkeit empfänglich ist«, sagte sein Vater.

»Selbst die Götter können sich nicht über die Gesetze erheben, die sie selbst erlassen haben«, sagte Aton. Das war ein Satz, der gut klang, von dem er aber keine Ahnung hatte, ob er auch der Wahrheit entsprach. Petach jedenfalls lächelte nur flüchtig, widersprach aber nicht, und für den Rest des kurzen Fluges verfielen sie alle in ein nervöses Schweigen.

Der Helikopter näherte sich der Staumauer; genauer gesagt dem würfelförmigen Maschinenhaus, das sich wie der Turm einer mittelalterlichen Burg genau in ihrer Mitte erhob.

»Ich lande direkt oben auf dem Damm«, sagte Atons Vater. »Der Helikopterlandeplatz ist zu weit entfernt. Wir verlieren eine halbe Stunde, wenn wir zu Fuß zum Maschinenhaus zurückgehen.«

Aton widersprach nicht, aber Petachs Gesicht färbte sich nun endgültig grün. »Der Damm ist dort oben doch kaum drei Meter breit!« wandte er ein. »Halten Sie das für eine gute Idee?«

»Nein«, antwortete Atons Vater.

»Aber Sie haben das schon einmal gemacht, oder?« krächzte Petach, während sich der Helikopter wie ein herabstoßender Eisenvogel der Mauerkrone näherte. »Wie ... wie oft sind Sie schon hier oben gelandet?«

»Einmal«, antwortete Atons Vater. »Dieses Mal mitgerechnet.«

Petach japste nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen, und beinahe im selben Moment setzte der Helikopter auf. Selbst Aton fuhr erschrocken zusammen, als er sah, wie dicht neben der Kante die Kufen der Maschine den Beton berührten. Sie würden alle auf Petachs Seite aussteigen müssen - auf der anderen gähnte ein fünfzig Meter tiefer Abgrund.

Hintereinander kletterten sie aus der Maschine. Petach, der es sehr eilig hatte, den Hubschrauber zu verlassen, bildete die Spitze, und Aton fuhr abermals erschrocken zusammen, als er sah, daß die Rotorblätter die Wand des Maschinenhauses bloß um Zentimeter verfehlt hatten. Sein Vater war nur ein Hobbypilot, aber diese Landung hätte ihm wahrscheinlich nicht einmal ein Luftakrobat so ohne weiteres nachgemacht.

Sein Vater war seinem Blick gefolgt, und auch er wurde eine Spur blasser. »Ups«, sagte er mit einem etwas schiefen Lächeln. »Das war knapp. Glück muß man haben.«

Glück? dachte Aton. Er sprach es nicht laut aus, aber er wußte, daß das nichts mit Glück zu tun hatte. Wahrscheinlicher war wohl eher, daß sich sein Schutzengel entschlossen hatte, auch auf den Rest seiner Familie ein wenig aufzupassen.

Im Maschinenhaus war Licht angegangen. Durch den Lärm des landenden Hubschraubers angelockt, erschienen zwei Techniker in weißen Overalls unter der Tür.

»Was -?« begann der eine von ihnen, wurde jedoch von Atons Vater sofort mit einer energischen Geste zum Schweigen gebracht.

»Für Erklärungen ist jetzt keine Zeit«, sagte er in befehlendem Ton. »Wecken Sie meine Frau, sofort. Sie soll hierherkommen, so schnell wie möglich. Dann laufen Sie hinunter ins Arbeitslager und wecken dort alle auf. Sie sollen sich für eine Evakuierung bereit halten.«

Der Gesichtsausdruck des Mannes machte klar, wie wenig er von dem verstand, was er hörte. »Aber was ist denn geschehen?« murmelte er. »Wieso -?«

»Stellen Sie keine Fragen, sondern tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe!« herrschte ihn Atons Vater an. Noch während der Mann verdutzt herumfuhr und davoneilte, wandte er sich an den zweiten Techniker, der ganz offensichtlich keinen Deut mehr verstanden hatte als sein Kamerad.

»Wecken Sie die anderen Techniker! Und dann lassen Sie die Turbinen an. Ich brauche einen Notstart. In einer halben Stunde müssen die Dinger laufen!«

»Eine halbe Stunde?« fragte Aton, während Petach und er seinem Vater und dem Techniker ins Innere des Gebäudes folgten. In dem schwachen Licht hatten sie Mühe, nicht über die Elektrokabel, Ersatzteile, Kisten und Werkzeuge zu stolpern, die überall herumlagen. »Geht es nicht schneller?«

»Ich bin froh, wenn uns die Dinger nicht um die Ohren fliegen, wenn ich sie so schnell hochfahre«, antwortete sein Vater, »Die ganze Anlage ist noch lange nicht fertig.«

»Warum öffnen Sie nicht die Schleusen?« fragte Petach.

Atons Vater blieb stehen und sah ihn mit dem typischen Blick eines Mannes an, der soeben die dümmste Frage der Woche gehört hatte. »Wir haben kaum einen Meter Wasser auf der anderen Seite«, sagte er. »Der Druck reicht nicht. Nicht für das, was wir vorhaben. Ich bin nicht einmal sicher, ob er mit den Turbinen reicht.«