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Er hatte keine Angst. Er stand leibhaftigen Göttern gegenüber, aber er verspürte nicht die mindeste Furcht. Vielleicht weil diese Wesen trotz allem gar nicht so fremd waren, wie ihr Aussehen glauben machte. Petach hatte sich geirrt, als er von der abgrundtiefen Bosheit und dem Haß sprach, die Osiris und Horus beseelten, vielleicht hatte er auch absichtlich die Unwahrheit gesagt, weil er - damals durchaus zu Recht - annahm, daß Aton nicht begreifen würde, wovon er sprach. Trotz aller Fremdartigkeit, trotz ihrer unvorstellbaren Macht und ihres unvorstellbaren Alters war das, was diese Geschöpfe antrieb, nichts anderes als das, was jeder sterbliche Mensch an ihrer Stelle auch empfunden hätte: Sie wollten einfach leben. Sie waren Götter, aber sie waren sterbliche Götter, und sie waren nicht unfehlbar. Sollte er sie deshalb hassen?

Und er spürte, daß es ihnen umgekehrt nicht anders erging. Osiris und der falkenköpfige Horus hätten ihn auch jetzt noch zerschmettern können, aber sie verzichteten darauf, ihn für den Verrat, den er begangen hatte, zu bestrafen. Sie standen einfach da, und dann, ganz allmählich, begannen sie zu verblassen. Die Kraft, die ihnen Leben eingehaucht hatte, der Glaube eines einzigen Menschen an ihre Existenz, war nicht mehr vorhanden. Ihre Gestalten wurden leicht, transparent und nebelhaft. Es dauerte lange - Minuten, die sich zu Ewigkeiten dehnten -, aber schließlich waren es wirklich nur noch Schatten, die Aton umstanden, bis auch diese verschwunden waren.

Als allerletztes verging Petach. Aton war nicht sehr überrascht, denn im Grunde hatte er es die ganze Zeit über gewußt, auch wenn Petach dafür gesorgt hatte, daß dieses Wissen nie sein Bewußtsein erreichte. Petach? Ptah. Aton lächelte. Er hatte sich nicht einmal sehr viel Mühe gegeben, seinen Namen zu ändern. Er hätte es merken müssen.

Aton drehte sich herum, um zum Helikopter zurückzugehen, und bemerkte erst jetzt, daß er noch immer nicht allein war. Hinter ihm stand Sascha. Sie war wohl die ganze Zeit dagewesen. In ihren Augen stand ein sonderbares, warmes Lächeln, von dem er erst jetzt wirklich begriff, was es bedeutete.

»Ich wußte, daß du es schaffst«, sagte sie.

»Du hast mir nach Kräften dabei geholfen«, erwiderte Aton. Er sah zum Helikopter hinüber. Die Türen waren aufgegangen, und seine Eltern hatten die Maschine verlassen, wagten es aber nicht, näher zu kommen. Sie mußten gesehen haben, was geschah. Er würde ihnen eine Menge zu erklären haben.

»Ich habe es versucht.« Saschas Lächeln wurde ein wenig unsicher. »Ich fürchte, ich habe mich nicht besonders geschickt angestellt. Eure Welt ist viel komplizierter, als ich dachte.«

»Es war in Ordnung«, sagte Aton in einem großmütigen Ton, für den er sich sofort schämte. Wer war er, einem Wesen wie ihr großmütig vergeben zu wollen?

Aber Sascha schienen die Worte durchaus zu schmeicheln - und wer weiß? Vielleicht war ja auch sie nicht ganz gegen menschliche Schwächen gefeit. Dann wurde sie wieder ernst.

»Ich muß jetzt gehen«, sagte sie.

Aton hatte das erwartet. Ihre Aufgabe war ebenso erfüllt wie seine. Trotzdem stimmte ihn der Gedanke traurig. »Werden wir uns wiedersehen?« fragte er.

»Bestimmt«, antwortete Sascha. »Irgendwann. Zu irgendeiner Zeit, in irgendeiner Welt. Leb wohl.«

Und damit verging auch sie. Doch für einen unendlich kurzen Moment, den hundertsten Teil einer Sekunde vielleicht nur und so klar, daß er den Anblick nie mehr im Leben vergessen sollte, sah er sie so, wie sie wirklich war:

Groß. Weiß. Unbeschreiblich schön. Und mit einem Paar gewaltigen, schneeweißen Flügeln, die sich hoch über ihren Schultern in die Luft erhoben.

Aton blieb noch einige Sekunden stehen, ehe er langsam den Kopf hob und in den Himmel hinaufsah. Vielleicht war es Magie, vielleicht war auch viel mehr Zeit vergangen, als er gespürt hatte, doch die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Er fühlte ihre wärmenden Strahlen auf dem Gesicht, und plötzlich begriff er, daß sie unendlich mehr als das, was die meisten Menschen in ihr sahen, so wie vielleicht alles auf dieser Welt eine zweite oder dritte oder möglicherweise auch unendlich viele Bedeutungen hatte. Was hatte Sascha gesagt? Eure Welt ist viel komplizierter, als ich dachte.

Ob sie wohl ahnt, wie recht sie damit hat? dachte Aton.

Während rings um ihn herum die Kraft des Gottes, dessen Namen er trug, Echnatons Heer endgültig zu Staub zerfallen ließ, ging Aton langsam auf den Hubschrauber und seine Eltern zu. O ja, dachte er noch einmal und fast belustigt. Ich werde eine Menge zu erklären haben. Eine ziemliche Menge sogar.