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Aton schloß entsetzt die Augen.

Worauf immer er wartete - auf den Todesschrei der Katze, das Geräusch der zuschnappenden Fänge, ein letztes, vergebliches Aufbäumen -, es kam nicht. Eine endlose, halbe Sekunde verging, ehe Aton es wagte, vorsichtig die Lider zu heben.

Und riß ungläubig die Augen auf.

Anubis hatte seine Fänge nicht in den Körper der Katze gegraben. Das einzige Blut, das Aton sah, war sein eigenes, das den Stoff seines Hemdes dunkel färbte. Die Zunge des Dobermanns leckte beinahe zärtlich über den Kopf der Katze - die aufgehört hatte, zu fauchen und zu spucken und statt dessen voller Wohlbehagen schnurrte.

Und plötzlich fiel Aton wieder ein, daß Anubis voller Freude mit dem Schwanz gewedelt hatte, während er an der Tür kratzte. Das tat er auch jetzt noch. Und wenn Aton es recht bedachte, hatte er es eigentlich die ganze Zeit über getan.

»Aton, ist dir etwas passiert?« fragte seine Mutter erschrocken. Alles war so schnell gegangen, daß sie ihrem Sohn nicht zu Hilfe eilen konnte. Jetzt trat sie mit einem raschen Schritt auf Aton zu - und blieb verblüfft wieder stehen, als sie das unglaubliche Bild sah, das sich ihr darbot.

Atons Vater und Petach hatten sich mittlerweile unter dem heruntergefallenen Vorhang hervorgearbeitet und kamen näher. Petach brachte das Kunststück fertig, trotz allem noch irgendwie würdevoll auszusehen, aber Atons Vater schäumte vor Wut.

»Dieser blöde Köter!« schimpfte er. »Was hat er nur getan. Was ... was ...« Seine Summe versagte, während er Anubis, die Katze und das Chaos musterte, in das sich das Wohnzimmer verwandelt hatte. Er konnte kaum noch weitersprechen.

»O mein Gott!« krächzte er. »Was ... was ist bloß geschehen?«

»Es ist halb so schlimm«, sagte Petach. Er hatte sich nach den kleinen Figuren gebückt, die aus der zerbrochenen Vitrine gefallen waren, und hob eine davon behutsam hoch. »Ich glaube, es ist nichts kaputtgegangen.«

»So, glauben Sie?« fauchte Atons Vater. Zornig riß er Petach die Statuette aus der Hand und brach dabei prompt ein Stück ab. Sein Gesicht verlor auch noch das letzte bißchen Farbe. Er sah aus, als träfe ihn gleich der Schlag. Am ganzen Leib zitternd vor Erregung, trat er auf Aton zu und starrte die Katze an - die sich übrigens noch immer mit sämtlichen Krallen an ihm festhielt, so daß es ihm die Tränen in die Augen trieb.

»Bringt dieses Ungetüm hier raus!« befahl er, nur noch mit allerletzter Kraft um seine Selbstbeherrschung kämpfend.

»Aber die Katze kann doch gar nichts -«, begann Aton, war aber klug genug, nicht weiterzusprechen, als er einen warnenden Blick seiner Mutter auffing. Jetzt war vielleicht nicht der richtige Moment, mit seinem Vater über die Frage zu diskutieren, wen nun eigentlich die Schuld an dem Chaos traf.

Aton tat das in diesem Moment wohl einzig Vernünftige und trat den strategischen Rückzug an. Die Katze noch immer auf den Armen, zog er sich rasch und tatsächlich rückwärts gehend aus dem Zimmer zurück und blieb erst wieder stehen, als er sich in sicherer Entfernung wähnte. Seine Mutter und Anubis folgten ihm, während Petach im Wohnzimmer zurückblieb, wohl, um seinen Vater zu beruhigen.

Hier nahm sich Aton zum ersten Mal Zeit, den Grund dieser ganzen Aufregung etwas eingehender zu betrachten. Es war eine ganz normale Katze - auf den ersten Blick: nicht besonders groß, nicht besonders auffällig, nicht besonders hübsch.

Aber eben nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten fiel Aton ihre Farbe auf - eine Schattierung, für die er im ersten Moment gar keinen richtigen Namen fand. Es war eine Farbe irgendwo zwischen Grau und Blau, die ihren Farbton ununterbrochen zu verändern schien, je nachdem, wie das Licht darauffiel. Das Fell der Katze war kurz, aber flauschig, und ihr Kopf schien ihm ein wenig schmaler, als es bei normalen Katzen der Fall war.

Das beunruhigendste aber waren die Augen. Anders als die von Anubis waren sie grün, nicht goldgelb, aber davon abgesehen ähnelten sie verblüffend denen des Hundes. Der Ausdruck war derselbe, und es war eine Ähnlichkeit von einer Art, die es Aton schwermachte, an einen Zufall zu glauben.

»Ein schönes Tier«, sagte seine Mutter, der Atons aufmerksame Blicke nicht entgangen waren. »Trotzdem - du solltest sie besser rausbringen, wie dein Vater gesagt hat.«

Aton wußte, daß ihre Sorge nicht unbegründet war. Sein Vater war alles andere als ein Choleriker, aber er hing mit jeder Faser seiner Seele an seiner Sammlung, und der Schaden, den das Tier angerichtet hatte, war enorm. Und an das, was noch alles hätte passieren können, wagte Aton erst gar nicht zu denken. Der Gedanke, das arme Tier bei der vorweihnachtlichen Kälte wieder aus dem Haus zu werfen, behagte ihm nicht, aber seine Mutter hatte recht - draußen war im Moment wahrscheinlich der bessere Ort für diese Katze.

So wandte er sich um und wollte sie zur Hintertür zurücktragen, doch er hatte kaum zwei oder drei Schritte gemacht, da zog die Katze endlich die Krallen aus seinen Schultern und sprang mit einem Satz zu Boden. Sofort fegte Anubis auf sie zu, und sowohl Aton als auch seine Mutter hielten entsetzt die Luft an, auf eine Fortsetzung der wilden Verfolgungsjagd gefaßt.

Aber die Katze schien des Spieles überdrüssig zu sein. Sie setzte sich, wandte den Kopf und sah Anubis fast gelangweilt entgegen, und Anubis verhielt mitten im Schritt, musterte die Katze einen Moment und begann dann wieder, sie von Kopf bis Fuß mit seiner großen Zunge abzulecken. Die Katze ließ diese unwürdige Behandlung einen Moment duldsam über sich ergehen, dann machte sie Anubis mit einem Fauchen und einem symbolisch gemeinten Tatzenhieb nach seiner Nase klar, daß es genug sei, und bewegte sich gemächlich in Richtung Küche.

Aton und seine Mutter folgten dem ungleichen Paar, um einen Anblick zu erleben, der fast noch unglaublicher war als das, was sie vorhin gesehen hatten. Die Katze war schnurstracks zu Anubis' Futternapf gegangen und fraß ihn in aller Seelenruhe leer; und ohne, daß der Dobermann etwas dagegen zu haben schien. Im Gegenteiclass="underline" Er wedelte wieder heftig mit dem Schwanz und zeigte auch sonst alle Anzeichen von Freude.

»Die beiden benehmen sich ja, als wären sie alte Freunde!« sagte Atons Mutter verblüfft.

Aton antwortete nicht darauf, aber die Worte seiner Mutter ließen ihm erneut einen eisigen Schauer über den Rücken laufen. Er war sicher, daß sie recht hatte. Und daß diese Freundschaft vielleicht sehr viel älter war, als sie ahnte.

Vielleicht einige tausend Jahre.

Petachs Geschichte (1)

Selbst das Wetter schlug Kapriolen. Am Nachmittag begann es zu schneien, obwohl sich am Himmel nicht eine einzige Wolke gezeigt und Minuten zuvor noch strahlender Sonnenschein geherrscht hatte. Und nicht genug damit - aus dem ersten, lautlosen Fallen der weißen Flocken wurde binnen weniger Minuten ein wahrer Schneesturm, der um das Haus heulte und wie mit unsichtbaren Fäusten an den Fensterläden riß, und es wurde in kürzester Zeit so dunkel, daß sich die automatische Gartenbeleuchtung einschaltete.

Das Heulen des Sturms weckte Aton. Es war nicht seine Art, tagsüber zu schlafen. Aber nach den Aufregungen der letzten beiden Tage war er heute gar nicht richtig wach geworden; außerdem erschien es ihm angeraten, seinem Vater für eine Weile aus dem Weg zu gehen, bis sich dessen schlechte Laune halbwegs gelegt hatte, und noch einmal in Ruhe über seinen Entschluß nachzudenken, seine Eltern ins Vertrauen zu ziehen. So hatte er sich am frühen Nachmittag in sein Zimmer verkrochen, auf dem Bett ausgestreckt und die Ereignisse der letzten Tage noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren lassen.

Er erinnerte sich nicht, eingeschlafen zu sein. Wohl aber, einen Alptraum gehabt zu haben, einen von der besonders unangenehmen Sorte, in dem man rennt und rennt, ohne wirklich von der Stelle zu kommen, und genau weiß, daß man von irgend etwas Schrecklichem, unvorstellbar Gefährlichem verfolgt wird, etwas, was einen unweigerlich einholte, sobald man den Fehler beging, sich zu ihm herumzudrehen und es anzublicken.