Выбрать главу

Auch im Zimmer dahinter waren die Lampen nicht eingeschaltet - aber das bedeutete trotzdem nicht, daß es dunkel gewesen wäre. Und was er sah, war so unheimlich, daß er im ersten Moment fest davon überzeugt war, noch immer zu schlafen und eine Fortsetzung seines Traums zu erleben. Er empfand nicht einmal Furcht; dazu war der Anblick einfach zu sonderbar.

Petach stand mit dem Rücken zur Tür in der Mitte des Zimmers. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und den Kopf gesenkt, wie ein Mensch, der in tiefes Nachdenken versunken war. Er war nicht allein. Zwei Schritte vor ihm hockte Anubis auf den Hinterläufen, hoch aufgerichtet und die Ohren aufmerksam gespitzt, aber mit geschlossenen Augen, und neben ihm saß die kleine graue Katze, die zuvor für solche Verwüstung hier drinnen gesorgt hatte und die sein Vater nicht mehr im Haus haben wollte.

Was die Verwüstung anging, so war sie zum größten Teil wieder beseitigt worden, aber das Zimmer bot trotzdem einen gänzlich anderen Anblick, als Aton es gewohnt war. Petach hatte Tisch und Stühle beiseite geräumt, so daß vor dem Kamin ein großer, freier Platz entstanden war, und eine ganze Anzahl Dinge, die eigentlich in die Sammlung seines Vaters gehörten, aus den verschiedenen Vitrinen und Schränken genommen und rings um sich und die beiden Tiere aufgebaut.

Aton sah die Kanopenkrüge, die den ganzen Stolz seines Vaters bildeten, ein halbes Dutzend kleiner Statuen und Figuren, die verschiedene ägyptische Gottheiten darstellten, und zwei oder drei Zeremoniengegenstände, dazu eine Menge Skarabäen aus den verschiedensten Materialien, die scheinbar wahllos überall auf dem Fußboden verteilt waren.

Aber dieser erste Eindruck war nicht ganz richtig. Als Aton genauer hinsah, fiel ihm doch eine Art Muster auf, in dem die Pillendreherkäfer dalagen: Sie bildeten zwei ineinander übergehende konzentrische Kreise, in deren ungefährem Mittelpunkt sich Petach und die beiden Tiere befanden.

Und jetzt sah er auch, woher das seltsame Leuchten stammte: Petach hatte zwei Opferschalen aus Stein aus den Vitrinen genommen und rechts und links von sich aufgestellt. Irgend etwas brannte darin, rauchlos, aber mit einem sehr intensiven, bläulichweißen Feuer, das keine fühlbare Hitze verbreitete.

Doch der Großteil von Atons Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf Petach und die beiden Tiere, die - und Aton war sicher, auch das war ganz bestimmt kein Zufall - ein genau gleichseitiges Dreieck bildeten. Es war ein unheimlicher und zugleich faszinierender Anblick - und er machte Aton angst.

Vielleicht war das der Grund, weshalb er ein kaum hörbares Geräusch verursachte. Doch so leise dieser Laut auch war, Petach nahm ihn wahr - Aton sah, wie er zusammenschrak und dann aus seiner scheinbaren Starre hochfuhr. Aton versuchte zurückzuweichen, aber er wußte, daß es zu spät war.

Petach hatte ihn bereits gesehen, und was immer jetzt geschehen mochte, würde geschehen. Und nun wurde ihm auch klar, daß er nicht nur allein mit Petach im Haus, sondern ihm auch vollkommen ausgeliefert war. Und er fragte sich, ob der Ägypter vielleicht nicht nur unheimlich und geheimnisvoll, sondern möglicherweise auch gefährlich war.

»Aton«, sagte Petach überrascht. Man mußte kein großer Menschenkenner sein, um zu sehen, wie unangenehm es ihm war, daß Aton ihn beobachtet hatte. »Ich dachte, du schläfst noch.«

Jetzt hätte Aton gerne eine schlagfertige Antwort gegeben, aber die haben fünfzehnjährige Jungen wohl nur in Filmen oder Romanen parat, selten in der Wirklichkeit. So stammelte er nur: »Ich ... ich habe etwas gehört und -«

»Der Sturm«, antwortete Petach. »Ja, das ... das muß der Sturm gewesen sein.« Er fand seine Fassung jetzt wieder, lächelte und drehte sich vollends zu Aton herum. Und zusammen mit ihm regten sich Anubis und die Katze - in einer vollkommen synchronen Bewegung, als wären sie alle drei in Wirklichkeit ein einziges Wesen, das nur durch Zufall auf drei Körper verteilt war. Von allem, was Aton bisher gesehen hatte, war dies vielleicht der unheimlichste Anblick. Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken.

Petach runzelte die Stirn und folgte seinem Blick. Dann hellte sich sein Gesicht auf.

»Du wunderst dich sicher über Bastet«, sagte er.

»Bastet?«

Petach lächelte. »Die Katze. Nachdem dein Vater den Hund schon Anubis getauft hat, erschien mir dieser Name passend - findest du nicht?«

»Mein Vater wird nicht besonders erfreut darüber sein, wenn sie wieder im Haus ist«, sagte Aton. Das war sehr diplomatisch ausgedrückt - die Wahrheit war wohl eher, daß sein Vater einen mittleren Tobsuchtsanfall bekommen würde, wenn er die Katze hier fand, nach allem, was sie angerichtet hatte.

»Ich konnte sie bei diesem Sturm schlecht draußen lassen«, antwortete Petach. »Dein Vater wird das verstehen, da bin ich sicher.«

»Ja, und wenn nicht, dann ... dann werden Sie schon dafür sorgen, daß er es versteht, nicht wahr?« fragte Aton. Die Worte kamen zwar nicht annähernd in der spöttischen Betonung heraus, wie er vorgehabt hatte, sondern stockend und mit einer Stimme, die vor Angst zu einem Flüstern geworden war. Aber er sagte es, und Petach verstand, was er mit dieser Frage sagen wollte.

Eine Sekunde lang sah er Aton ausdruckslos an, dann schüttelte er den Kopf und drehte sich zu den beiden Tieren herum. Und das Unheimliche, das Aton gerade beobachtet hatte, wiederholte sich. Anubis und Bastet blickten Petach an, und diesmal war Aton sicher, daß der Mann und die beiden Tiere mehr austauschten als Blicke. Viel mehr.

Petach nickte, als wäre er in Gedanken zu einem Entschluß gekommen. »Ich glaube, ich bin dir eine Erklärung schuldig«, sagte er, während er sich wieder umwandte und langsam auf Aton zutrat. »Wahrscheinlich hätte ich es längst tun sollen, aber -«

»Rühren Sie mich nicht an!« rief Aton. Er prallte erschrocken zurück und hob abwehrend die Arme. Petach blieb tatsächlich mitten in der Bewegung stehen - aber dann beging er den Fehler, doch einen weiteren Schritt zu machen, und nun war es mit Atons Selbstbeherrschung endgültig vorbei.

Mit einem Schrei wirbelte er herum, raste davon und sprang, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf.

»Aton, so warte doch!« rief Petach ihm nach.

Doch Aton rannte weiter, stolperte und fiel, aber er ließ sich davon nicht aufhalten, sondern kroch die letzten Stufen auf Händen und Knien hinauf und richtete sich erst am Ende der Treppe wieder hoch. Petach hatte mittlerweile den unteren Treppenabsatz erreicht. Und - schlimmer noch - auch Anubis und die graue Katze jagten hinter ihm her. Noch Sekunden, und sie würden ihn eingeholt haben.

Der Anblick gab Aton neue Kraft. So schnell er konnte, rannte er weiter, erreichte sein Zimmer und warf die Tür hinter sich ins Schloß. Und wie sich zeigte, buchstäblich im letzten Augenblick, denn er hatte den Schlüssel noch nicht ganz herumgedreht, da prallte etwas mit solcher Wucht von außen gegen die Tür, daß Aton erschrocken einen Schritt zurückwich. Die ganze Tür zitterte. Aber sie hielt dem Anprall des Hundes stand.

Aton drehte den Schlüssel ein zweites Mal herum und entschuldigte sich in Gedanken für jedes Mal, da er sich über das übersteigerte Sicherheitsbedürfnis seines Vaters lustig gemacht hatte. Er war plötzlich sehr froh, daß jede Tür in diesem Haus über ein Sicherheitsschloß verfügte.

Anubis sprang kein zweites Mal an die Tür, aber dafür hörte Aton einen Moment später Petachs Stimme, die gedämpft durch das Holz drang. »Aton, bitte mach auf«, sagte der Ägypter. »Ich möchte mit dir reden.«

»Verschwinden Sie!« rief Aton. »Gehen Sie weg, oder -«

Ja, oder? Wie die Dinge lagen, konnte er nicht viel tun. Wie alles in diesem Haus war auch die Tür weitaus massiver, als es den Anschein hatte. Petach hätte schon ein kleines Geschütz auffahren müssen, um sie gewaltsam zu öffnen, so daß er hier drinnen in Sicherheit war. Doch sowenig, wie Petach zu ihm herein konnte, konnte er hinaus. Im Grund blieb ihm nur eines - hier zu sitzen und zu warten, bis seine Eltern zurückkamen. Und das konnte Stunden dauern.