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»Bitte, Aton«, sagte Petach. »Ich weiß, der Moment ist nicht besonders günstig, aber uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«

»Verschwinden Sie«, sagte Aton stur. »Oder ich rufe die Polizei!« Natürlich, warum war er nicht gleich darauf gekommen? Aton blickte eine Sekunde lang das grüne Lämpchen über der Tür an. Die Alarmanlage war in Betrieb. Es reichte vollkommen aus, wenn er das Fenster einschlug! Es würde zwar ziemlich kalt hier drinnen werden, aber Aton wußte auch, daß spätestens in zehn Minuten der erste Streifenwagen hier wäre.

Entschlossen trat er von der Tür zurück, packte einen Stuhl und hob ihn hoch. Zehn Minuten Kälte würde er ertragen; zehn Minuten allein mit Petach und dessen unheimlichen Begleitern zu sein, vielleicht nicht. Aton holte mit aller Kraft aus.

»Das würde ich mir an deiner Stelle noch einmal überlegen«, sagte eine Stimme hinter ihm.

Aton fuhr erschrocken herum - und zuckte zusammen, als er sah, daß Petach in der offenen Tür stand. Seine Rechte lag auf der Türklinke, und das ruhig brennende Grün der Lampe über ihm behauptete nach wie vor, daß die Tür sicher abgeschlossen und unversehrt sei.

»Aber ... aber wie ...?« stotterte Aton.

»Du solltest dir das wirklich überlegen«, sagte Petach noch einmal. Er deutete auf den Stuhl, den Aton noch immer hoch über dem Kopf hielt. »Was willst du der Polizei erzählen? Oder deinen Eltern?«

Langsam ließ Aton den Stuhl sinken. Petachs Frage entbehrte nicht einer gewissen Logik. Sein Vater würde sich einigermaßen schwertun, ihm zu glauben, daß er den Ägypter dabei beobachtet hatte, wie er sich mit einem Hund und einer Katze unterhielt ...

»Siehst du«, sagte Petach. »Ich wußte doch, daß du ein vernünftiger Junge bist.« Er seufzte. »Ich kann dich verstehen, Aton«, sagte er. »Aber du mußt auch mich -«

»So, können Sie das?« unterbrach ihn Aton. Er stellte den Stuhl auf den Boden und wich einen Schritt zurück. »Das glaube ich kaum.«

»O doch«, widersprach Petach. Ein sonderbar trauriges, sonderbar wissendes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Für dich muß das alles erschreckend und fremd sein und überaus verwirrend, und -«

»Verwirrend?« keuchte Aton. »Sie ... Sie machen Scherze, wie?« Er war erstaunt, wie fest seine eigene Stimme klang und jetzt fast völlig frei von Furcht. Er empfand auch gar keine Angst mehr. Er war nur zutiefst erschrocken und zornig.

»Vielleicht bin ich ja überrascht, daß ich noch lebe«, sagte er bitter. Er zeigte auf Anubis, der hinter Petach aufgetaucht war, das Zimmer jedoch nicht betrat. »Dieses Ding im Wald. Das ... das war doch er, nicht?«

Petach antwortete nicht, aber das mußte er auch gar nicht. Als wäre es erst nötig gewesen, die Worte laut auszusprechen, fiel es Aton plötzlich wie Schuppen von den Augen. Die furchtbare Gestalt im Wald hatte Anubis' Kopf gehabt, nicht einen ähnlichen, sondern ganz genau seinen Kopf, den schlanken, spitz zulaufenden Schädel eines Dobermanns, und vor allem seine Augen, unheimliche, goldgelbe Augen, in denen eine Intelligenz schlummerte, die weit über die eines Tieres hinausging; vielleicht über die eines Menschen.

»Wer sind Sie, Petach?« brach Aton schließlich das Schweigen. »Was sind Sie? Und was wollen Sie von mir?«

»Glaubst du an Geister, Aton?« fragte Petach, anstatt zu antworten.

»An weiße Gestalten, die nachts in alten Schlössern mit Ketten rasseln, nicht«, antwortete Aton. Er sah wieder zur Tür und konnte ein neuerliches Schaudern nicht ganz unterdrücken, als er bemerkte, daß sich nun die Katze zu Anubis gesellt hatte. Die beiden Tiere saßen nebeneinander und blickten ihn aufmerksam aus ihren unheimlichen, erschreckend wachen Augen an. Und er war jetzt ganz sicher, daß sie nicht nur zuhörten, sondern auch jedes Wort verstanden.

»Nun, in gewissem Sinne bin ich ein Geist«, sagte Petach ernst. »Wenn ich auch keine weißen Bettlaken trage und durchaus aus ... Fleisch und Blut bestehe.«

Aton entging das fast unmerkliche Stocken in seinen Worten keineswegs, sowenig wie der Schatten, der in diesem Moment über sein Gesicht zu huschen schien. Aber als er weitersprach, klang seine Stimme wieder so fest und ruhig wie zuvor. »Nun, Aton, wie ich schon sagte: Die Welt ist nicht so, wie die meisten Menschen glauben. Es gibt nicht nur die Dinge, die wir hören und sehen können oder auch wissenschaftlich beweisen. Unsere menschlichen Sinne zeigen uns nur einen winzigen Teil der Wirklichkeit. Das, was wir Wissenschaft nennen, läßt uns ein wenig mehr erkennen, aber nicht viel. Und manches zeigt es uns noch dazu falsch.«

»Interessant«, sagte Aton. »Haben Sie meinem Vater diese Theorie schon erzählt?«

Petach lächelte kurz. »Manche Menschen - sehr wenige - sehen ein wenig mehr von der wahren Welt als die anderen, aber meistens glaubt man ihnen nicht. Im besten Falle werden sie ausgelacht, und fast immer begegnet man ihnen mit Mißtrauen und Feindseligkeit. Dabei sind sie wie Einäugige in einer Welt von Blinden, weißt du?«

»Und Sie sind einer von diesen Einäugigen?« fragte Aton.

Petach ging nicht darauf ein. »Ich bin sehr alt, Aton«, sagte er. »Viel älter, als du glaubst oder auch dein Vater und deine Mutter. Und doch beginne selbst ich gerade erst zu begreifen, wie die Welt wirklich funktionieren mag.«

Unter anderen Umständen hätte Aton diese Worte vermutlich lächerlich gefunden oder allenfalls interessant. Aber jetzt erweckten sie eine Furcht in seiner Seele, die er nicht mehr vollends zurückzudrängen vermochte. Es war, als enthielten sie eine Art von Wahrheit, die sein Verstand vielleicht noch anzweifelte, und sei es nur, weil sie einfach nicht in das Bild der Welt paßte, an das er sein Leben lang geglaubt hatte, von der etwas tief in ihm aber wußte, daß es sie gab. Und natürlich kamen die äußeren Umstände hinzu, die Petach nicht passender zu dieser Eröffnung hätte konstruieren können:

Das Heulen des Sturms, das gedämpfte Licht und die stumme Anwesenheit der beiden unheimlichen Tiere schufen eine Atmosphäre, die für Geschichten über Geister und Dämonen geradezu geschaffen war.

»Warum ... erzählen Sie mir das alles?« fragte er stockend.

»Damit du verstehst, Aton«, antwortete Petach. »Denn nur, wenn du wirklich verstehst, worum es geht, wirst du mir helfen.«

»Helfen?« Aton riß ungläubig die Augen auf. »Ich soll Ihnen helfen?«

»Wäre das so viel verlangt?« fragte Petach. »Ich weiß, du kennst mich kaum, und du glaubst, du hättest Grund, mich zu fürchten. Aber das stimmt nicht. Ich brauche deine Hilfe, Aton. Ich und ... viele andere.« Er schob den Stuhl in die Mitte des Zimmers und setzte sich.

»Wieso?« murmelte Aton. »Wobei?«

»Ich will dir eine Geschichte erzählen, Aton«, begann Petach. »Komm, setz dich zu mir.« Er wartete einen Moment.

Als Aton keine Anstalten machte, seiner Aufforderung zu folgen, zuckte er mit den Schultern und begann mit leiser Stimme zu erzählen: »Jedes Volk hat seine eigenen Geister, Aton, seine eigenen Götter und seine eigenen Dämonen. Manche glauben an die Kräfte der Natur, manche an die der Seele, manche an Götter, die zwischen den Sternen wohnen oder tief in der Erde, je nach ihrer Herkunft und Geschichte. Jede menschliche Kultur zu jeder Zeit hat ihre Götter und Geisteswesen gehabt. Bei den Griechen waren es die Götter des Olymp, bei den Germanen die Äsen, die im Schatten der Weltenesche Yggdrasil leben. Auch ihr habt eure Götter, auch wenn es in letzter Zeit modern geworden ist, sie zu verleugnen. Ihr glaubt an Wissenschaft und Fortschritt, und ihr lacht über die primitiven Völker, die an die Geister des Windes und des Feuers glauben, ohne zu begreifen, daß es nur andere Götzen sind, die ihr verehrt. Eines aber ist ihnen allen gleich, Aton: Sie alle existieren wirklich.«

»Wie bitte?« fragte Aton. Er lachte, aber es klang nicht sehr fröhlich. »Das ... das ist doch lächerlich.«