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»Also haben die Götter überlebt«, sagte er. Hinter ihm heulte der Sturm lauter auf, wie um Atons Worte zu bestätigen, und auch Petach nickte.

»Ja«, antwortete er. »Und Echnaton selbst sorgte dafür.«

»Echnaton?!«

»Er verfluchte seinen Mörder, Aton«, sagte Petach. »Mit seinem letzten Atemzug sprach er einen Fluch über ihn aus, wie er schrecklicher nicht sein konnte. Der Mann, den er für seinen Freund hielt, nahm ihm das Leben, doch er verfluchte ihn dazu, niemals sterben zu dürfen. Es war Echnatons Fluch, daß der Mann, der ihm und all seinen Kriegern den Tod gebracht hatte, so lange ruhelos über das Antlitz der Welt wandern sollte, bis die Toten, deren Blut an seinen Händen klebte, sich wieder aus ihren Gräbern erheben.«

»Aber das ... das ist doch unmöglich«, murmelte Aton.

»Echnaton starb vor mehr als dreitausend Jahren! Niemand kann so lange leben!«

»Niemand sollte so lange leben«, korrigierte ihn Petach. »Die Menschen fürchten sich vor dem Tod. Dabei begreifen sie gar nicht, daß er eine Gnade ist. Nicht das Sterben ist eine Strafe, sondern nicht sterben zu dürfen.«

»Grauenhaft«, flüsterte Aton.

»Die Zeit, daß sich die Prophezeiung erfüllt, ist nahe«, fuhr Petach fort. »Ein Leben für ein Leben, so will es das Gesetz, das über dem der Menschen und der Götter steht. Keine Strafe währt ewig. Hundertdreißig Männer fanden den Tod in der Wüste, und hundertdreißig Generationen sind seither vergangen. Bald werden die Sterne die gleiche Stellung am Himmel haben wie an jenem Tag, und wenn dies geschieht, dann kann der Fluch gebrochen werden. Die Toten werden sich aus ihren Gräbern in der Wüste erheben, und der Mann, der Echnaton verriet, wird endlich seinen Frieden finden. Dreitausend Jahre sind genug, Aton. Kein Verbrechen ist so schlimm, daß es niemals gesühnt werden kann.«

»Und was ... habe ich damit zu tun?« fragte Aton.

Petach wollte antworten, doch er kam nicht mehr dazu, denn in diesem Moment stieß Anubis ein schrilles, erschrockenes Jaulen aus, und fast in derselben Sekunde heulte der Sturm draußen vor dem Haus wie mit den Stimmen tausend gepeinigter Geister auf, und die Faust eines unsichtbaren Riesen traf das Fenster hinter Atons Rücken und ließ es regelrecht explodieren.

Der Überfall

Aton versuchte seinen Sturz abzufangen, aber seine Kraft reichte nicht aus. Er wurde auf das Bett geschleudert, und vermutlich bewahrte ihn nur das weiche Bettzeug vor einer schweren Verletzung, denn der Sturm traf ihn mit der Wucht eines Hammerschlages. Rings um ihn herum gingen scharfkantige Glasscherben und Splitter des Fensterrahmens nieder, und das Zimmer war von einer Sekunde auf die andere von höllischem Lärm und durcheinanderwirbelndem Weiß erfüllt; Schnee und Eis, in die sich auch noch die Federn des aufgeschlitzten Bettzeugs mischten.

Aton richtete sich auf und hob schützend den Arm über das Gesicht. Der Hagel aus Glassplittern hatte aufgehört, aber er konnte trotzdem kaum etwas sehen, geschweige denn hören.

Der Sturm erfüllte das Zimmer mit einem unbeschreiblichen Lärm, in den sich auch noch Anubis' hysterisches Kläffen und ein an- und abschwellendes Heulen mischte, das Aton erst nach einigen Sekunden als das Schrillen der Alarmanlage erkannte, die durch das Zerbrechen des Fensters ausgelöst worden war. Es war eiskalt im Zimmer, und das Schneetreiben hier drinnen war so dicht, daß es sich kaum mehr von dem draußen unterschied. Aton konnte die gegenüberliegende Wand fast nicht mehr erkennen.

Auch Petach war von der plötzlichen Böe vom Stuhl gefegt worden, hatte sich aber rascher wieder erhoben als Aton.

Jetzt versuchte er das Fenster zu erreichen, aber der Sturm schlug ihm mit solcher Macht entgegen, daß er weit nach vorne gebeugt gehen mußte und trotzdem kaum von der Stelle kam. Seine Augenbrauen und sein Haar waren bereits weiß, und auch in seinen Kleidern glitzerten Eiskristalle.

»Aton!« schrie er. »Das Fenster! Wir müssen die Läden schließen! Hilf mir!«

Aton stemmte sich mit aller Kraft gegen den Sturm, aber er kam erst wirklich von der Stelle, als er ein Stück zur Seite wich und sich dem Fenster nicht mehr unmittelbar näherte.

Hinter ihm kämpfte auch Anubis gegen den Sturm, allerdings auf typische Hundeart: ziemlich laut und nicht besonders clever. Er hatte alle viere in den Boden gestemmt und biß laut kläffend nach den Sturmböen, die wie mit eisigen Krallen nach seinem Gesicht schlugen. Bastet hatte sich längst verkrochen; Katzen waren eben doch klüger als Hunde.

Als Aton das Fenster erreichte, hatte sich Petach bereits hinausgelehnt und angelte mit der Hand nach einem der Läden. Mit der anderen mußte er sich am Fensterbrett festklammern und zusätzlich die Füße gegen den Boden stemmen, um nicht ins Zimmer zurückgeschleudert zu werden.

»Wir müssen das Fenster zumachen, ehe das ganze Haus wegfliegt!« schrie er über das Toben des Sturms hinweg. Das war natürlich übertrieben, aber im Grunde hatte Petach recht. Sie konnten nicht tatenlos zusehen, wie der Sturm hier drinnen alles verwüstete. Trotzdem verstand Aton Petachs Erregung nicht ganz. Der Ton in seiner Stimme grenzte an Panik.

Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, einen der beiden Laden zu lösen und einzuhaken, aber der andere wurde vom Sturm so gegen die Wand gepreßt, als wäre er festgenagelt.

Ihre Finger waren klamm vor Kälte, und das Atmen bereitete ihnen große Mühe.

»Du mußt dich weiter hinausbeugen!« schrie Petach. »Ich halte dich, keine Angst.«

Aton wartete, bis Petachs Hände seine Hüften sicher umschlossen hatten, dann beugte er sich weit ins Freie. Der Sturm heulte lauter auf. Eiskristalle stachen in seine Augen, so daß sie sich mit Tränen füllten und er kaum noch etwas sah. Halb blind und mit Fingern, die nach Sekunden so steif gefroren waren, daß jede Berührung weh tat, tastete er nach dem kleinen Riegel, der den Fensterladen an der Wand hielt.

Irgendwie bekam er ihn auf, aber den Laden zu schließen überstieg fast seine Kräfte.

Erst als Petach mit Zugriff, schien es ihnen zu gelingen, aber im letzten Moment brüllte der Sturm plötzlich auf, riß ihnen den Laden aus den Händen und schmetterte ihn mit solcher Wucht gegen die Wand, daß er in Stücke brach.

Und nicht nur das Heulen des Sturms wurde lauter. Irgend etwas geschah mit dem Licht. Es wurde schwefelgelb und schien plötzlich aus allen Richtungen zugleich zu kommen, denn es gab keine Schatten mehr, und die wirbelnden Schneeflocken sahen plötzlich aus wie Millionen glühender Funken, die in einem Feuersturm daherkamen.

»Mein Gott!« sagte Aton erschrocken. »Was ... was ist denn das für ein seltsamer Sturm?«

»Das ist kein Sturm«, antwortete Petach. »Das ist ...« Er stockte, beugte sich vor und blickte in den Garten hinunter, und Aton konnte sehen, wie sein Gesicht blaß wurde.

Als er Petachs Blick folgte, erschrak er ebenfalls. Unten im Garten, inmitten der tobenden Schneemassen, stand eine Gestalt, kaum mehr als ein Schatten, und sah zu ihnen herauf.

Doch Petach schien zu wissen, um wen es sich handelte, denn er prallte mit einem Schreckensruf zurück und fuhr herum.

»Raus hier!« schrie er. »Schnell!«

Doch bevor sich Aton vom Fenster abwenden konnte, sah er etwas, das ihm schier das Blut in den Adern gerinnen ließ.

Die Gestalt - die er noch immer nur als tiefenlosen schwarzen Schatten erkennen konnte - hatte den Kopf gehoben und riß die Arme in die Höhe, und irgend etwas löste sich von ihr und raste mit irrsinnigem Tempo auf das Fenster zu.

Aton konnte nicht erkennen, was es war, denn Petach riß ihn vom Fenster fort, aber es war riesig, finster und brodelnd, fast als hätte der Sturm selbst versucht, Gestalt anzunehmen.

Dann hatten sie das Zimmer auch schon durchquert und waren draußen auf dem Korridor. Petach ließ Atons Arm los, wirbelte herum und griff hastig nach der Türklinke. Irgend etwas Gewaltiges, Schwarzes füllte plötzlich den Raum hinter ihm aus, und Aton vermochte hinterher nicht mehr zu sagen, ob es Petach gewesen war, der die Tür im letzten Augenblick zuzog, oder ob eine unsichtbare Gewalt sie von drinnen ins Schloß schmetterte.