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»Du ... bist ja wahnsinnig«, flüsterte Echnaton.

»Vielleicht«, antwortete der Verräter. »Aber vielleicht braucht es einen Wahnsinnigen, um einen Wahnsinnigen zu stürzen!«

Und damit hob er seine Lanze und rammte sie Echnaton so tief in die Brust, daß die Spitze knirschend gegen den Stein in Echnatons Rücken stieß und abbrach.

Schwer atmend richtete sich der Verräter wieder auf und blickte noch einen Moment auf die verkrümmte, plötzlich so erbärmlich wirkende Gestalt. Als er sich umwandte, um zu seinen Kriegern zurückzugehen, öffnete Echnaton stöhnend die Augen.

Der Verräter erstarrte. Ein Ausdruck abgrundtiefen Entsetzens breitete sich auf seinen Zügen aus. Der Pharao ... lebte!

»Verräter!« flüsterte Echnaton mit ersterbender Stimme. »Du ... hast mich belogen. Du hast ... den Eid gebrochen, den du mir geleistet hast, und du hast ... den Schwur gebrochen, den du Gott Aton geleistet hast! Du hast ... mich getötet. Ich verfluche dich.«

»Schweig!« schrie der Verräter. Seine Stimme war schrill und seine Augen flackerten. Aber er wagte es nicht, sich der Gestalt am Boden zu nähern.

»Du hast ... mich getötet«, flüsterte Echnaton noch einmal. »Und dafür verfluche ich dich! Aber nicht mit dem Tod, denn das wäre zu einfach. Du sollst ... leben. Du sollst niemals Ruhe finden. Du sollst leben ... bis ... zu dem Tag, an dem ... ein Toter all diese Krieger wieder aus ihrer Ruhe erweckt! Erst dann kannst du sterben! Das ist der Fluch, den Amenophis der Vierte von Ägypten über dich ausspricht, Verräter!« Und damit starb er.

Sein Körper sank mit einem letzten Aufbäumen zurück, und der Verräter konnte sehen, wie das Leben aus seinen Augen wich.

Er blieb lange neben dem Leichnam Echnatons stehen und blickte auf ihn hinab, und er versuchte vergeblich, den unheimlichen Klang dieser letzten Worte aus seinen Gedanken zu verbannen: »Du sollst leben. Du sollst niemals Ruhe finden, bis zu dem Tag, an dem ein Toter all diese Krieger wieder aus ihrer Ruhe erweckt ...«

3 300 JAHRE SPÄTER

Das Museum

»Aton? Sagtest du tatsächlich Aton?«

Aton schluckte die bissige Bemerkung hinunter, die ihm auf der Zunge lag, und beließ es bei einem verlegen wirkenden Lächeln und einem Achselzucken. Beides Antworten, für die allein Werner ihm noch nicht die Zähne einschlagen würde.

Es war so, daß Werner nicht unbedingt einen Grund brauchte, um jemandem mit seinen Fäusten ins Gesicht zu schlagen, manchmal reichte es, daß er gerade Lust dazu hatte.

Es machte ihm Spaß, anderen weh zu tun.

Aton war alles andere als ein Feigling und schon gar nicht schwächlich oder klein. Aber neben Werner mit seinen knapp ein Meter achtzig und seiner Sylvester-Stallone-Schulterbreite wirkte er trotzdem wie ein Zwerg, und er hatte sehr wenig Lust, die letzten vier Tage vor den Ferien in der Krankenstation des Internats zu verbringen, die im Moment nur einen einzigen Patienten beherbergte: Ricky, einen seiner Klassenkameraden. Ricky hatte vor zwei Wochen den Fehler begangen, Werner zu sagen, wofür er ihn wirklich hielt.

»Deine Eltern müssen 'ne ganz schöne Macke gehabt haben, wie?« fuhr Werner mit einem anzüglichen Grinsen fort und rammte die Fäuste in die Taschen seiner Bomberjacke. »Oder war dein Alter einfach zu geizig für das zweite ›n‹ in Anton?«

Er lachte laut und meckernd über seinen eigenen Witz, und Aton hatte Mühe, die Ruhe zu bewahren. Insgeheim stimmte er Werner zu: Der Name, den seine Eltern ihm gegeben hatten, war schon des öfteren Anlaß zu schrägen Blicken oder Sticheleien gewesen. Aber niemand hatte es bisher so gehässig getan.

»Es hat nichts mit Anton zu tun«, sagte er, so freundlich er konnte. »Aton ist der Name des alten ägyptischen Sonnengottes. Meine Eltern haben eine besondere Vorliebe für Ägypten«, fügte er mit einem kaum hörbaren Seufzer hinzu.

Werner runzelte die Stirn. »Sonnengott, so.«

»Nicht direkt«, erklärte Aton weiter, ohne auf die innere Stimme zu hören, die ihm zuflüsterte, daß er jetzt besser die Klappe hielt.

»Eigentlich hieß der Sonnengott Re, und Aton war die Bezeichnung für die Sonnenscheibe. Aber später hat dann Pharao Echna-«

Er verstummte mitten im Wort, als er das Funkeln in Werners Augen gewahrte. Werner war ein Idiot mit dem Intelligenzquotienten einer Küchenschabe - dummerweise einer von hundertsiebzig Pfund Kampfgewicht.

Aber das Gefährliche an ihm war, daß er das wußte. Und entsprechend ungehalten reagierte, wenn man es ihn zu deutlich spüren ließ.

Aber es sah so aus, als käme Aton für heute noch einmal davon. »Aton«, wiederholte Werner noch einmal, dann zuckte er mit den Achseln, drehte sich um und marschierte über den weitläufigen Innenhof des Sänger-Internats davon, gefolgt von den drei Mitgliedern seiner Bande. Einer Bande, die die unumstrittene Herrschaft über das Internat ausübte und die im nächsten Schuljahr in Atons Klasse Einzug halten würde.

Bis zu den großen Ferien dauerte es zwar noch mehr als ein halbes Jahr, aber Direktor Zombeck hatte Werner bereits mitgeteilt, daß er noch eine Ehrenrunde drehen durfte: Er würde sitzenbleiben, nicht zum ersten Mal, und die drei Idioten, die er um sich versammelt hatte und abwechselnd als Laufburschen, Prügelknaben und Schlägertrupp einsetzte, gleich mit ihm.

Aton unterdrückte ein neuerliches Seufzen. Er fragte sich, womit um alles in der Welt er dieses Schicksal verdient hatte.

Das Sänger-Internat an sich war gar nicht so übel - die teure, in der Welt draußen so gut wie unbekannte Privatschule lag auf einem kleinen Hügel über Crailsfelden, einem winzigen Ort in der Nähe der Hauptstadt, der auf den meisten Straßenkarten nicht einmal verzeichnet war. Es war ein Internat für ausschließlich hochbegabte Jugendliche, leider aber auch für solche, deren Eltern Geld und Einfluß genug hatten, daß es niemand wagte, ihnen zu sagen, wie es wirklich um ihre Lieblinge stand. Wie sich Werner und seine drei Anhänger hierher verirrt hatten, das war nicht nur Aton ein Rätsel.

»Hallo, Aton!« sagte eine Stimme hinter ihm, und als Aton sich herumdrehte, erkannte er Ronald Bender, den Hausmeister, der den drei Jungen einen forschenden Blick nachwarf.

»Gab es Ärger?« fragte er.

Aton schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Wir haben uns nur bekannt gemacht. Werner und seine Freunde sind ab nächstem Jahr meine Klassenkameraden.«

Bender grinste, enthielt sich aber sonst jeden Kommentars.

»Der Bus ist schon da«, sagte er. »Du weißt doch, daß Direktor Zombeck nicht gerne wartet.«

Und ob Aton das wußte! Von allen Eigenschaften trafen geduldig und großzügig auf Direktor Zombeck wohl am allerwenigsten zu. Wenn er sagte, daß der Bus um elf Uhr abfuhr, dann meinte er damit elf Uhr, nicht etwa eine Sekunde später! Also bedankte sich Aton mit einem Kopfnicken bei Bender und steuerte das Tor auf der anderen Seite des Innenhofes an.

Auf dem Parkplatz des festungsähnlichen Klosters, in dessen Mauern sich das Sänger-Internat befand, wartete ein zweistöckiger Bus auf die Zöglinge, die heute die Ehre hatten, an einem Ausflug mit Direktor Zombeck teilzunehmen.