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Angst machten ihm die Bilder, die die Wände zierten. Es waren fremdartige, düstere Bilder, Bilder von Göttern und Dämonen, von Menschen und Ungeheuern, Bilder, die uralte Geschichten erzählten, von uralten Gefahren, uralten Schrecknissen, aber auch uralten Freuden zu berichten wußten. Er verstand nur das wenigste von dem, was er sah, aber die fremden Linien, die strenge Geometrie und die düstere Symbolik machten es unangenehm, sie nur zu betrachten.

Und etwas war hinter ihm.

Er hatte es bisher nicht gesehen. Jedesmal, wenn er stehenblieb und den schwächer werdenden Strahl in die Dunkelheit hinter sich richtete, war dort nichts. Nichts zu sehen, nichts zu hören. Aber er spürte, daß dort etwas war. Nicht jemand. Etwas. Und es kam näher.

Aton fuhr mit einem Schrei in die Höhe. Sein Herz raste. Er war in Schweiß gebadet, und zugleich zitterte er am ganzen Leib. Im allerersten Moment hatte er Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Er wußte, daß er wach war, er wußte, daß er einen Traum gehabt hatte, und trotzdem schien ihm die Dunkelheit, in der er erwachte, noch immer die zu sein, durch die er in seinem Traum geirrt war. Und er war auch hier nicht allein. Etwas Warmes, Schweres lag auf seiner Brust. Als er die Hand ausstreckte, spürte er weiches, flauschiges Fell. Bastet. Die Katze war mit ihm heraufgekommen, als er schlafengegangen war.

Es war nicht das erste Mal, daß Aton diesen Traum träumte. Früher hatte er ihn oft geträumt, fast jede Nacht, und er war oft schreiend und um sich schlagend erwacht. Der Traum war nicht nur ein Traum. Er war wirklich in jenem Gang gewesen, hatte diese furchtbaren Bilder wirklich gesehen und diese entsetzliche Angst tatsächlich erlitten, und da er damals gerade fünf Jahre alt gewesen war, hatte es lange gedauert, bis er die Schrecken jener Nacht ganz verarbeitet hatte. Jahre waren vergangen, bis der Traum allmählich seltener wurde, doch ganz war er niemals verschwunden. Aber er war schon seit Jahren nicht mehr so schlimm gewesen wie jetzt.

Die Tür wurde geöffnet, und Aton blinzelte in das plötzliche Licht, das vom Flur hereinfiel. Bastet fauchte erschrocken, sprang mit einem Satz vom Bett und flitzte zwischen den Beinen seiner Mutter hindurch aus dem Zimmer. Aton stellte verwundert fest, daß draußen bereits Tageslicht herrschte. Er mußte gut einen halben Tag verschlafen haben.

»Alles in Ordnung?« erkundigte sich seine Mutter von der Tür her.

»Ja«, antwortete Aton. Und fügte dann hinzu: »Ich hatte wieder diesen Traum. Komisch, nach so langer Zeit. Und ich dachte schon, ich hätte endlich meine Ruhe.«

»Das wundert mich überhaupt nicht«, sagte seine Mutter, »nach dem, was gestern hier geschehen ist.« Sie trat wieder zurück und legte die Hand auf die Türklinke. »Das Frühstück ist fertig«, sagte sie. »Ich meine, du könntest noch eine halbe Stunde schlafen, aber wenn du willst ...«

Aton überlegte nur kurz, ehe er die Decke vollends abstreifte und aufstand. Normalerweise kämpfte er morgens um jede Minute, die er noch im Bett bleiben konnte, aber seit er das Internat verlassen hatte und nach Hause gekommen war, war absolut nichts mehr normal. Aus seinem Bett, einem Ort, an dem es warm und behaglich war, war etwas Feindseliges und Böses geworden, ein Platz, vor dem er sich beinahe fürchtete. Zum ersten Mal seit Jahren, seit er die Träume nach und nach überwunden hatte, hatte er wieder Angst davor, einzuschlafen.

Er fand seine Eltern in der Küche, wo sie zusammen mit Petach am Frühstückstisch saßen, Anubis (und zu Atons Überraschung auch Bastet) fraßen um die Wette aus zwei unterschiedlich großen Näpfen neben der Tür, und aus dem hinteren Teil des Hauses drang lautes Hämmern und Sägen.

Auf dem Tisch zwischen seinem Vater und Petach stapelten sich Papiere und Reiseunterlagen, deren Anblick Aton schmerzhaft ins Gedächtnis zurückrief, daß die Abreise seiner Eltern unmittelbar bevorstand - und damit auch seine eigene.

»Hallo, Aton!« sagte sein Vater. »Hast du gut geschlafen?«

»Nicht besonders«, gestand Aton. »Ich hatte wieder den Traum.«

»Den Traum?« Petach sah ihn fragend an.

»Aton hatte einen Unfall, als er fünf Jahre alt war«, erklärte sein Vater. »Er wurde verschüttet. Es hat fast vierundzwanzig Stunden gedauert, bis er gefunden wurde. Die körperlichen Verletzungen waren nicht schlimm, aber er hat noch jahrelang danach unter schlimmen Alpträumen gelitten.«

»Das wundert mich nicht«, sagte Petach. »So etwas kann einem das ganze Leben lang zu schaffen machen.«

Aton wurde das Gespräch allmählich unangenehm. »Wo hast du denn so schnell die Handwerker herbekommen?« fragte er mit einer Kopfbewegung in die Richtung, aus der der Lärm drang. »Du sagst doch immer, es dauert Monate, bis jemand kommt.«

»Herr Petach hat mir geholfen«, antwortete sein Vater. »Ohne ihn hätte es wahrscheinlich wirklich eine Woche oder mehr gedauert.«

Aton sah den Ägypter über den Tisch hinweg durchdringend an. »Gibt es irgend etwas, was Sie nicht können?« fragte er.

»Ich kenne eine Menge Leute«, antwortete Petach. »Es ist immer gut, Freunde zu haben.«

Atons Vater sah verwirrt zwischen seinem Sohn und Petach hin und her, fast als spürte er, daß die Worte der beiden nicht ganz so nichtssagend waren, wie sie sich anhörten. Dann räusperte er sich, um Atons Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

»Wir haben eine Menge zu besprechen, Aton«, sagte er mit einer Geste auf die Papiere, die vor ihm auf dem Tisch lagen. »Ich weiß, der Moment ist nicht besonders günstig, aber uns bleibt nicht mehr genug Zeit, um auf eine geeignete Stunde zu warten.«

Ein ungutes Gefühl begann sich in Aton breitzumachen. Er kannte seinen Vater. Wenn er mit einer derart umständlichen Ansprache begann, dann wollte er damit meistens Zeit schinden - weil ihm das, worüber er sprechen wollte, äußerst unangenehm war.

»Ihr müßt weg, ich weiß«, sagte er.

»Ja, und zwar schon bald«, seufzte sein Vater. »Um es präzise auszudrücken, schon heute.«

»Heute?« Aton setzte sich kerzengerade auf. Er war zutiefst erschrocken. Heute schon? Aber er hatte gedacht, wenigstens ein paar Tage zu Hause bleiben zu können!

»Ja«, bestätigte sein Vater. »Das war auch der Grund, aus dem wir gestern abend überraschend in die Stadt mußten, um unsere Pässe abzuholen. Ich hatte gehofft, zumindest zwei, drei Tage noch hier verbringen zu können. Aber gestern kam ein Telefax von der Baustelle. Wir müssen sofort abreisen.« Er deutete auf sein Gegenüber. »Herr Petach war so freundlich, sich anzubieten, hier alles Notwendige zu erledigen - die Versicherung, die Handwerker, die Polizei ... alles eben. Aus diesem Grund können wir sofort abreisen.«

»Und ... und ich?« fragte Aton stockend. Er war wie vor den Kopf geschlagen. Er hatte gewußt, daß dieser Moment kommen würde, und trotzdem: Jetzt, als es soweit war, war er regelrecht entsetzt.

»Das ist nicht so einfach«, antwortete sein Vater. »Nach dem, was gestern hier passiert ist, möchte ich dich ungern allein hier im Haus lassen. Aber Herr Petach konnte uns auch in diesem Punkt helfen.«

»Herr Petach?« Aton erstarrte.

»Ich habe ohnehin noch ein paar Tage beruflich hier in der Gegend zu tun«, bestätigte Petach. »Lange genug jedenfalls, um hier alles zu regeln. Danach kann ich dich zu deiner Großmutter bringen.«

»Wahrscheinlich müssen Sie sowieso gerade in diese Richtung, wie?« fragte Aton böse. »Rein zufällig, versteht sich.«