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»Beeilen?« fragte Aton. »Dann lassen Sie besser mich fahren. Oder wir gehen zu Fuß.«

Petach lächelte, wurde aber sofort wieder ernst. »Es ist nicht sehr weit. Komm.«

Sie gingen zum Wagen zurück. Aton fiel auf, daß Petach die vier Stockwerke zum oberen Parkdeck über die Treppe hinaufging, die außen am Parkhaus in die Höhe führte, statt den Aufzug zu benutzen, aber er äußerte sich nicht dazu; ebensowenig wie zu den kleinen, verstohlenen Blicken, die der Ägypter immer wieder in die Runde warf - und vor allem in den Himmel hinauf. Als sie endlich im Wagen saßen, gelang es Petach kaum, seine Erleichterung zu verbergen, was Atons Sorge neue Nahrung gab. Petach hatte zwar behauptet, daß seine Macht reichte, um sie vor ihren Verfolgern zu beschützen, aber wer sagte ihm eigentlich, daß das stimmte?

In einem für Petach schon fast halsbrecherischen Tempo - also deutlich schneller als eine Schildkröte - fuhren sie nach unten und hielten vor der automatischen Schranke an. Petach kurbelte das Fenster hinunter und schob die Parkkarte in den Automaten. Nach zwei Sekunden gab das Gerät die Karte zurück, aber die Schranke rührte sich nicht. Petach versuchte es noch einmal mit dem gleichen Ergebnis.

»Sie haben nicht bezahlt«, sagte Aton.

Petach sah ihn verständnislos an, und Aton machte eine Kopfbewegung auf das kleine Kärtchen in seiner Hand. »Sie hätten oben am Automaten die Parkgebühr bezahlen müssen«, sagte er. »Wissen Sie das denn nicht?«

Petachs Gesichtsausdruck machte klar, daß er tatsächlich keine Ahnung hatte, wovon Aton sprach. »Ich fahre sehr selten in Parkhäuser«, sagte er verlegen.

»Ja, nur alle paar hundert Jahre, nehme ich an«, seufzte Aton. Er griff mit der linken Hand in die Jackentasche, kramte ein paar Münzen hervor und nahm Petach mit der anderen die Karte aus der Hand.

»Ich erledige das schnell«, sagte er. »Warten Sie hier. Und wenn hinter Ihnen ein anderer Autofahrer auftaucht, der hinaus will, versuchen Sie, nicht von ihm gelyncht zu werden.«

Petach war von der Idee, Aton aussteigen zu lassen, sichtlich nicht begeistert. Aber Aton öffnete bereits die Tür und war aus dem Wagen, ehe er etwas dagegen sagen konnte. Und wahrscheinlich hatte er wirklich keine Ahnung, wie der Parkautomat funktionierte. Aton begann sich allmählich zu wundern, daß Petach überhaupt Auto fahren konnte.

Eine Etage höher hatte er einen Parkautomaten gesehen. Um den Weg abzukürzen, nahm er weder die Rolltreppe noch den Aufzug, sondern lief kurzerhand die Rampe hinauf, auf der sie heruntergekommen waren - und rannte prompt einem Parkwächter in die Arme.

»Was soll denn das?« schimpfte der Mann, der so griesgrämig dreinsah, als litte er seit Jahren unter Zahnschmerzen. »Willst du dich mit Gewalt überfahren lassen? Wozu, glaubst du, haben wir hier Treppen, Aufzüge und Verbotsschilder?«

»Entschuldigen Sie«, sagte Aton eingeschüchtert und wies den Parkschein vor. »Aber wir stehen unten vor der Schranke und -«

»Nein, ich entschuldige nicht«, unterbrach ihn der Wächter. »Wenn du überfahren wirst, dann wird dein Vater noch eine ganze Weile länger darauf warten müssen, nach Hause zu kommen, weißt du?« Er wedelte unwillig mit beiden Händen. »Jetzt geh zum Automaten und laß dich bloß nicht dabei erwischen, die Rampe wieder hinunterzulaufen!«

Aton war klug genug, nicht zu widersprechen, und trollte sich. Rasch bezahlte er die Parkgebühr, steckte die Karte sorgfältig ein und ging dann zum Lift. Er widerstand der Versuchung, sich herumzudrehen, aber das war auch gar nicht nötig. Er konnte die lauernden Blicke des Parkwächters regelrecht im Rücken spüren.

Die Liftkabine erschien, kaum daß er den Knopf gedrückt hatte, aber Aton zögerte plötzlich, sie zu betreten. Es kam ihm zwar selbst ein wenig verrückt vor - aber mit einem Male war er sicher, daß Petach einen guten Grund gehabt hatte, nicht den Aufzug zu benutzen. Nur ein paar Schritte entfernt gab es eine Rolltreppe. Er würde allerhöchstens ein paar Sekunden verlieren, wenn er sie nahm statt des Aufzuges.

Er sagte sich zwar selbst, daß es albern war, hatte aber trotzdem ein ungutes Gefühl dabei, Petachs Warnung so einfach in den Wind zu schlagen, und so blieb er noch einmal stehen und sah zur Rampe zurück, ehe er die Rolltreppe betrat. Der Parkwächter stand noch immer da und blickte mit finsterem Gesicht in seine Richtung. Keine Chance, an ihm vorbeizukommen. Außerdem benahm er sich mittlerweile wirklich kindisch. Es war eine Rolltreppe, mehr nicht. Er konnte ihr unteres Ende von hier aus sogar sehen - was sollte schon passieren? Mit einem entschlossenen Schritt trat er auf die geriffelten Metallstufen, und die Treppe setzte sich automatisch in Bewegung, als er dabei die Lichtschranke unterbrach.

Nichts geschah. Weder tat sich die Erde auf, um ihn zu verschlingen, noch griffen plötzlich Geisterhände aus den Wänden nach ihm - oder irgendein anderer Unsinn. Aton rief sich in Gedanken zur Ordnung. Sicher, er hatte einige unheimliche, ja geradezu gespenstische Dinge erlebt in den letzten Tagen, und er hatte begriffen, daß - wie hatte Petach es genannt? - die Dinge nicht so waren, wie sie den Menschen vorkamen. Aber jetzt hinter jeder Kleinigkeit eine Falle zu wittern, das war wahrscheinlich genauso unsinnig, wie zu leichtsinnig zu sein. Er mußte achtgeben, daß er nicht den Blick für das rechte Maß der Dinge verlor.

Die Rolltreppe glitt in gleichmäßigem Tempo in die Tiefe, und Atons Gedanken begannen weiter abzuschweifen. Der Anblick dieser technischen Gerätschaft hätte ihm helfen sollen, sich im Hier und Jetzt festzuhalten, denn sie symbolisierte alles, in das sich die Welt verwandelt hatte seit jener Zeit, von der Petach erzählte: in eine Welt der Dinge, die man anfassen und begreifen konnte, eine Welt, die von den Naturgesetzen und der Logik regiert wurde, in der es Dinge gab, die die Arbeit der Menschen taten, die von Menschen geschaffen wurden und ihnen dienten und in der kein Platz für Dämonen, Geister und selbst Götter mehr war. Aber das genaue Gegenteil war der Fall. Plötzlich spürte er erst richtig, wie anders jene uralte, aber längst nicht vergessene Welt Petachs und seiner Feinde war und wie dünn die Mauer, die sie von dem trennte, was auch er selbst vor wenigen Tagen noch für die Wirklichkeit gehalten hatte.

Vielleicht lag es daran, daß ihn seine Umgebung an den finsteren Stollen aus seinem Traum erinnerte. Sicher, die Wände hier waren aus Beton, nicht aus dem braunen Sandstein der ägyptischen Wüste, und der Boden, der ihn in die Tiefe trug, bestand aus Stahl und Kunststoff, und doch war er wieder in einem rechteckigen, nach unten führenden Stollen, hatte er menschenleere Hallen durchquert, und wie in seinem Traum bewegte er sich, ohne zu gehen. Mit etwas Phantasie gab es hinter ihm sogar den Verfolger aus seinem Traum, der in diesem Fall vielleicht nicht gefährlich war, auf jeden Fall aber verhinderte, daß er auf demselben Weg zurückging, auf dem er gekommen war.

Aton lächelte über seine Einfälle. Den Parkwächter mit dem namenlosen Ungeheuer aus seinem Alptraum zu vergleichen war wirklich unfair. Schließlich tat der Mann bloß seine Arbeit und meinte es nur gut, und außerdem - hätte er das Ende der Rolltreppe längst erreichen müssen.

Das Lächeln auf Atons Gesicht gefror, als ihm klar wurde, daß er schon eine geraume Weile auf dieser Rolltreppe stand und seinen Gedanken nachhing. Vielleicht eine halbe Minute, vielleicht eine ganze - auf jeden Fall aber entschieden länger, als er für den Weg in die darunterliegende Etage hätte brauchen dürfen.

Aton fuhr herum und hätte um ein Haar laut aufgeschrien.

Das obere Ende der Rolltreppe - war verschwunden.

Sekundenlang stand Aton wie vom Donner gerührt da und starrte in die Richtung zurück, aus der er gekommen war, dann erwachte er endlich aus seiner Erstarrung, wirbelte so hastig herum, daß er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte, und schrie nun tatsächlich auf.