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Der Anblick vor ihm unterschied sich nicht von dem hinter ihm. Die Rolltreppe war natürlich nicht wirklich verschwunden. Im Gegenteil. Es gab sehr viel mehr von ihr, als eigentlich hätte da sein dürfen.

Der Schacht zog sich in beiden Richtungen scheinbar endlos, und unter Aton erstreckte sich Stufe an Stufe. Dutzend-, hundert-, ja vielleicht tausendfach reihten sich die gerillten Metallstufen aneinander, so weit er sehen konnte und wahrscheinlich noch ein gutes Stück darüber hinaus, denn obwohl sich die Treppe mit immer größerer Geschwindigkeit abzurollen begann, blieb ihr Ende im Dunst der Entfernung verschwunden.

Aber das war doch unmöglich! Das konnte nicht sein!

Aton spürte, wie sich seine Gedanken zu überschlagen begannen und Panik anstelle logischer Überlegung aufzukommen drohte. Er zwang sich, den Gedanken nicht zu Ende zu denken, schloß die Augen und ballte die Hände so heftig zu Fäusten, daß es weh tat. Ganz langsam zählte er im stillen bis fünf, ehe er die Augen wieder öffnete.

Der Anblick hatte sich nicht verändert. Die Rolltreppe erstreckte sich weiter unter ihm in die Tiefe, so weit sein Blick reichte.

Die Panik übermannte ihn nun doch. Für einige Augenblicke war er zu keiner anderen Empfindung fähig als Angst und nacktem Entsetzen, aber schließlich gelang es ihm doch, sich wenigstens halbwegs zur Ruhe zu zwingen. Unmöglich oder nicht, er erlebte das hier wirklich. Und selbst wenn nicht, so war es eine Halluzination von solcher Eindringlichkeit, daß es für ihn keinen Unterschied machte. Ob er es nun tatsächlich erlebte oder nur zu erleben glaubte, er mußte irgendwie damit fertig werden.

Allein der Entschluß, etwas zu tun, statt weiter tatenlos abzuwarten, was mit ihm geschah, gab ihm die Kraft, sich endgültig aus seiner Erstarrung zu lösen und herumzudrehen. Die Treppe löste sich über ihm ebenso in verschwommener Entfernung auf wie in der Tiefe, aber plötzlich erschreckte ihn der Anblick gar nicht mehr, sondern weckte seinen Trotz.

Schatten, die ihn verfolgten, Hunde und Katzen mit den Namen altägyptischer Gottheiten, ja selbst Mumien, die nach mehr als dreitausend Jahren aus ihren Gräbern stiegen, das alles hätte er ja noch irgendwie hingenommen. Aber eine Rolltreppe, die von einer Sekunde auf die andere auf das Hundertfache ihrer eigentlichen Größe mutierte?

Lächerlich! Irgend jemand erlaubte sich da einen schlechten Scherz mit ihm!

Entschlossen setzte sich Aton in Bewegung.

Eine Rolltreppe in umgekehrter Richtung hinaufzulaufen ist keine sehr leichte Angelegenheit, und die Treppe war eindeutig schneller geworden, aber Atons Trotz war nun in Zorn umgeschlagen, der ihm abermals neue Kraft verlieh. Mit weit ausgreifenden Schritten, manchmal zwei oder sogar drei Stufen auf einmal überspringend, rannte er in die Höhe.

Wahrscheinlich legte er sogar wirklich ein gutes Stück zurück, denn er wurde am Schluß immer schneller und lief selbst dann noch weiter, als er eigentlich schon gar nicht mehr konnte. Schließlich sank er erschöpft auf den Metallstufen zusammen. Das Ende der Rolltreppe war noch immer nicht in Sicht gekommen.

Dafür begannen sich die Wände allmählich zu verändern. An der Decke brannten noch immer helle, weiße Neonröhren, aber der Zement, der in gleichmäßigem Tempo an ihm vorüberglitt, war jetzt nicht mehr sauber, sondern fleckig und rissig, und in der Luft lag plötzlich der Geruch von Staub und alter Erde.

Und die gespenstische Veränderung setzte sich fort. Die Risse in den Wänden wurden immer zahlreicher und breiter, und die vorherrschende Farbe war bald nicht mehr grau, sondern ein schmutziges, gelbliches Braun. Auch das Licht veränderte sich. Die Röhren brannten weniger hell, und Aton kam an immer mehr Stellen vorüber, an denen es nur mehr leere Fassungen an der Decke gab, und dann nicht einmal mehr die.

Aton konnte hinterher nicht mehr genau sagen, wann aus dem Treppenschacht endgültig ein gewaltiger Felsstollen wurde, doch plötzlich waren Zement und vom Alter zernagter Kunststoff vollkommen verschwunden, und unter der Decke brannten keine Neonröhren mehr. Dafür hingen an den Wänden rußende Fackeln aus teergetränkten Reisigbündeln, in deren flackerndem, rötlichem Licht er fremdartige und trotzdem vertraut anmutende Symbole und Bilder erkennen konnte, die in den Stein eingeritzt waren. Das Parkhaus hatte endgültig einer fremden, unheimlichen Umgebung Platz gemacht, in der der Anblick der metallenen Stufen, die mit der monotonen Beharrlichkeit einer Maschine weiter in die Tiefe glitten, doppelt bizarr wirkte.

Schließlich verschwanden auch sie. Aton hatte es aufgegeben, die Zeit schätzen zu wollen, die verstrich. Zeit hatte in diesen unheimlichen Gefilden zwischen den Wirklichkeiten so wenig Bedeutung wie Logik, und irgendwann war der Handlauf aus schwarzem Gummi plötzlich fort, und als Aton den Blick senkte, stellte er fest, daß er nicht mehr länger auf Metall, sondern auf Stufen aus braunem, grob behauenem Sandstein stand. Aus dem beinahe lautlosen Dahingleiten der Rolltreppe war ein zitterndes Ruckein geworden, das von einem unheimlichen Knirschen und Rumpeln begleitet wurde, und er spürte, wie die Geschwindigkeit der Treppe abnahm; erst unmerklich, dann immer mehr, bis sich die Stufen schließlich gar nicht mehr bewegten, und das konnten sie auch nicht, denn er stand nun endgültig auf den Stufen einer gewaltigen, tief in den Leib der Erde hinabführenden Treppe aus Fels.

Aton sah sich unentschlossen um. Er hatte jetzt keine Angst mehr - sein Erstaunen über das, was er erlebte und sah, war einfach zu groß, um noch Raum dafür zu lassen - aber er zögerte trotzdem, weiterzugehen. Er ahnte, daß er dem Ziel seiner Reise nun nahe war, aber er ahnte auch, daß ihm das, was dort unten auf ihn wartete, noch sehr viel weniger gefallen würde als alles, was er bisher erlebt hatte. Er drehte sich noch einmal um und sah nach oben. Auch über ihm war jetzt keine Rolltreppe mehr, sondern ein schier endloser Schacht, aus dem die in regelmäßigen Abständen angebrachten Fackeln wie kleine rote Insekten auf ihn herabzustarren schienen.

Und dort oben, weit über ihm ... Lag es am flackernden Licht der Reisigfackeln, oder bewegte sich dort wirklich etwas?

Aton kniff die Augen zusammen und strengte sich an, um deutlicher sehen zu können. Irgend etwas ... schien sich dort zu bewegen. Ein Umriß. Vielleicht wirklich nur ein Schatten, aus nichts anderem als dem endlosen Kampf zwischen Licht und Dunkelheit geboren, vielleicht aber auch eine Gestalt, die langsam die Treppe herabkam und sich ihm näherte.

Eingebildet oder nicht - es war der Anblick dieses Schattens, der Aton dazu brachte, sich herumzudrehen und nun doch weiterzulaufen. Denn eines wußte er: Wer immer ihm hier herab gefolgt sein mochte, er war ihm ganz bestimmt nicht freundlich gesonnen.

Seine Überzeugung, das Ende der Verwandlung würde auch bald das Ende der Treppe sein, geriet im Laufe der nächsten Minuten mehr und mehr ins Wanken, denn eines war trotz aller Veränderungen gleichgeblieben: Die Treppe schien immer noch kein Ende zu haben. Zuerst langsam, dann immer schneller bewegte er sich die Stufen hinunter, bis er schließlich so rasch ausschritt, wie es gerade noch ging, ohne wirklich zu rennen. Es erwies sich als sehr mühsam, der Treppe weiter in die Tiefe zu folgen, denn die Stufen waren gerade ein bißchen zu breit und gerade ein bißchen zu hoch, um sie wirklich bequem hinuntergehen zu können. Zudem wurde es immer kälter. In den Geruch von Felsen und Staub mischte sich bald ein weiterer, feuchter, nicht sehr angenehmer Geruch, und hier und da entdeckte er Schimmel an den Wänden. Manche Fackeln, an denen er vorüberkam, waren naß geworden und erloschen, so daß er sich mehr als einmal mit weit ausgestreckten Armen durch fast vollkommene Finsternis vorwärtstasten mußte und stets Angst hatte, im Dunkeln auf den Stufen zu straucheln und den Rest des Weges möglicherweise erheblich schneller zurückzulegen, als er beabsichtigte. Dann und wann sah er sich im Gehen um. Der Schatten war noch immer hinter ihm. Er kam niemals nahe genug, um ihn wirklich zu erkennen, aber er verschwand auch niemals völlig, und nach einer Weile war Aton sicher, daß dort tatsächlich etwas war. Er war nicht besonders wild darauf, herauszufinden, was es war, und so beschleunigte er seine Schritte noch etwas mehr, obgleich er selbst ahnte, wie wenig das nutzte.