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Da bemerkte er etwas, was alle seine Überlegungen hinfällig machte: Inmitten des Nebels, der den See bedeckte, bewegte sich etwas. Und diesmal war es mehr als ein Schatten.

Schwäche und Kälte begannen seinen Blick zu verschleiern, so daß er auch ohne die grauen Schwaden Mühe gehabt hätte, Einzelheiten zu erkennen. Es war ein langgestreckter, flacher Umriß, der allmählich an Substanz zu gewinnen schien, als wäre er nicht wirklich, sondern ein Teil des Nebels, der versuchte, Materie zu werden. Der Vorgang war so gespenstisch, daß Aton für einen Moment selbst den Fremden vergaß, der noch immer über ihm stand - und als er sich wieder an ihn erinnerte und mit einer erschrockenen Bewegung aufsah, erlebte er eine neue Überraschung: Auch der unheimliche Fremde hatte den Schatten erspäht. Er stand hoch aufgerichtet da und blickte angespannt auf den See hinaus, und auf seinem Gesicht lag der Ausdruck von ... Furcht?

Atons Gedanken arbeiteten mit zehnfacher Schnelligkeit.

Wenn das, was da auf ihn zukam, etwas war, wovor sich der Fremde fürchtete, dann war es vielleicht ... sein Verbündeter.

Aton überlegte nicht länger. Mit einer kraftvollen Bewegung stieß er sich ab und glitt wieder in den See hinein. Der Schatten war näher gekommen, aber noch immer nicht genau zu erkennen. Zumindest glaubte er so etwas wie ein Boot auszumachen, in dessen Heck sich eine Gestalt erhob. Er schwamm schneller, spürte zu seiner eigenen Überraschung, daß er offensichtlich noch über größere Kraftreserven als erwartet verfügte, und legte noch ein wenig an Tempo zu, so daß er überraschend gut vorwärts kam. Der Schatten wuchs schnell heran und stellte sich tatsächlich als Boot heraus; wenn auch eines, wie Aton es noch nie zuvor gesehen hatte.

Es war sehr flach, hatte einen hochgezogenen Bug und schien vollkommen aus Schilf gemacht zu sein. Die Gestalt in seinem Heck, die es mittels einer langen Stange vorwärts bewegte, trug einen schwarzen Kapuzenmantel, der ihren Körper und ihr Gesicht vollkommen verhüllte.

Atons Kräfte begannen nun wieder nachzulassen, aber das Boot war auch schon sehr nahe. Noch einmal warf sich Aton nach vorne, griff nach dem Rand des Schilfbootes und versuchte sich hinaufzuziehen.

Seine Kräfte reichten nicht. Er sank wieder zurück, geriet für einen kurzen Moment vollends unter Wasser und kam prustend und nach Atem ringend wieder an die Oberfläche.

Hinter ihm bewegte sich etwas. Aton spürte die Bewegung mehr, als er sie sah, aber sie war ganz deutlich. Hastig drehte er sich herum - und schrie gellend auf.

Ein Ungeheuer pflügte wie ein lebender Torpedo auf ihn zu.

Aton fühlte, wie ihm das Blut in den Adern gerann. Er sah einen kolossalen, mit grünen, glitzernden Schuppen bedeckten Körper, kleine, tückische Augen und ein wahrhaft gigantisches Maul voller spitzer Zähne.

Aton warf sich herum und griff ein zweites Mal nach dem Boot, und diesmal gelang es ihm, sich halb über seinen Rand zu ziehen. Er drohte auch jetzt wieder abzurutschen, aber da beugte sich die Gestalt im Heck vor, ergriff sein Handgelenk und zog ihn mit einem kraftvollen Ruck endgültig aus dem Wasser. Aton sank mit einem erleichterten Seufzen in der Mitte des kleinen Bootes zusammen und schloß für eine Sekunde die Augen. Er war gerettet. Und diesmal buchstäblich im allerletzten Moment.

Seine Erleichterung hielt allerdings nicht sehr lange vor, nur bis zu dem Moment, in dem er die Augen wieder öffnete und die Hand seines Retters sah, die noch immer auf seinem Unterarm lag.

Es war keine Hand. Jedenfalls keine richtige. Sie hatte nämlich weder Haut noch Fleisch, sondern bestand nur aus blanken, weiß schimmernden Knochen.

Aton sprang mit einem Schrei hoch, so daß das ganze Boot ins Schwanken geriet und er sich hastig wieder auf die Knie herabsinken ließ, um nicht über Bord zu fallen oder gleich das Boot zum Kentern zu bringen. Die Knochenhand seines unheimlichen Retters verschwand wieder in den weiten Ärmeln des Mantels, und die Gestalt richtete sich auf und zog sich ins Heck des Bootes zurück. Mit klopfendem Herzen sah Aton zu ihr hoch. Er versuchte, das Dunkel unter der Kapuze mit Blicken zu durchdringen, aber es gelang ihm nicht. Die Schatten waren so tief, daß unter dem schwarzen Stoff ebensogut auch gar nichts hätte sein können.

Und vielleicht war das auch so ...

Aton war nun wirklich am Rande einer Panik. Seine Überlegung, daß der Feind seines Feindes automatisch sein Freund sein müsse, war vielleicht etwas naiv gewesen, aber jetzt war es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen.

Wie es aussah, war es vielleicht zu spät, um überhaupt noch etwas zu tun. Die unheimliche Gestalt machte zwar keine Anstalten, sich ihm zu nähern, sondern stand hoch aufgerichtet im Heck des Bootes und stakte es weiter vorwärts, aber er war ihr trotzdem auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Selbst wenn das Wasser nicht so mörderisch kalt gewesen wäre, wäre er weiter auf dem Boot gefangen gewesen - das Ungeheuer hatte sich ein Stück zurückgezogen, aber es war noch immer da, ein grüner, mindestens fünf Meter langer Koloß, der das kleine Boot umkreiste und nur darauf wartete, daß seine Beute wieder ins Wasser zurücksprang.

Aton erkannte jetzt auch, worum es sich handelte - nämlich um ein Krokodil, und zwar das mit Abstand häßlichste und bösartigste, das er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Das Ungetüm war ein gutes Stück länger als das ganze Boot.

Wahrscheinlich hätte es das winzige Gefährt ohne Mühe einfach umwerfen können, dachte Aton. Aber das wollte es wohl gar nicht. Wahrscheinlich, überlegte er düster, hatte seine Aufgabe nur darin bestanden, ihn genau dorthin zu jagen, wo er jetzt war. Nein - er hatte sich wirklich nicht sehr klug benommen.

Zorn ergriff ihn; Zorn auf Petach, der ihn in diese ausweglose Situation gebracht hatte, aber auch Zorn auf diese Götter, die glaubten, mit Menschen spielen zu können wie mit Schachfiguren. Noch einmal stand er auf - sehr viel vorsichtiger diesmal, raffte all seinen Mut zusammen und trat der verhüllten Gestalt einen halben Schritt entgegen.

»Was willst du?« fragte er. Seine Stimme klang überraschend fest, aber der Nebel, durch den sie glitten, verschluckte auch jedes Echo, so daß sie ihm zugleich düster und unwirklich vorkam.

»Was willst du von mir?« fragte er noch einmal. »Wer bist du?«

Die Schwärze unter der Kapuze starrte ihn an. Er bekam keine Antwort, aber er spürte, daß dieser Mantel nicht leer war, wie es schien. Etwas war dort, etwas, das seine Worte genau hörte und verstand und das vielleicht tiefer als nur in sein Gesicht blickte. Und - seltsam genug, angesichts der Umstände, aber das Gefühl war ganz deutlich - Aton war nicht sicher, daß dieses Etwas ihm wirklich feindlich gesonnen war.

»Sag mir wenigstens, was ... was das alles zu bedeuten hat«, bat er. »Ich will euch ja helfen, aber ich weiß einfach nicht, wie.«

Er bekam auch diesmal keine Antwort, doch nach einer Weile begann sich das Boot zu drehen. Der Nebel wurde wieder dichter, als sie in die Richtung zurückzufahren begannen, aus der es gekommen war.

Aton drehte sich herum.

Der Nebel war so dicht wie eine graue Mauer, aber er spürte, daß ihr Ziel jetzt nicht mehr sehr weit entfernt sein konnte.

Und es vergingen auch nur wenige Minuten, bis erneut Schatten und formlose Umrisse vor ihnen aufzutauchen begannen.

Kurz darauf berührte das Boot eine niedrige, kunstvoll verzierte Mauer, die kaum eine Handbreit aus dem Wasser ragte.

Aton sah zu seinem unheimlichen Fährmann zurück. Die Gestalt blieb im Heck des Bootes stehen und rührte sich nicht, aber Aton war trotzdem klar, was sie von ihm erwartete: Sie hatten ihr Ziel erreicht. Es wurde Zeit, von Bord zu gehen.

Aton hob einen Fuß - und zögerte. Der Nebel war auch hier so dicht, daß er alles, was weiter als zwei oder drei Meter entfernt war, nur schattenhaft erkennen konnte, und hinter den grauen Schwaden konnten furchtbare Gefahren auf ihn lauern.