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Aton dachte an das, was gestern nacht geschehen war, aber er behielt seine Zweifel für sich. Statt dessen versuchte er noch einmal, endlich ein paar Antworten von Petach zu bekommen.

»Sie haben versprochen, mir die ganze Geschichte zu erzählen, sobald meine Eltern in Sicherheit sind«, sagte er.

»Das werde ich tun«, erwiderte Petach - und drehte sich herum, um nach dem Lenkrad zu greifen und den Gang einzulegen.

Aton war schneller. Blitzschnell drehte er den Zündschlüssel herum. Der Motor ging aus.

Petachs Gesicht verdüsterte sich vor Zorn. Aber er hatte sich rasch wieder in der Gewalt. »Also gut«, sagte er entschlossen. »Ich verstehe dich ja. Und du hast natürlich recht, wenn du eine Antwort auf deine Frage von mir verlangst. Ich mache dir einen Vorschlag: Ich habe dir gesagt, daß es noch etwas gibt, was ich vielleicht tun kann. Es gibt noch eine Möglichkeit, dich und deine Eltern aus dieser Geschichte herauszuhalten. Es ist eine winzige Chance, aber es wäre falsch, sie nicht zu nutzen. Ich brauche dazu die Hilfe eines Freundes, aber er ist hier in der Stadt; wir können in einer Stunde bei ihm sein. Laß es mich versuchen. Gelingt es, ist der Alptraum für dich vorbei. Wenn nicht ... nun, dann werde ich dir jede Frage beantworten, die du mir stellst.«

»Sonst nicht?« fragte Aton.

Petach verneinte. »Glaub mir, Aton«, sagte er ernst. »Es gibt Dinge, die man besser nicht weiß. Und es gibt Dinge, die man gar nicht wissen will.«

Das ist wieder so ein typischer Petach-Satz, dachte Aton verärgert. Er klang nach viel, aber sagte im Grunde überhaupt nichts.

»Also gut«, sagte er. »Eine Stunde.«

»Eine Nacht«, verbesserte ihn Petach. »In einer Stunde können wir das Haus meines Freundes erreichen. Es ist ohnehin besser, wen wir nicht zum Haus deiner Eltern zurückkehren. Denn sie werden dort wieder nach dir suchen. Und in der Sammlung deines Vaters befinden sich Dinge, um deren wahre Bedeutung er nicht einmal selbst weiß. Dinge von großer, magischer Kraft. Ich vermag sie zu nutzen, um uns zu beschützen, wie du ja selbst gesehen hast. Doch ebensogut können sie in der Hand unserer Feinde zu einer Gefahr werden. Es ist besser, wenn wir uns an einen wirklich sicheren Ort begeben.«

Er fuhr los, ohne Atons Antwort abzuwarten. Aber Aton hätte wahrscheinlich auch gar nicht reagiert. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, über die letzten Worte des Ägypters nachzudenken.

Ein wirklich sicherer Ort ...

Aton fragte sich vergeblich, an welchem Ort auf dieser Welt man sich vor den Toten verstecken konnte ...

Der Derwisch

Sie brauchten weitaus mehr als die Stunde, von der Petach gesprochen hatte, um ihr Ziel zu erreichen, denn in der Stadt herrschte ein geradezu unglaublicher Verkehr, und Petach machte seinem Ruf als übervorsichtiger Autofahrer alle Ehre, so daß sie bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen sie nicht in einem Stau steckten und sich im Schrittempo vorwärtsquälten, die Spitze einer Kolonne aus wütend hupenden und Lichtzeichen gebenden Wagen bildeten. Die Fahrt verlief in unangenehmem Schweigen. Ein- oder zweimal stellte Aton eine Frage, aber Petach antwortete nicht, sondern tat so, als müsse er sich ganz darauf konzentrieren, den Mercedes mit halsbrecherischen zwölf Stundenkilometern über die Straßen zu jagen, und schließlich gab Aton auf.

Er begann sich immer elender zu fühlen. Zu Verwirrung und Furcht gesellten sich Erschöpfung und Hunger, und er fror erbärmlich. Die Heizung tat ihr Bestes, um den Wagen in eine fahrende Sauna zu verwandeln, aber Atons Kleider trockneten nur sehr langsam, und die Kälte verschwand auch nicht daraus, sondern schien sich auch in seine Glieder hineinzuziehen.

»Unter dem Rücksitz liegt eine Decke«, sagte Petach, dem Atons Zustand natürlich nicht verborgen blieb. »Leg sie dir über, bevor du dir noch eine Erkältung oder Schlimmeres holst.«

Angesichts dessen, was bisher geschehen war, kamen Aton die Worte wie der pure Hohn vor. Trotzdem beugte er sich nach hinten und angelte nach der Decke, die zusammengefaltet auf dem Boden lag. Anubis, der lang ausgestreckt die gesamte Rückbank in Anspruch nahm, hob träge den Kopf und blinzelte, doch Bastet sprang mit einem Satz auf Atons Schoß und kuschelte sich zusammen. Aton registrierte dankbar die Wärme, die der kleine Katzenkörper ausstrahlte, und begann das Tier zu streicheln, was Bastet mit einem wohligen Schnurren quittierte.

Die Fahrt dauerte gottlob nicht mehr sehr lange. Der Verkehr nahm immer mehr ab, je mehr sie sich den Außenbezirken der Stadt näherten, und schließlich konnte selbst Petach nicht mehr verhindern, daß sie rascher vorwärtskamen.

Die Häuser beiderseits der Straße waren von immer vornehmerem Äußeren, bis sie schließlich durch ein stilles Villenviertel rollten. Die meisten Häuser waren durch Mauern oder hohe Hecken von der Straße abgeschirmt, und es waren nur wenige Menschen unterwegs. Petach bog schließlich in eine schmale Seitenstraße ein, die nach gut hundert Metern vor einem schmiedeeisernen Tor endete. Aton wartete, daß er aussteigen oder vielleicht auch hupen würde, aber das Tor begann sich elektrisch bewegt zu öffnen, kaum daß sie angehalten hatten. Dahinter lag ein unbefestigter, von hohen Büschen begleiteter Weg, der nach kaum zehn Metern einen scharfen Bogen nach links machte, so daß Aton nicht erkennen konnte, wohin er führte.

»Wo sind wir?« fragte Aton ängstlich.

Petach sah sich zu einem aufmunternden Lächeln genötigt, als er antwortete: »Bei einem Freund. In Sicherheit, keine Sorge. Hier können sie uns nichts tun.«

Die Scheinwerfer des Wagens verwandelten den Weg in einen finsteren Tunnel ohne erkennbare Farben, und Aton fühlte sich auf unangenehme Weise an eine andere, ganz ähnliche Fahrt mit Petach erinnert, die in der ersten einer ganzen Reihe von Beinahe-Katastrophen geendet hatte. Instinktiv spannte er sich, als sie um die Biegung kamen, innerlich auf alle nur vorstellbaren Schrecken gefaßt.

Es war allerdings nur ein ganz normales Haus, das im bleichen Licht der Scheinwerfer auftauchte; angesichts der vornehmen Gegend, in der sie sich befanden, sogar ein erstaunlich einfaches Haus, viel kleiner als das seiner Eltern und nicht besonders gut in Schuß, das war sogar bei der unzureichenden Beleuchtung zu erkennen. Die Tür wurde geöffnet, als sie sich näherten, aber niemand trat heraus, um sie zu begrüßen. Ihr Gastgeber schien sich darin zu gefallen, den Geheimnisvollen zu spielen.

Aton stieg gleichzeitig mit Petach aus, setzte Bastet vorsichtig auf den Boden und hielt die Tür auf, um Anubis herauszulassen. Die beiden Tiere gesellten sich zueinander und blieben knapp hinter ihm und dem Ägypter.

Sie betraten das Haus, und Aton erlebte eine zweite Enttäuschung, denn das Innere entsprach genau dem äußeren Eindruck: Alles war einfach, alt und schon ein bißchen schäbig.

Keine Zauberteppiche auf dem Boden. Keine Statuen an den Wänden. Nicht einmal eine klitzekleine Mumie, die ihnen entgegengekommen wäre, um sie zu begrüßen. Nun, was hatte er erwartet?

»Ihr Freund scheint nicht zu Hause zu sein«, sagte Aton, nachdem sie eingetreten waren und sich in einem fast leeren Hausflur wiederfanden.

Petach antwortete nicht, aber etwas anderes geschah: Kaum waren auch Anubis und Bastet ins Haus gekommen, da schwang die Tür wie von Geisterhand bewegt zu. Aton fuhr erschrocken zusammen, als sie mit einem lauten Knall ins Schloß fiel. Noch bevor er irgend etwas sagen konnte, öffnete sich eine Tür am anderen Ende des Korridors, und sie bekamen ihren Gastgeber endlich zu Gesicht. Er paßte zu seinem Haus. Klein, alt, unauffällig und ein bißchen schäbig.

Das hieß - unauffällig war er eigentlich nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten wirkte er zumindest sonderbar.

Es war unmöglich, das Alter des Mannes zu schätzen. Er hätte vierzig sein können, ebensogut aber auch sechzig oder noch älter. Er hatte eine spiegelblank polierte Glatze, dafür war sein Gesicht jedoch beinahe zugewachsen. Sein schwarzer Vollbart war fast bis zu seinen Augen hinauf gewuchert und schien seit mindestens einem Jahr nicht mehr mit einer Schere oder einer Bürste in Berührung gekommen zu sein.