Gekleidet war er in einen geflickten Kaftan und einfache Schnürsandalen, die seine nackten Zehen sehen ließen.
Petach lächelte und vollführte eine perfekte, morgenländische Verbeugung, wobei er mit der linken Hand die rechte Seite seiner Brust berührte, und was vom Gesicht ihres Gastgebers sichtbar war, das verzog sich zur Erwiderung dieses Lächelns. Mit weit ausgebreiteten Armen kam der Mann auf sie zu, umarmte Petach kurz, aber sehr innig, und wandte sich dann zu Aton.
»Du bist Aton, nehme ich an?« fragte er. Er sprach ohne den allergeringsten Akzent.
Aton warf einen überraschten Blick auf Petach.
»Wir haben telefoniert, bevor ich losgefahren bin«, erklärte Petach. »Herr Sufi ist ein guter Freund. Und ein Vertrauter«, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu. »Er weiß alles - wenigstens alles, was nötig ist.«
Dann weiß er wahrscheinlich eine Menge mehr als ich, dachte Aton grimmig.
»Ihr kommt spät«, sagte Sufi. »Ich hatte vor einer Stunde mit euch gerechnet.«
»Wir wurden aufgehalten«, antwortete Petach ausweichend. »Der Verkehr. Sie verstehen?«
»Natürlich. Es wird immer schlimmer, ich weiß. Irgendwann wird es soweit sein, daß man zu Fuß rascher von einem Ort zum anderen gelangt als mit diesen Automobilen.«
»Das ist jetzt schon beinahe so«, sagte Petach. »Auf jeden Fall wird man dann sicherer unterwegs sein.«
Aton verdrehte innerlich die Augen. Wie es schien, hatte Petach einen Bruder im Geiste getroffen, was sein Verhältnis zu Automobilen und jeglicher Art der modernen Technik anging. Er hoffte nur inständig, daß die beiden jetzt nicht anfingen, sich gegenseitig zu versichern, wie gefährlich doch das Autofahren wäre.
Was Petach anging, hätte er die Gelegenheit sicher genutzt, genau das zu tun, aber Sufi gab ihm gottlob keine Gelegenheit dazu, sondern deutete auf eine Tür auf der rechten Seite des Ganges. Ihr gegenüber führte eine schmale Treppe zum Obergeschoß hinauf. Einen weiteren Ausgang gab es nicht und auch keine Fenster, wie Aton beinahe besorgt feststellte.
Einen Augenblick später rief er sich in Gedanken zur Ordnung. Auch wenn dieser Sufi vielleicht ein komischer Kauz war, so war er doch ihr Verbündeter, kein Feind. Es gab keinen Grund, sich sofort nach einem Fluchtweg umzusehen.
Anscheinend begann er allmählich unter Verfolgungswahn zu leiden.
»Kommt herein, meine Freunde, kommt herein«, sagte Sufi und winkte ihnen. »Ich habe ein kleines Mahl vorbereitet. Ihr werdet sicher hungrig sein.«
Das war Aton tatsächlich, aber Petach schüttelte den Kopf. »Später«, sagte er. »Im Moment wäre es vielleicht gut, wenn Sie ein paar trockene Kleider für Aton hätten.«
Sufi fiel offensichtlich jetzt erst auf, daß Aton klatschnaß war. »Oh, natürlich«, sagte er. »Wie unaufmerksam von mir. Bitte verzeih. Ich bin zwar nicht auf solchen Besuch vorbereitet, aber ich denke, wir werden schon etwas finden. Bitte folgt mir.«
Sie gingen die Treppe hinauf, und das so unscheinbare Haus überraschte Aton ein weiteres Mal, denn kaum hatten sie die obere Etage betreten, da ging automatisch das Licht an, und die nächste Überraschung war, daß Sufi sie in ein kleines, aber supermodern eingerichtetes Bad führte.
»Hier kannst du duschen«, sagte er. »Ich suche dir inzwischen einige trockene Kleider heraus.«
»Laß dir ruhig Zeit«, fügte Petach hinzu. »Herr Sufi und ich haben noch einiges zu besprechen. Und keine Sorge - hier im Haus kann dir nichts geschehen.«
Er nickte Aton aufmunternd zu, schob Sufi aus dem Raum und schloß die Tür hinter sich. Aton blieb allein zurück.
Rasch zog er sich aus, trat unter die Dusche und verbrachte die nächsten Minuten damit, sich unter den heißen Wasserstrahlen zu räkeln und zu genießen, wie das Leben allmählich wieder in seinen Körper zurückkehrte. Irgendwann hörte er, wie die Tür aufging. Ein Schatten bewegte sich hinter dem geriffelten Glas der Duschkabine. Als Aton die Tür zur Seite schob, war er schon wieder allein, aber auf einem Schemel neben dem Waschbecken lagen trockene Kleider.
Er verbrachte noch eine ganze Weile in der Dusche, dann trat er hinaus, trocknete sich ab und griff nach den Kleidern, die Sufi gebracht hatte.
Einige Sekunden lang starrte er sie verdutzt an. Sufi hatte ihn gewarnt, und er hatte damit gerechnet, vielleicht ein Paar zerschlissener Hosen und ein um fünf Nummern zu großes Hemd vorzufinden - aber keinen Kaftan!
Doch genau das war es, was Sufi gebracht hatte.
Aton zögerte. Seine eigenen Kleider waren noch immer naß und würden wahrscheinlich noch Stunden brauchen, um zu trocknen, und hier drinnen sah ihn ja niemand, außer Petach und Sufi. Trotzdem erschien ihm die Vorstellung, in einem groben Sackhemd, das noch dazu viel zu groß war, herumzulaufen, absolut lächerlich. Er würde aussehen wie einer der Heiligen Drei Könige, der aus einer verunglückten Schulaufführung entsprungen war!
Aton überlegte eine Weile und beschloß dann, der Vernunft zu folgen, zumal er entdeckte, daß Sufi eine kurze Hose und ein Unterhemd dazugelegt hatte und er sich auch noch zu gut daran erinnerte, wie erbärmlich er in den nassen Sachen gefroren hatte. Der grobe Stoff des Kaftans würde sehr unangenehm auf der nackten Haut zu tragen sein, aber er mußte sich in dieser Situation damit abfinden. Also leerte er die Taschen seiner Jeans und steckte die wenigen Dinge, die er bei sich gehabt hatte, in die Seitentaschen der kurzen Hose.
Dann wrang er seine Kleidungsstücke über dem Waschbecken aus und hing sie zum Trocknen über den Rand der Badewanne.
Als er die Jacke ebenfalls dazutun wollte, fiel etwas aus der Tasche und polterte mit einem metallenen Laut in die Wanne.
Es war das Ankh.
Aton blickte es verwirrt an, ehe er die Hand ausstreckte und es aufnahm. Seit sie den Flughafen verlassen hatte, hatte er es einfach vergessen. Und er hatte auch sein Erstaunen darüber vergessen, es überhaupt zu besitzen. Er zweifelte nicht daran, daß es tatsächlich aus seiner Tasche gefallen war, wie Sascha behauptet hatte, aber er war vollkommen sicher, es nicht eingesteckt zu haben. Was er der Polizistin erklärt hatte, war eine glatte Lüge gewesen. Das kleine Stück war alles andere als eine Imitation. Sein Gewicht verriet, daß es aus purem Gold bestand, und Aton hielt einen Wert von etlichen zehntausend Mark in der Hand. So etwas hätte er nicht einfach eingesteckt und mitgenommen.
Ganz davon abgesehen, daß es nicht zur Sammlung seines Vaters gehörte ...
Die einzige logische Erklärung war zugleich die, die Aton am allerwenigsten gefiel - nämlich, daß er das Ankh aus dem Grabraum mitgebracht hatte. Aber er wußte ganz genau, daß er dort nichts eingesteckt hatte! Er hatte ja nicht einmal irgend etwas berührt.
Sosehr er sich auch den Kopf zerbrach, er fand keine Erklärung. Schließlich gab er es auf, setzte dazu an, das Ankh wieder in die Jacke zu stecken, überlegte es sich dann aber doch anders und schob es kurz entschlossen in die Hosentasche.
Danach schlüpfte er in den Kaftan und verließ auf nackten Füßen das Bad. Das Kleidungsstück war tatsächlich so unangenehm zu tragen, wie er befürchtet hatte. Der Stoff scheuerte und juckte. Aton fragte sich, wie Sufi es aushielt, Tag für Tag in einem solchen Gewand herumzulaufen. Er mußte eine Haut wie ein Nilpferd haben.
Die beiden Männer saßen in dem großen Raum, aus dem Sufi bei ihrer Ankunft herausgetreten war, als Aton ins Erdgeschoß herunterkam. Die Tür stand offen, so daß er ihre Stimmen bereits auf der Treppe hörte, aber sie bedienten sich einer fremden Sprache, so daß er nicht verstand, worum es bei dem Gespräch ging; wohl aber, daß es sich um eine sehr erregte Diskussion handeln mußte, wenn nicht gar um einen Streit. Aton ging langsamer. Er hätte gerne noch einen Moment gelauscht, auch wenn er kein Wort verstand, aber Anubis verdarb ihm den Spaß. Der Hund erschien unter der Tür und kläffte, nur einmal, aber sehr laut, und das Gespräch verstummte sofort. Er konnte hören, wie einer der Männer aufstand und mit raschen Schritten auf die Tür zukam.