Aton sah ihm nach, bis er das Zimmer verlassen hatte, dann drehte er sich wieder zu Petach herum. Seine Stimme bebte vor Zorn. »Sie haben mich belogen«, sagte er.
»Nein, Aton, das habe ich nicht«, antwortete Petach. »Ich habe meine Kräfte vielleicht überschätzt. Ich habe vielleicht nicht gewußt, wie entschlossen sie sind, deiner habhaft zu werden, und wie weit ihre Kräfte bereits gewachsen sind, aber ich habe dich nicht belogen. Glaub mir, du bist hier, weil ich dir helfen will. Siehst du, Aton - es ist meine Schuld, daß du in diese Lage geraten bist, und wenn dir etwas zustieße, so müßte ich mit dieser Schuld weiterleben - und mich eines Tages dafür verantworten, denn nichts, was ein Mensch in seinem Leben tut oder unterläßt, bleibt ungesühnt. Du siehst also - helfe ich dir, so helfe ich zugleich auch mir selbst. Und es gibt noch einen anderen Grund.«
»Und der wäre?«
»Die Prophezeiung wird sich erfüllen, Aton«, sagte Petach. »Der Tag, an dem Echnatons Fluch gebrochen wird, ist nahe, sehr nahe sogar. Versage ich dabei, dir zu helfen, so würden ihre Kräfte ins Unermeßliche steigen, und ich würde vielleicht auch versagen, wenn der Moment gekommen ist, an dem sich entscheidet, auf welche Weise sich die Prophezeiung erfüllt. Erfüllen wird sie sich, doch ich habe dir erzählt, daß es einen guten und einen schlechten Weg dahin gibt.«
Und wer zum Teufel garantiert mir, daß Petachs Weg tatsächlich der gute ist? dachte Aton. Er fühlte sich so hilflos, daß er am liebsten losgeheult hätte. Er wollte Petach so gerne glauben, und irgendwie tat er es auch, denn er spürte, daß der Ägypter die Wahrheit sprach. Aber zugleich spürte er auch, daß er ihm etwas verschwieg. Und was, wenn Petach sich schlichtweg irrte?
Sufi kam zurück, ein zierliches Silbertablett in den Händen, auf dem sich drei ebenso zierliche, mit bunten Blumenmustern bemalte Porzellantassen befanden. Dampf kräuselte sich aus ihnen hoch, und als Sufi seine Last absetzte und sich in der gleichen, fließenden Bewegung wieder im Schneidersitz auf seine Kissen sinken ließ, sah Aton, daß die Tassen eine dunkelrote, stark aromatisch riechende Flüssigkeit enthielten.
»Greift zu, meine Freunde«, sagte Sufi. Er nahm sich selbst eine der Tassen, und Petach tat es ihm gleich.
»Was ist das?« fragte Aton. Er fing einen mahnenden Blick Petachs auf und nahm die letzte auf dem Tablett verbliebene Tasse in die Hand, nippte aber nur ganz kurz daran, ohne wirklich zu trinken. Das Getränk roch gut, aber es schmeckte durch und durch scheußlich.
»Ein Tee aus meiner Heimat«, antwortete Sufi. »Eine wirkliche Kostbarkeit. Man bekommt ihn hier nur sehr schwer.« Er blinzelte Aton verschwörerisch zu. »Es heißt, er erweckt verborgene Kräfte in dem, der ihn genießt. Ich persönlich glaube nicht an solchen Hokuspokus, aber er ist sehr belebend - und er schmeckt ganz ausgezeichnet.«
Was die belebende Wirkung des Getränkes anging, konnte Aton nichts sagen - aber ihre Auffassungen davon, was gut oder schlecht schmeckte, schienen wohl himmelweit auseinanderzuklaffen. Schon bei dem bloßen Gedanken, dieses Zeug trinken zu sollen, drehte sich ihm schier der Magen herum.
Aton warf Petach einen fast flehenden Blick zu, aber die erwartete Hilfe kam nicht. Im Gegenteiclass="underline" Petach würgte tapfer einen Schluck des Tees hinunter, und obwohl Aton ihm ansah, daß er von dieser Köstlichkeit ebensoviel hielt wie er selbst, flüsterte er: »Nun trink schon. Willst du ihn beleidigen?«
Aton resignierte. Petach hatte recht - er würde ihren Gastgeber nur unnötig vor den Kopf stoßen, wenn er die Einladung ausschlug. Also schluckte er das Getränk tapfer hinunter und schaffte es sogar, so etwas wie ein anerkennendes Lächeln auf seine Lippen zu zaubern.
Sein Magen begann wie ein kleiner Gummiball an einer Schnur in seinem Leib auf und ab zu hüpfen, kaum daß ihn die heiße Flüssigkeit erreichte, und ein Gefühl klebriger Übelkeit breitete sich in Atons ganzem Körper aus. Was um alles in der Welt war in dieser Tasse gewesen?
Atons Hände begannen zu zittern, und zugleich hatte er das Gefühl, daß alle Kraft aus seinen Gliedern wich. Er war kaum noch in der Lage, die leere Tasse auf das Tablett zurückzustellen, ohne sie fallen zu lassen. Alles drehte sich um ihn, und die Übelkeit wurde immer größer. Petach und Sufi begannen sich wieder zu unterhalten, doch Aton verstand ihre Worte nicht; nicht etwa, weil sie sich wieder jener fremden Sprache bedient hätten, sondern weil ihm plötzlich alle Geräusche in seiner Umgebung fremd und bizarr erschienen und weil sein Herz so laut schlug, daß das dumpfe Hämmern jeden anderen Laut zu übertönen schien.
Mühsam hob er den Kopf. Alles verschwamm vor seinen Augen. Er konnte Petach und Sufi nur noch als Schatten erkennen, ihre Gesichter als weiße, konturlose Flächen, die auf ihn herabstarrten.
Der Tee. Etwas war in dem Tee gewesen.
Sufi hatte ihn vergiftet.
Der Gedanke entstand ganz deutlich hinter seiner Stirn, aber er hatte nicht mehr die Kraft, darauf zu reagieren. Petach fing ihn auf, als er das Bewußtsein verlor und nach vorne kippte.
Die Gestern-Klinik
Er verlor das Bewußtsein nur für wenige Augenblicke, denn das nächste, woran er sich erinnerte, war, hilflos in Petachs Armen zu liegen, während Sufi das Zimmer verließ. Aber er war auch nicht wirklich wach. Vielmehr bewegte sich sein Geist auf jenem schmalen Grat zwischen Schlaf und Wachsein, auf dem er zwar noch alles registrierte, was um ihn herum und mit ihm geschah, er aber zugleich auch unfähig war, auf irgendeine Art und Weise darauf zu reagieren. Er konnte nicht einmal reden, und seine Augen fielen immer wieder zu.
Petach folgte dem Derwisch, wobei es ihm nicht die geringste Mühe verursachte, Aton zu tragen. Die Haustür stand offen, aber von Sufi war nichts zu sehen. Dafür hörte er, wie draußen der Motor von Petachs Wagen gestartet wurde. Einen Moment später verließen sie das Haus, und Aton wurde rasch und wenig sanft auf die Rückbank des Mercedes gebettet. Sie fuhren los.
Der fast tranceähnliche Zustand, in dem sich Aton befand, beschützte ihn auch vor der Furcht, die er sonst zweifellos empfunden hätte. Er konnte noch immer erstaunlich klar denken, aber es war, als hätte er hohes Fieber - seine Gedanken bewegten sich träge, als wären sie in Watte gepackt. Er wußte, daß Sufi und Petach ihn, wenn schon nicht wirklich vergiftet, zumindest betäubt hatten, und ihm war auch klar, daß es dafür nur einen einzigen logischen Grund gab: weil nämlich das, was sie mit ihm vorhatten, ganz bestimmt nicht seine Zustimmung gefunden hätte. Sufi war nicht sein Freund, wie er behauptet hatte, und Petach war es schon gar nicht.
Atons Eindruck, daß sich der Ägypter verändert hatte, seit seine Eltern abgereist waren, war nur zu richtig gewesen. Vermutlich hatte er die ganze Zeit über nur auf eine Gelegenheit wie diese gewartet. Aton hatte einen furchtbaren Fehler gemacht, Petach auch nur eine Sekunde zu vertrauen. Aber jetzt war es zu spät, das zu bedauern.
Aton registrierte jetzt, daß sie in Richtung Stadtmitte fuhren. Der Verkehr wurde wieder dichter. Manchmal fiel das Licht von Scheinwerfern in den Wagen und blendete ihn, und einmal hörte er Bremsen quietschen und wurde so unsanft hin und her geworfen, daß er beinahe von der Sitzbank gefallen wäre. Aber sein Stoßgebet, daß Petach einen Unfall verursachen und ihre Fahrt mit einem gehörigen Blechschaden ein vorzeitiges Ende finden mochte, wurde nicht erhört.
Nach einer Zeit, die Aton unmöglich bestimmen konnte, erreichten sie ihr Ziel. Straßenverkehr und Lichter hatten wieder nachgelassen, und plötzlich rollte der Wagen nicht mehr über glatten Asphalt. Unter den Reifen knirschten Kies und Steine, und ein paarmal schlug etwas mit dumpfem Geräusch von außen gegen die Karosserie, ehe sie endlich zum Stehen kamen. Petach stieg aus, eilte um den Wagen herum und zog Aton ebenso unsanft wieder heraus, wie er ihn hineingelegt hatte. Dunkelheit hüllte sie ein, dazu der Geruch von feuchter Erde und Blättern. Es war sehr kalt.