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Aton versuchte sich zu bewegen, aber er war viel zu schwach, um ernsthafte Gegenwehr leisten zu können. Petach hob ihn mühelos auf die Arme und trug ihn auf ein großes, in vollkommener Dunkelheit daliegendes Gebäude zu, das sich wie ein Berg aus Beton und Stein vor ihnen in der Nacht erhob.

Ein intensiver Modergeruch schlug ihnen entgegen, und weit entfernt hörte Aton eine Katze schreien, kurz darauf das Bellen eines Hundes.

Dann mußte er wohl doch das Bewußtsein verloren haben, denn als er das nächste Mal die Augen öffnete, da hatte sich seine Umgebung radikal verändert.

Sie befanden sich nicht mehr im Freien, sondern Aton wurde in großer Eile durch einen hohen, von schattenlosem weißem Neonlicht erhellten Gang getragen, in dem die Schritte der beiden Männer lang und unheimlich verzerrt widerhallten.

Da waren noch andere Geräusche, Laute, die Aton im ersten Moment nicht einzuordnen vermochte, die ihm aber seltsam vertraut vorkamen: Stimmen, Klappern und Klirren, Schritte und dazu ein durchdringender Geruch, wie die Geräusche zugleich vertraut und fremd.

Als er begriff, was all dies bedeutete, war es ein Schock. Die Stimmen, die hastigen Schritte, die Lautsprecherdurchsagen, das Geräusch von kleinen Metallrädern auf PVC-Fliesen und vor allem der Geruch gehörten zu nichts anderem als einem Krankenhaus. Petach hatte ihn in eine Klinik gefahren.

Aber warum? Warum sollte Sufi ihn zuerst vergiften, um ihn dann in ein Krankenhaus zu bringen, in dem man ihm gegen die Folgen genau dieser Vergiftung half?

Der Fehler in diesem Gedanken fiel Aton erst nach einigen Sekunden auf. Wer sagte ihm eigentlich, daß er hier war, damit man ihm half? Außerdem stimmte in dieser sonderbaren Klinik irgend etwas nicht: Sie hatten bereits zwei Treppen und drei der langen, hellerleuchteten Korridore hinter sich gebracht, aber Aton hatte immer noch keinen Menschen zu Gesicht bekommen.

Das blieb auch so, bis sie ihr Ziel erreichten - und als Aton erkannte, wohin Petach ihn trug, da vergaß er das Rätsel um die fehlende Belegschaft und die nur hörbaren Patienten dieses Krankenhauses schlagartig.

Es war ein Operationssaal.

Er war nicht sehr groß, und er sah nicht so aus, wie Aton es aus dem Fernsehen kannte: Statt blinkender und piepsender Computer und Gerätschaften gab es nur einige wenige, noch dazu allesamt ausgeschaltete Apparaturen, und statt eines chromblitzenden Operationstisches unter einer gewaltigen, zwölfflammigen Lampe nur eine einfache, lederbezogene Liege, aber es war eindeutig ein Operationssaal, in dem Petach ihn nun ablud.

Der Schrecken war so stark, daß er für einen Moment sogar die Lähmung durchbrach, die sich Atons bemächtigt hatte.

Stöhnend bäumte er sich auf und versuchte die Arme zu heben, aber Petach drückte ihn sofort und mit deutlich mehr als sanfter Gewalt auf das kalte Leder zurück. Für einen zweiten Anlauf fehlte Aton die Kraft.

Nun sah er auch Sufi wieder, und dieser sah jetzt nicht mehr aus wie ein Märchenerzähler, der aus einer Geschichte aus Tausendundeiner Nacht entsprungen war. Der schwarze Vollbart und die Glatze waren noch da, aber den alten Kaftan hatte er gegen einen zwar zerknitterten, aber sauberen weißen Kittel eingetauscht, und während er neben Petach trat und sich über Atons Lager beugte, schlüpfte er mit geschickten Bewegungen in ein Paar dünne Gummihandschuhe. Aton spürte, wie sich jedes einzelne Haar auf seinem Körper sträubte, als er die flache Metallschale sah, die Petach plötzlich in Händen hielt. Auf dem verchromten Metall lag ein ganzes Sammelsurium von Messern, Skalpellen, Scheren, Klammern und anderen höchst unerfreulich aussehenden chirurgischen Instrumenten. Was um alles in der Welt hatten diese beiden Wahnsinnigen mit ihm vor?

Petach blickte besorgt auf ihn hinab, schüttelte plötzlich den Kopf und wandte sich an Sufi. »Das gefällt mir nicht«, sagte er. »Er dürfte nicht wach sein. Die Dosis war zu gering, fürchte ich.«

»Ganz im Gegenteil«, erwiderte Sufi. Nicht nur sein Äußeres, auch seine Stimme und seine Art zu reden, hatten sich verändert. Er sprach plötzlich mit der ruhigen Autorität eines Arztes, der es gewohnt war, Menschen unangenehme Dinge mitzuteilen. »Ich hatte schon ein wenig Sorge, zuviel des Guten getan zu haben. Ich hätte ihm auf gar keinen Fall mehr geben dürfen.« Er zog seine Handschuhe straff und maß Aton abermals mit einem langen, besorgten Blick. »Er ist sehr stark, beinahe unglaublich. Das ist nicht gut.«

»Und wenn er ganz erwacht?« fragte Petach.

Ganz erwacht? dachte Aton hysterisch. Wie wach sollte er denn noch werden, Petachs Meinung nach? Er bekam doch auch so schon jedes Wort mit, das gesprochen wurde! Aus hervorquellenden Augen schielte er auf das Tablett voller Folterinstrumente, das Petach noch immer in den Händen hielt. Für seinen Geschmack war er entschieden zu wach.

Wach genug jedenfalls, um garantiert alles zu spüren, was mit ihm geschah!

»Das wird nicht geschehen«, antwortete Sufi überzeugt.

»Und wenn doch?« beharrte Petach. »Ich möchte nicht, daß dem Jungen etwas passiert. Und ich möchte nicht, daß er unnötig leidet.«

Zu freundlich, dachte Aton sarkastisch. Er begann allmählich zu begreifen, wie sich ein Hund oder eine Katze fühlen mußte, auf dem Tisch eines Tierarztes festgeschnallt, um eingeschläfert zu werden. Das schlimmste überhaupt war die Hilflosigkeit. Er wollte davonlaufen, sich wehren oder wenigstens schreien, aber er konnte nichts von alledem.

»Er wird nichts spüren«, versicherte Sufi erneut. »Und selbst wenn, wird er sich hinterher an nichts erinnern.«

»Das reicht mir nicht«, beharrte Petach. »Was ist, wenn er doch erwacht? Eine einzige, unbedachte Bewegung, und alles ist aus. Sie wissen, was auf dem Spiel steht.«

Sufi seufzte. »Wofür halten Sie mich?« fragte er ärgerlich. »Für einen Scharlatan? Aber gut - ich werde ihm eine Spritze geben, damit er schläft. Auf Ihre Verantwortung, Petach. Bitte ziehen Sie ihm den Kaftan aus.«

Sufi verschwand aus Atons Gesichtsfeld, und Petach stellte endlich die Schale ab und beugte sich über Aton, um ihn aus dem weiten Kleidungsstück zu schälen. Dabei sah er wieder Aton an, und abermals erschien jener sonderbare Ausdruck von Betroffenheit und Schmerz in seinem Blick, der so gar nicht zu den Ereignissen der letzten halben Stunde passen mochte und Aton über die Maßen verwirrte. »Ich weiß nicht, ob du mich verstehst, Aton«, sagte er leise. »Aber wenn, dann mußt du mir glauben, daß es mir leid tut. Ich wollte nicht, daß du das alles hier miterlebst. Du hättest schlafen und morgen früh einfach aufwachen sollen, und alles wäre vorbei gewesen.«

»Was tun Sie da?« mischte sich Sufi ein. Er kam zurück, eine bereits aufgezogene Spritze in der linken Hand und einen weißen Mundschutz vor dem Gesicht, der seine Stimme zu einem dumpfen Flüstern dämpfte. »Das ist vollkommen sinnlos, glauben Sie mir. Er versteht Sie nicht.«

»Aber er ist wach!« protestierte Petach.

»Das ist er nicht«, widersprach Sufi. »Seine Augen sind offen, aber das bedeutet nicht, daß er auch nur das geringste von dem mitbekommt, was mit ihm geschieht. Halten Sie seinen Arm, bitte.«

Petach zögerte noch einmal, aber dann traf ihn ein ernster Blick aus Sufis Augen, und er beeilte sich, nach Atons Arm zu greifen und ihn zu spannen, so daß die Vene deutlich unter der Haut hervortrat. Sufi beugte sich vor. Die Injektionsnadel näherte sich Atons Arm, und Petach trat einen halben Schritt zur Seite, um dem Arzt Platz zu machen, und berührte dabei mit der freien Hand Atons Hüfte. Genauer gesagt, den Stoff über seiner linken Hosentasche.

Ein greller Blitz flammte auf. Aton verspürte einen heißen, brennenden Schmerz, und in derselben Sekunde erscholl ein helles, elektrisches Zischen und Knistern, und Petach taumelte wie von einem unsichtbaren Hieb getroffen zurück und prallte so wuchtig gegen Sufi, daß beide um ein Haar zu Boden gestürzt wären. Die Spritze flog in hohem Bogen aus Sufis Hand und zerbrach, als sie an die gegenüberliegende Wand geschleudert wurde.