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Vielleicht war es der jähe Schmerz, der die unsichtbaren Fesseln endgültig zerriß, die Aton gefangenhielten. Mit einem Schrei fuhr er hoch, stürzte halb von der Liege und krümmte sich stöhnend. Der Schmerz in seiner Hüfte wurde immer schlimmer. Grauer Rauch kräuselte sich aus der Tasche, und in den Geruch von brennendem Stoff mischte sich der durchdringende Gestank von verschmortem Fleisch. Halb blind vor Schmerz und Furcht griff Aton in die Hosentasche, spürte etwas Heißes, Schweres und zerrte es heraus.

Es war das Ankh.

Das kleine Henkelkreuz glühte in einem unheimlichen, grellen Licht, und es war heiß wie die Hölle. Aton versuchte es davonzuschleudern, aber es ging nicht. Das Metall schien an seiner Haut festzukleben. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, aber er hatte auch noch einen anderen, positiven Effekt: Die Betäubung war wie weggeblasen.

Petach und Sufi hatten inzwischen ihr Gleichgewicht wiedergefunden und sahen zu Aton hinüber. Petachs Hand, die das Ankh berührt hatte, war verletzt. Blut tropfte davon zu Boden, aber er schien es nicht zu spüren.

»Wirf es weg!« schrie er mit überschnappender Stimme. »Aton, wirf es weg!«

Aber das hätte Aton nicht einmal getan, wenn er es gekonnt hätte. Das Metall war noch immer heiß, aber erstaunlicherweise ließ der Schmerz in seiner Hand jetzt rasch nach, obwohl das Glühen des Ankh noch zuzunehmen schien. Ganz instinktiv spürte er, daß diese unheimliche Macht, die er da in Händen hielt, das einzige war, was ihn vor Petach und Sufi schützen konnte - und daß sie nicht sein Feind war. Und es war, als wisse er auch ganz instinktiv, wie er sie einzusetzen hatte: Als Petach auf ihn zukam, riß er die Hand in die Höhe und streckte ihm das Ankh entgegen.

Petach wankte mit einem Schrei zurück. Eine Woge goldenen, unvorstellbar intensiven Lichtes brach aus dem Ankh hervor und hüllte ihn ein. Petach kreischte. Für einen Moment wurde das Licht so stark, daß sein Fleisch durchsichtig zu werden schien, so daß Aton das Skelett darunter erkennen konnte - und noch etwas, etwas Dunkles, Formloses, das tief in ihm verborgen lauerte.

Doch so gewaltig die Macht des Ankh auch sein mochte, Petach war ihr gewachsen. Mit einem Schrei, der nichts Menschliches mehr hatte, riß der Ägypter die Arme in die Höhe, und eine Macht, die ebenso gewaltig und zerstörerisch wie die des Ankh war, aber viel finsterer und ungeduldiger, begann das goldene Leuchten zurückzudrängen. Funken stoben auf. Dünne, hundertfach verästelte blaue Linien aus purer Energie zuckten plötzlich durch den Raum, hinterließen schwarze Brandspuren an den Wänden, setzten die Liege in Brand oder zerschmolzen die Instrumente, auf die sie trafen.

Ein halbes Dutzend kleiner Brände flackerte gleichzeitig auf; die meisten erloschen sofort wieder, aber nicht alle. Das Ankh begann wieder heißer zu werden.

»Wirf es weg, Aton!« schrie Petach. »Ich befehle es dir!«

Petachs Worte waren von dieser zwingenden Macht, die Aton schon ein paarmal verspürt hatte. Aber bevor diese Macht ihn noch erreicht hatte, holte er aus und schleuderte Petach das Ankh entgegen.

Petach schrie gellend auf, und Aton fuhr herum und rannte auf die Tür zu. Er widerstand der Versuchung, einen Blick über die Schulter zu werfen, um zu sehen, welchen Schaden sein Wurfgeschoß anrichtete, denn er hatte begriffen, daß er hier nicht nur Zeuge eines schier unglaublichen Geschehens war, sondern daß ihm auch eine zweite, vielleicht letzte Chance zuteil wurde. Mit aller Kraft stieß er die Tür auf und stürmte aus dem Raum. Der Flur lag in absoluter Dunkelheit da, jemand hatte das Licht ausgeschaltet.

Aton war bestimmt schon fünf oder zehn Schritte weit in die Dunkelheit hineingelaufen, ehe ihm auffiel, daß nicht nur das Licht fort war. Alle Geräusche waren verstummt. Ganz weit entfernt glaubte er ein schwaches Singen und Summen wahrzunehmen, wie Wind, der durch ein offenes Fenster hereindringt oder sich an einem Vorsprung oder Erker bricht, ansonsten aber herrschte, von dem Lärm und den Schreien im Zimmer hinter ihm abgesehen, absolute Stille.

Aton registrierte dies jedoch nur mit einem winzigen Teil seines Bewußtsein; der weitaus größere Teil seiner Aufmerksamkeit konzentrierte sich darauf, so schnell wie möglich zu laufen. Er konnte zwar nichts erkennen, aber er erinnerte sich, daß sie an einem Aufzug vorbeigekommen waren. Aton lief ein wenig langsamer, streckte die Hand aus und tastete sich an der rauhen Wand entlang, bis seine Finger ins Leere stießen.

Eine Tür. Eine offene Tür, neben der er eine kleine Schalttafel mit mehreren Knöpfen ertastete. Der Aufzug. Die Kabine lag ebenfalls in vollkommener Dunkelheit da. Offensichtlich war in der ganzen Klinik der Strom ausgefallen - vielleicht als Reaktion auf die unvorstellbaren Kräfte, die Aton ganz unabsichtlich entfesselt hatte. Aber vielleicht funktionierte der Lift ja trotzdem noch. Aton wußte, daß gerade Aufzüge in Krankenhäusern oft eine eigene Energieversorgung hatten, damit Arzte und Patienten bei einem plötzlichen Stromausfall nicht etwa stundenlang steckenblieben. Mit einem entschlossenen Schritt trat er in die Kabine hinein.

Und beinahe wäre es der letzte Schritt gewesen, den er in seinem Leben gemacht hätte. Die Kabine hatte keinen Boden, genauer gesagt, sie war gar nicht da. Der Liftschacht war leer.

Die Türen standen weit offen, aber dahinter war keine Liftkabine, sondern ein lauernder, vielleicht bodenloser Abgrund.

Aton schrie gellend auf, kippte mit wild rudernden Armen nach vorne und griff verzweifelt ins Leere, um irgendwo Halt zu finden. Der Sturz dauerte keine halbe Sekunde, aber er schien trotzdem endlos zu währen. Aton war felsenfest davon überzeugt, daß das sein Ende bedeutete. Er würde bis in den Keller dieses Gebäudes hinunterstürzen und sich dort unten den Hals brechen - wenn er Glück hatte und nicht schwerverletzt und hilflos liegenblieb, bis Petach und Dr. Frankenstein kamen, um ihn zu holen.

Da prallte Aton hart gegen etwas, was in der Dunkelheit verborgen war. Das Hindernis riß seinen nackten Arm und die Schulter auf, dann erfolgte ein zweiter, ungleich härterer Aufprall, der ihm die Luft aus den Lungen trieb und seinen Schrei zu einem erstickten Keuchen machte.

Einige Sekunden lang blieb er benommen liegen und wunderte sich, daß er noch lebte. Erst danach wurde ihm klar, was geschehen war: Er war auf das Dach der Liftkabine hinuntergestürzt, die nur eine Etage unter ihm gehalten hatte. Er hatte buchstäblich mehr Glück als Verstand gehabt.

Vorsichtig richtete er sich auf. Er war von harten, kantigen Dingen umgeben, doch nachdem er einen Moment in sich hineingelauscht hatte, stellte er fest, daß er bis auf den brennenden Kratzer am Arm offenbar unverletzt davongekommen war.

Aton sah nach oben. Die offenstehenden Aufzugtüren waren als verschwommenes Rechteck über ihm zu erkennen, aber das Licht reichte nicht bis hierher.

Er lauschte. Nichts. Vollkommene Stille umgab ihn. Und das war sehr sonderbar. Petachs Schreie hatten aufgehört, aber in einem Krankenhaus, in dem plötzlich der Strom ausfiel, hätte es niemals so ruhig sein dürfen. Er hätte Rufe hören müssen, aufgeregte Stimmen, hastige Schritte, Lärm. Aber er hörte gar nichts. Es war, als wäre das ganze riesige Gebäude ausgestorben.

Aton spielte einen Moment mit dem Gedanken, an dem Drahtseil, gegen das er geprallt war, hinaufzuklettern, verwarf diese Idee aber sofort wieder. Er war schließlich kein Hochseilartist. Und selbst wenn er die Kletterpartie geschafft hätte, hätte es ihm sehr wenig genutzt, drei Meter weiter oben in der Mitte eines Schachtes zu hängen, ohne die Tür erreichen zu können. Flüchtig tastete er die Wand vor sich ab, fühlte aber nichts als rauhen Zement. Außerdem erschien ihm die Idee, wieder zu Petach hinaufzuklettern, wenig verlockend. Also machte er sich daran, das Dach der Liftkabine zu untersuchen.