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Seine blind umhertappenden Finger fanden fast auf Anhieb, was er gesucht hatte. Er spürte ein rostiges Rechteck aus Metall, das mit einem wuchtigen Schnappriegel gesichert war.

Aton machte vier oder fünf Versuche und brauchte seine ganze Kraft, um ihn zu öffnen, denn er schien seit Jahren nicht mehr benutzt worden zu sein und war völlig verrostet.

Aber schließlich stemmte er die Klappe hoch und ließ sich vorsichtig in die darunterliegende Öffnung gleiten. Eine Sekunde lang zögerte er noch. Eine dünne, böse Stimme in ihm versuchte ihn davon zu überzeugen, daß unter dieser Klappe nicht die Liftkabine, sondern nur ein weiterer, und diesmal wirklich bodenloser Abgrund lauerte. Aber das war natürlich Unsinn.

Trotzdem saß die Angst wieder in ihm, als er sich weiter in die Tiefe sinken ließ und schließlich die Finger von seinem Halt löste, und die Zehntelsekunde, die der Sprung dauerte, schien sich zu einer Stunde zu dehnen.

Natürlich war unten ein Boden, und Aton hatte sogar noch einmal Glück: Auch in dieser Etage standen die Aufzugtüren weit offen, so daß er die Kabine verlassen konnte. Wahrscheinlich, dachte er, hatte der Stromausfall für einen Kurzschluß in der entsprechenden Elektronik gesorgt, wodurch sämtliche Aufzugtüren aufgegangen waren, statt sich automatisch zu schließen. Er hoffte nur, daß niemand ernsthaft zu Schaden kam.

Was diese Sorge anging, so stellte er fest, daß sie völlig unbegründet war, kaum daß er den Lift verlassen hatte. Der Flur, auf den er hinaustrat, war nicht völlig dunkel. Durch mehrere offene Türen fiel silbernes Nachtlicht herein, so daß Atons mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnte Augen hinlänglich sehen konnten. Genug zumindest, um zu erkennen, daß es auf dieser Etage der Klinik niemanden gab, der Gefahr lief, in den Liftschacht zu stürzen. Der Korridor war vollkommen verlassen, und das offensichtlich schon seit Jahren. Die meisten Türen standen offen, einige waren gar eingeschlagen oder hingen schräg in den Angeln, wenn sie nicht ganz fehlten. Wo Lampen in den Decken sein sollten, gähnten nur mehr Löcher, aus denen sich die Enden abgeschnittener Kabel ringelten; der ehemals in freundlichen Farben gestrichene Rauhputz an den Wänden war verdreckt und gerissen, hier und da in großen, an Ausschlag erinnernden Flecken heruntergefallen. Auf dem Boden türmte sich Schutt und Abfall, und als er an die erste Tür trat und einen Blick in den dahinterliegenden Raum warf, stellte er fest, daß dieser vollkommen leer und in einem ebenso üblen Zustand war. Und jetzt fiel ihm auch auf, daß der typische Krankenhausgeruch fehlte und es nach Staub und Verfall roch. Durch das offenstehende Fenster, das kein Glas mehr hatte, heulte der Wind herein.

Aton war vollkommen verwirrt. Es war doch völlig undenkbar, daß man ein ganzes Stockwerk dieses Krankenhauses so verfallen ließ, während der Betrieb in den anderen Etagen weiterging! Langsam trat er an das Fenster heran und beugte sich vor, um hinauszusehen.

Der Anblick war fast noch unheimlicher als der, den das Innere des Gebäudes bot. Drei Etagen unter ihm erstreckte sich ein vollkommen verwilderter Garten, in dem Unkraut und Büsche längst jede Spur menschlicher Pflege zunichte gemacht hatten. Glasscherben und ganze Berge von Schutt türmten sich überall, und als er nach rechts und links sah, erkannte er, daß auch die meisten anderen Fenster eingeschlagen waren. Nirgendwo brannte Licht. Nirgendwo war eine Bewegung, auch nur eine Spur von Leben.

Aton trat wieder ins Zimmer zurück. Er hatte schließlich andere Sorgen, als das Rätsel dieses so plötzlich verlassenen Krankenhauses zu lösen. Von Petach und Sufi war zwar noch immer nichts zu sehen oder zu hören, aber Aton zweifelte nicht daran, daß die beiden längst nach ihm suchten. Und er zweifelte ebensowenig daran, daß er Petach kein zweites Mal so leicht entkommen würde. So verließ er das Zimmer und ging weiter den Korridor hinunter.

Alle Räume, an denen er vorbeikam, waren leer und voller Schutt, nur hier und da entdeckte er ein verrostetes Bett, ein umgestürztes Nachtschränkchen oder einen zurückgelassenen Schrank. Einmal kam er an einem Zimmer vorbei, das fast kniehoch mit gestapelten Papieren und Zeitungen gefüllt war. Aton untersuchte die Zeitschriften flüchtig. Die meisten waren älter als er, und das jüngste Datum, das er fand, lag mehr als zwölf Jahre zurück. Der Gestank nach vermodertem Papier war so durchdringend, daß er ihm fast den Atem nahm und Aton den Raum rasch wieder verließ. Schließlich fand er, wonach er gesucht hatte - das Treppenhaus, in dem ausgetretene Betonstufen in die Tiefe führten.

Es gab hier keine Fenster, weshalb Aton sich blind von Stockwerk zu Stockwerk nach unten tasten mußte und ein paarmal über Hindernisse stolperte, die in der Dunkelheit verborgen blieben. Aber schließlich endete die Treppe, und es wurde wieder hell vor ihm.

Die Eingangshalle bot einen fast noch chaotischeren Anblick als der Rest des Gebäudes. Sämtliche Fensterscheiben waren eingeschlagen. Auf dem Boden schimmerte Glas, als wären alle Sterne des Himmels heruntergefallen und zu Eis erstarrt, und der Wind hatte ganze Berge von Laub und Schmutz herangetragen, die kleine Verwehungen und Hügel vor den Türen bildeten. Ein Teil der Wandverkleidung, die aus Holz bestand, war weggefault, und der Modergeruch war fast so schlimm wie in dem Zimmer mit den vielen Zeitungen. Aton verstand das einfach nicht mehr. Halb bewußtlos oder nicht, er hätte gemerkt, wenn Petach ihn durch diese Ruine getragen hätte!

Wie auf ein Stichwort hin hörte er in diesem Moment die Stimme des Ägypters. Es mußte noch eine zweite Treppe geben, denn Petach stürmte durch eine andere Tür herein, wobei er laut Atons Namen schrie. Aton zog sich hastig tiefer in den Schatten des Treppenhauses zurück.

»Aton!« schrie Petach. »Ich weiß, daß du mich hörst! Bitte glaub mir, es ist nicht so, wie es aussieht! Ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht, aber du mußt mir glauben, daß ich auf deiner Seite stehe. Bitte vertrau mir noch einmal. Ich kann dir alles erklären!«

Ja, dachte Aton. Ganz bestimmt. Auf deine ganz persönliche Art. Mit Garantie, daß ich jedes Wort glaube - ganz egal, was für ein Unsinn es auch ist.

Er zog sich noch ein Stückchen tiefer in den Schutz des Treppenhauses zurück. Petach rief weiter seinen Namen, wobei er ununterbrochen beteuerte, daß alles ganz anders sei, als es den Anschein hatte, und er alles erklären könnte. Aton wartete mit klopfendem Herzen, bis der Mann die Halle wieder verlassen hatte, dann raffte er all seinen Mut zusammen und rannte los. Das Klirren von Glas unter seinen Füßen war so laut, daß er für einen Moment völlig davon überzeugt war, Petach müsse seine Schritte hören und in der nächsten Sekunde hinter ihm auftauchen. Aber er erreichte unbehelligt die Tür, stürmte durch den leeren Rahmen, und dann war er im Freien und tauchte mit einem Satz in den Schutz der Büsche.

Die Dornen und Äste zerkratzten seine nackte Haut, aber Aton zwängte sich trotzdem tiefer in das Gestrüpp hinein und verzichtete darauf, dem zwar halb überwucherten, aber doch noch erkennbaren Weg zu folgen. Erst als ihm klar wurde, daß er auf diese Weise vielleicht nicht gesehen, mit Sicherheit aber gehört wurde - er machte einen Lärm wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen -, ging er langsamer und blieb schließlich stehen. Schwer atmend ließ er sich hinter einem mit Rauhreif überzogenen dornigen Busch, der aussah wie ein Gespinst aus weiß überzuckertem Draht, in die Hocke sinken und wartete, bis er sich etwas beruhigt hatte. Dann sah er wieder zum Haus zurück.

Von Petach und Sufi war nichts zu sehen. Offenbar hatten die beiden nicht gemerkt, daß Aton das Haus verlassen hatte, und suchten noch immer im Inneren des Gebäudes nach ihm. Der Gedanke daran, wie sehr Petach ihn belogen und hintergangen hatte, erfüllte Aton mit einem solchen Zorn, daß er nahe daran war, wieder zum Haus zurückzukehren und seinerseits nach Petach zu suchen, um ihn zur Rede zu stellen. Aber das würde er natürlich nicht tun. Trotzdem genoß er diese Vorstellung einige Augenblicke, und er zog sogar ein wenig Kraft aus ihr; wenigstens so lange, bis ihm klar wurde, daß die Gefahr zwar etwas kleiner geworden, aber längst noch nicht ganz vorüber war.