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Die Worte machten Aton zornig. Obwohl er wußte, daß es viel klüger wäre, den Mund zu halten, drehte er sich zu Werner herum und maß ihn mit einem leicht verächtlichen Blick.

»Immerhin hat das Pharaonenreich einige tausend Jahre überdauert«, sagte er. »Ich bin gespannt, ob man das später auch einmal von unserer Kultur behaupten kann.«

»Wen interessiert das schon?« fragte Werner. Er zog eine Grimasse, und Aton gab ihm in Gedanken recht - aber vielleicht war es ganz gut, wenn zumindest gewisse Vertreter besagter Kultur von diesem Planeten verschwanden, ohne allzu deutliche Spuren ihrer Existenz zu hinterlassen.

Einer von Werners Begleitern deutete jetzt auf die kleinere Vitrine und fragte erstaunt: »Was ist denn das?«

»Eine Katze«, beeilte sich Aton zu antworten. »Sie haben sie mumifiziert - so wie ich es euch vorhin erklärt habe. Und dann beerdigt.«

»Eine Katze?« fragte Werner zweifelnd. »Wieso sollten sie sich mit dem Viehzeug solche Mühe machen?«

»Katzen waren heilige Tiere im alten Ägypten«, erklärte Aton. »Sie wurden von den Menschen verehrt.«

»So wie heute die Inder ihre blöden Kühe?«

»Viel mehr«, antwortete Aton. »Sie hatten eine Katzengöttin. Manche von den Tieren lebten in eigenen Tempeln, und eine Katze umzubringen zog schwere Strafen nach sich. Viele Katzen wurden mumifiziert, nachdem sie gestorben waren. Es gab sogar einen eigenen Friedhof, auf dem nur Katzen beigesetzt wurden, und das unter großen Ehren. Es gibt ihn noch heute. Er liegt in Bubastis, wo auch der große Tempel der Bastet stand, der Katzengöttin.«

Werner schnaubte. Er warf einen mißtrauischen Blick auf den in graue Leinenstreifen eingewickelten kleinen Körper, dann richtete er sich kopfschüttelnd auf und wandte sich wieder dem Krieger zu.

»Dieses Vieh haben sie eingesalbt und beerdigt, und den armen Kerl da haben sie bloß eingewickelt und dann liegengelassen.«

Auch Aton drehte sich wieder dem Krieger zu. Vermutlich hatte Werner recht. Das Schildchen neben der Vitrine behauptete zwar, daß der Körper neben der Mastaba von Sackara gefunden worden war - einem steinernen Grab, das zwar nicht ganz so beeindruckend war wie eine Pyramide, aber noch immer gewaltig - doch Aton nahm an, daß es sich dabei wohl eher um einen Zufall handelte. Die Pyramiden waren ausnahmslos Königen, Hohenpriestern oder allenfalls noch hohen Beamten vorbehalten gewesen. Die normalen Menschen - Krieger, Beamte, Bauern und Handwerker - waren im Wüstensand begraben oder in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt worden.

Die angebliche Kriegermumie war keine richtige Mumie - nicht in dem Sinn, in dem er das Wort gerade Werner und seinen Begleitern erklärt hatte. Was unter den halb vermoderten Stoffstreifen, die nachlässig um ihn gewickelt worden waren, von seiner Haut sichtbar war, das war zu etwas vertrocknet, das fast wie schwarzes, zähes Leder aussah. Es waren nicht Menschen gewesen, die ihn sorgsam präpariert und für die Ewigkeit geschützt hatten, sondern die glühende Wüstensonne und die Trockenheit hatten seinem Körper alle Flüssigkeit entzogen, so daß er nicht in Fäulnis übergehen und weiter verfallen konnte - was in der Vitrine stand, das war ein Toter, der jahrtausendelang im Wüstensand begraben gelegen haben mochte, ehe er gefunden und hierhergebracht worden war.

Links von der seltsamen Mumie lehnte ein oben bogenförmig zulaufender Schild, rechts eine verrostete Lanze, und zu seinen Füßen lag ein Dolch, der ganz so aussah, als ob man ihn nach all der langen Zeit noch gut verwenden könnte.

Irgendwie fühlte sich Aton unbehaglich. Er sagte sich selbst, daß es albern war, und trotzdem empfand er es als ungerecht: Dieser Mann hatte Jahrtausende in seinem Grab im Sand der Wüste gelegen, und es war einfach nicht richtig, ihn aus seiner ewigen Ruhe zu reißen und hier auszustellen, wo er begafft wurde wie ein Tier im Zoo. Und als hätte er seine Gedanken gelesen und wollte ihm beipflichten, öffnete der Krieger in diesem Moment die Augen und sah ihn an.

Und damit nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Werner heulte auf, als Aton zurückprallte und ihm so kräftig auf die Zehen trat, daß der Schmerz ihm die Tränen in die Augen trieb, trotzdem packte er Aton schleuderte ihn gegen einen seiner Freunde. Dieser geriet aus dem Gleichgewicht, krallte sich an Aton fest und stürzte mit ihm zu Boden - und das so unglücklich, daß Aton ihm dabei unabsichtlich den Ellbogen in den Magen rammte. Der andere keuchte vor Schmerz und versetzte Aton einen Hieb auf die Nase, der bunte Sterne vor seinen Augen tanzen ließ - und Aton hob die Hand, um dem Burschen eine Ohrfeige zu verpassen.

Doch bevor er die Bewegung ausführen konnte, fühlte er sich von kräftigen Händen am Gürtel gepackt und hochgezerrt.

»So!« brüllte Werner. »Du willst also Streit, wie? Den kannst du haben.«

Aton riß instinktiv die Hände hoch, um sich vor den Ohrfeigen zu schützen, die ihm Werner gleich verpassen würde, und drehte den Kopf etwas zur Seite. Dabei fiel sein Blick auf die große Vitrine, und sein Herz schien einen regelrechten Sprung in seiner Brust zu machen.

Der Krieger hatte sich bewegt!

Die Lanze lehnte nicht mehr neben ihm, sondern befand sich plötzlich in seiner Hand, und auch der Schild war nicht mehr an seinem Platz, sondern hing am Arm der Mumie. Die ganze Gestalt wirkte angespannt, als wollte sie sich im nächsten Moment auf Werner stürzen, der kaum einen Meter vor der Glasvitrine stand.

»Paß auf!« schrie Aton entsetzt. »Hinter dir!«

Werner lachte und versetzte Aton die erwartete Ohrfeige, die ihn bunte Lichtblitze sehen ließ. Trotzdem konnte Aton die Augen nicht von dem Mumienkrieger wenden. Er hatte sich wieder bewegt. Die Lanze war jetzt fast ganz erhoben, der linke Arm mit dem Schild angewinkelt, und die Drähte, an denen der Krieger hing, waren bis zum Zerreißen gespannt.

Werner wollte erneut zuschlagen - da taumelte der Krieger in einem Regen aus zersplitterndem Glas aus der Vitrine hervor und stieß gegen ihn. Die Lanzenspitze verfehlte Werners Brust um Haaresbreite, zerriß aber seine Jacke und das Hemd darunter und hinterließ eine lange, blutige Schramme auf seiner Haut, und der Schild prallte so heftig in Werners Kniekehlen, daß dieser mit einem keuchenden Laut das Gleichgewicht verlor. Mit wild rudernden Armen suchte er irgendwo Halt, erreichte aber damit nur, daß er zur Seite fiel und dabei an den kleineren Vitrinenschrank mit der Katzenmumie stieß.

Die beiden Burschen, die Aton gepackt hielten, ließen ihr Opfer unverzüglich los und eilten Werner zu Hilfe - und damit war das Chaos endgültig perfekt.

Einer der beiden stolperte und geriet in die Bahn der Mumie, die just in diesem Moment wie in Zeitlupe nach vorne kippte und den Jungen unter sich begrub; der andere versuchte, Werner festzuhalten, wurde aber von diesem mit zu Boden gerissen - und der Glaswürfel kippte endgültig von seinem Sockel, stürzte auf die beiden hinunter und zerbrach in tausend Stücke. Die Katzenmumie rollte heraus und landete direkt auf Werners Gesicht. Aus seinen Schreien wurde ein hysterisches Kreischen, das einen Moment später in einem erstickten Laut unterging.

»Was zum Teufel ist denn hier los?« schrie eine Stimme hinter Aton. Erschrocken wandte er sich um und erblickte Zombeck, der im Laufschritt herbeigeeilt kam, dicht gefolgt von den beiden anderen Lehrern und dem Rest der Schüler. »Was tut ihr denn hier? Seid ihr - o Gott! Aufhören! Sofort aufhören!«

In jeder anderen Situation hätte Aton sicher seine helle Freude an dem entsetzten Ausdruck auf Zombecks Gesicht gehabt, aber jetzt schenkte er ihm nur einen flüchtigen Blick, ehe er sich wieder zu Werner und dessen beiden Freunden herumdrehte.

Sie boten einen grotesken Anblick. Einer der Jungen lag, alle viere von sich gestreckt, unter der Mumie, die durch eine Laune des Zufalls tatsächlich so über ihn gefallen war wie ein Krieger, der seinen Gegner unter sich begrub: Der Schild drückte Schultern und Kopf des Jungen gegen den Boden, während sich die Lanzenspitze nur Millimeter unter seiner Achsel hinweg tief in den Fußboden gegraben hatte, so daß der arme Kerl zwar unverletzt geblieben war, aber trotzdem regelrecht an den Boden genagelt wurde. Der zweite Junge hockte benommen inmitten eines gewaltigen Scherbenhaufens und betrachtete seine Hände, die mit winzigen Schnitten übersät waren, und Werner selbst bot einen grotesken Anblick: Er lag auf dem Rücken, strampelte mit den Beinen und gab gurgelnde Laute von sich, während er mit beiden Händen versuchte, eine dreitausend Jahre alte Katze von seinem Gesicht hinunterzustoßen, die sich tief in seine Haut gekrallt zu haben schien.