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»Das kann ich jetzt nicht erklären«, antwortete Aton.

»Gut, reden können wir später«, sagte Sascha knapp. »Wo bist du?«

»Ich habe keine Ahnung«, gestand Aton. »Irgendwo außerhalb der Stadt, in einer Telefonzelle.«

»Der Standort muß auf dem Telefon stehen«, erwiderte Sascha. »Entweder am Apparat selbst oder daneben. Siehst du es?«

Aton suchte einige Augenblicke, dann entdeckte er das kleine Schildchen, das an jedem öffentlichen Fernsprecher angebracht war, und las Sascha die Adresse vor.

Ein überraschtes Keuchen antwortete ihm. »Was um alles in der Welt tust du dort draußen?« fragte sie. Ehe er antworten konnte, fuhr sie fort: »Egal. Bleib, wo du bist. Ich schicke dir einen Streifenwagen.«

»Nein!« sagte Aton impulsiv. »Keine Polizei. Ich meine ... keine richtige Polizei.«

»Was glaubst du, was ich bin?« erwiderte Sascha. »Aber gut, meinetwegen. Ich hole dich ab - aber es kann eine halbe Stunde dauern. Du bist am anderen Ende der Stadt. Kannst du so lange warten?«

Aton war nicht sicher. Eine halbe Stunde war eine lange Zeit - auf der anderen Seite war seit seiner Flucht aus dem Krankenhaus mindestens eine halbe Stunde vergangen, und bisher hatten Petach und Sufi ihn noch nicht aufgespürt. Außerdem bot die Telefonzelle hinlänglich Schutz vor Kälte und Wind.

»Ich glaube schon«, antwortete er zögernd.

»Gut«, sagte Sascha. »Rühr dich nicht von der Stelle, hörst du?«

Aton versprach es und hängte ein, nachdem Sascha die Verbindung unterbrochen hatte. Er fühlte sich erleichtert. Er wußte selbst nicht, wieso er ein so großes Vertrauen zu der jungen Frau empfand. Es hatte nichts mit der Tatsache zu tun, daß sie Polizistin war. Vielleicht war es einfach der Umstand, daß sie der einzige Mensch in dieser Stadt war, den er überhaupt kannte. Zum ersten Mal kam Aton zu Bewußtsein, wie allein er eigentlich war. Er war hier aufgewachsen, und doch war es eine fremde Stadt voller fremder Menschen, von denen er sich keine Hilfe erhoffen konnte.

Aton rief sich zur Ordnung. Selbstmitleid brachte ihn nicht weiter, es paßte auch nicht zu ihm. Sein bisheriges Leben hatte es mit sich gebracht, daß er früh selbständig geworden war, und er war stets stolz darauf gewesen. Wenn niemand da war, der ihm half, nun, dann würde er sich eben selbst helfen.

Zwar wußte er überhaupt nicht, was mit ihm geschah und warum, aber er zweifelte nicht daran, daß er es herausfinden würde. Er brauchte jetzt nur ein wenig Ruhe und einen sicheren Ort, an dem er sich erholen und nachdenken konnte.

Aton war sicher: Wenn er herausfand, was Petach von ihm wollte, dann würde er auch eine Möglichkeit finden, sich zu wehren.

Die Zeit verstrich. Allmählich begann Aton die Kälte auch hier drinnen zu spüren. Seine Finger und Zehen wurden langsam taub. Immer wieder suchte sein Blick die Straße in beide Richtungen ab, aber die Dunkelheit blieb.

Er hatte ungefähr dreieinhalb Wochen in der Telefonzelle verbracht (so kam es ihm vor, auch wenn er objektiv schätzte, daß die halbe Stunde, von der Sascha gesprochen hatte, noch nicht einmal ganz vorbei war), als er draußen eine Bewegung wahrzunehmen glaubte. Es war nur ein kurzes Huschen auf der anderen Straßenseite, aber er schrak heftig zusammen, und sein Herz begann schneller zu schlagen. Erfüllt von Furcht und Neugier, strengte er seine Augen an, um mehr erkennen zu können, und die Bewegung wiederholte sich.

Aton wich einen Schritt zurück, so daß er unsanft mit dem Rücken gegen das Telefon stieß - und dann atmete er erleichtert auf, als er erkannte, was es war. Eine kleine, schwarzweiß getigerte Katze näherte sich der Telefonzelle. Sie schlenderte fast gemächlich heran, Schwanz und Ohren grüßend aufgestellt, und der Blick ihrer gelben, in der Dunkelheit leuchtenden Augen war direkt auf Aton gerichtet. Offensichtlich war es keine verwilderte Katze, sondern ein Tier, das an Menschen gewöhnt war.

Nach all der Zeit, die Aton allein in dieser furchteinflößenden Dunkelheit verbracht hatte, erschien ihm selbst der eisige Wind draußen die Gesellschaft des Tieres wert. Langsam, um die Katze nicht zu erschrecken und davonzujagen, öffnete er die Tür und verließ die Telefonzelle. Die Katze kam noch einige Schritte näher, blieb zwei Meter vor ihm sitzen und sah ihm ruhig entgegen. Aton näherte sich ihr langsam, ließ sich neben ihr in die Hocke sinken und streckte die Hand aus. Das Tier begann laut zu schnurren, als er es streichelte, und einen Augenblick später erlebte Aton eine weitere Überraschung. Am Waldrand auf der anderen Straßenseite erschien eine zweite Katze. Und eine Sekunde später eine dritte.

Aton war verwirrt. Die Ereignisse der vergangenen Tage hatten ihn aufhören lassen, an Zufälle zu glauben. Er hörte auf, die Katze zu streicheln, und stand vorsichtig wieder auf. Auch das Tier richtete sich auf, drehte sich herum und trat einige Schritte weit auf die Straße hinaus, blieb dann aber wieder stehen und sah zu ihm zurück. Die glühenden, gelben Augen schienen ihm etwas sagen zu wollen. Und Aton glaubte zu wissen, was.

Er machte einen Schritt auf die Katze zu. Das Tier ging weiter, aber auch diesmal wieder nur ungefähr einen Meter, dann blieb es abermals stehen und sah zu ihm zurück. Und so ging es weiter, bis sie die gegenüberliegende Straßenseite erreicht hatten.

Aton ließ sich wieder in die Hocke gleiten und streckte die Hand aus, um nach den beiden anderen Katzen zu greifen, doch diesmal ließen sich die Tiere nicht streicheln, sondern wichen rückwärts gehend vor ihm zurück und sahen ihn aus ihren gelben, unheimlichen Augen an. Es war nichts Feindseliges in diesen Blicken, aber Aton spürte doch genau, daß die Tiere ihn nicht hierhergelockt hatten, um sich ein paar Streicheleinheiten von ihm zu holen. Etwas stimmte mit diesen Katzen nicht.

In diesem Moment hörte er ein Geräusch hinter sich. Aton drehte sich erleichtert herum, davon überzeugt, das Scheinwerferpaar eines Autos zu sehen, und so hatte er die Hand bereits halb erhoben, um zu winken - aber die Straße hinter ihm war noch immer dunkel. Und erst dann begriff er, daß es überhaupt kein Wagen war, den er hörte. Der Laut hatte nicht einmal Ähnlichkeit mit dem Motorengeräusch eines Autos. Es war ein rhythmisches, schnelles Klappern, begleitet von einem sonderbaren Kollern und Rollen ... Aton hatte ein Geräusch wie dieses noch nie zuvor im Leben gehört, aber es war so unheimlich, daß er ganz von der Straße herunter und einen Schritt zwischen die Bäume trat.

Keine Sekunde zu früh, wie sich im nächsten Augenblick zeigte.

Aton riß ungläubig die Augen auf, als er sah, was die Dunkelheit hinter ihm ausspie wie ein Gespenst aus einer längst vergangenen Zeit.

Es war ein Wagen - aber ganz und gar nicht die Art von Wagen, die er erwartet hatte. Es war ein hölzerner, reichverzierter Wagen, der auf zwei gewaltigen Speichenrädern heranrollte und von zwei nachtschwarzen Pferden gezogen wurde. Hinter der mit Gold beschlagenen Brustwehr stand eine hoch aufgerichtete Gestalt, die passend zu dem Kampfwagen ein altägyptischer Krieger hätte sein können. Aber das war sie nicht. Ihr Körper war mit grauen, schmalen Stoffstreifen umwickelt. An ihrem linken Arm war ein metallener Schild befestigt, und griffbereit neben der rechten Hand, die die Zügel hielt, lehnte eine Lanze mit einer dreieckigen Spitze. Es war die Mumie aus dem Museum.

Aton spürte, wie sich ihm jedes einzelne Haar auf dem Kopf sträubte. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sie im Feuer verbrannt war, aber nun war sie wieder vollkommen unversehrt. Selbst die Stoffstreifen, die Bastets Krallen zerfetzt hatten, waren wieder heil.

Schnell wie ein Wirbelwind raste der unheimliche Kampfwagen heran, machte plötzlich einen Schwenk nach rechts und donnerte mit ungebremstem Tempo auf die Telefonzelle zu, in der Aton sich noch vor Sekunden aufgehalten hatte - und einfach hindurch! Metall- und Glassplitter flogen in einem gewaltigen Wirbel davon. Die Lampe erlosch im elektrischen Zischen eines Kurzschlusses, und was die Hufe der schwarzen Höllenpferde nicht zertrümmert hatten, das wurde unter den Rädern des Kampfwagens zermalmt. Der Wagen raste einfach weiter, ohne auch nur langsamer zu werden.