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Einen Moment lang wünschte er sich fast verzweifelt, wieder einzuschlafen und den Traum fortzusetzen, aber natürlich ging das nicht. Aton stand auf und begann unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. Dieser Traum war mehr als ein Traum gewesen. Er ... begann sich zu erinnern, was damals wirklich geschehen war, in jenen Stunden, in denen er hilflos durch das Labyrinth unter der Wüste geirrt war. Bisher hatte er angenommen, daß diese Stunden mit nichts anderem erfüllt gewesen waren als mit seiner verzweifelten Suche nach dem Ausgang, aber das stimmte nicht. Etwas war damals geschehen, dessen Auswirkungen er jetzt, mehr als zehn Jahre später, zu spüren begann. Und er würde sich erinnern, was. Bald.

Ein Anruf mit Folgen

Sascha kam pünktlich, und sie brachte auch die versprochene Pizza mit. Wie Aton erwartet hatte, war sie nicht besonders schmackhaft, stillte aber zumindest seinen ärgsten Hunger, und der Umstand, nicht mehr allein zu sein, ließ das gemeinsame Fast-food-Abendessen zu einem wahren Festmahl werden. Hinterher saßen sie noch eine ganze Weile in vertrautem Schweigen da, und es war auch nicht nötig, daß einer von ihnen sprach - obwohl sie sich gerade erst ein paar Tage kannten, fühlte sich Aton in Saschas Gegenwart geborgen und sicher. Die junge Frau hatte irgend etwas an sich, was sie zu einer Freundin machte, auch ohne viele Worte oder Jahre, die sie sich kannten.

Aton erzählte von seinem Traum, und Sascha hörte aufmerksam und mit sehr ernstem Gesicht zu. Wenn sie seine Worte in irgendeiner Weise anzweifelte, so ließ sie sich dies jedenfalls nicht anmerken. Schließlich nickte sie, stand wortlos auf und verschwand wieder in der Küche, um einige Augenblicke später mit zwei Gläsern Cola zurückzukommen.

»Du glaubst also, daß da noch mehr ist?« begann sie, nachdem sie wieder Platz genommen hatte.

»Vielleicht«, antwortete Aton. »Ich hatte das Gefühl, daß ...« Er suchte nach Worten und zuckte dann mit den Schultern. »Daß hinter dieser Tür etwas Wichtiges war.«

»Vielleicht war es auch nur ein Traum«, sagte Sascha. »Du erinnerst dich an gar nichts von damals?«

»Ich war fünf Jahre alt«, erwiderte Aton kopfschüttelnd. »Ich weiß nur, daß ich furchtbare Angst hatte. Ich war mit meinen Eltern im Tal der Könige. Wir waren in einer Höhle, hinter der man wohl ein weiteres Pharaonengrab vermutete. Plötzlich gab es einen Erdrutsch. Ich wurde von den anderen getrennt. Der Eingang war verschüttet, aber statt zu warten, bis man mich herausholte, muß ich wohl stundenlang herumgeirrt sein. Das ist alles, woran ich mich erinnere. Irgendwann am nächsten Tag wachte ich dann im Krankenhaus in Kairo wieder auf.«

»Dann hast du sozusagen ein neues Königsgrab entdeckt?« fragte Sascha überrascht.

»Nur ein paar leere Gänge«, antwortete Aton bedauernd. »Man vermutete, daß es ein Grab werden sollte, aber es ist nie fertiggestellt worden. Keine große Entdeckung. Nur ein leerer Raum und ein paar Stollen ...« Seine Stimme wurde leiser, während er sprach, und er konnte regelrecht spüren, wie die Worte die Angst zurückbrachten. Ob der Traum nun wirklich nur ein Traum war, wie Sascha vermutete, oder ob er die verschüttete Erinnerung an etwas, was er tatsächlich erlebt hatte, aufsteigen ließ - allein darüber zu reden brachte den Schrecken zurück. Er versuchte den Gedanken abzuschütteln, aber es gelang ihm nicht recht.

»Und was hast du herausgefunden?« fragte er schließlich.

»Eine Menge«, antwortete Sascha. »Was willst du zuerst hören?«

»Die guten oder die schlechten Nachrichten?« fragte Aton lächelnd.

Sascha blieb ernst. »Die schlechten oder die ganz schlechten Nachrichten«, verbesserte sie ihn. »Mit guten kann ich im Moment leider nicht dienen.«

»Fang mit den schlechten an«, seufzte Aton.

»Dein Freund Petach«, sagte Sascha. »Ich habe den Computer nach ihm befragt. Er behauptet, es gibt ihn nicht.«

»Wie?« fragte Aton verblüfft.

»Es liegt weder ein Einreisevisum für einen Mann dieses Namens vor noch eine Aufenthaltsgenehmigung oder gar eine Arbeitserlaubnis. Ein Wagen auf seinen Namen ist auch nicht angemeldet, und die Adresse, die er dir genannt hat, ist falsch. Dort steht nicht einmal ein Haus. Du sagst, er ist Professor an der Universität von Kairo?«

»Jedenfalls hat er das erzählt«, sagte Aton.

»Dann hat er gelogen«, antwortete Sascha ruhig. »Ich habe ein Telefax nach Kairo geschickt. Dort hat man niemals von einem Mann namens Petach gehört - allerdings haben sie in ihrer Antwort nachgefragt, ob wir sie auf den Arm nehmen wollen.«

»Wieso?« fragte Aton.

»Sie kennen niemanden, der Petach heißt, aber den Namen haben sie durchaus schon gehört. Petach - eigentlich Ptah, aber man spricht es eben Petach aus - ist der Name des obersten altägyptischen Gottes, noch über Amun und Re.« Sie lachte. »An mangelndem Selbstbewußtsein scheint dein Freund jedenfalls nicht zu leiden.« Sie trank einen Schluck Cola. »Willst du jetzt auch noch die ganz schlechten Neuigkeiten hören?«

»Habe ich eine Wahl?« fragte Aton.

Sascha schien dies als Ja zu interpretieren, denn sie fuhr fort: »Dieser Arzt, mit dem Petach angeblich gemeinsame Sache gemacht hat. Dieser Dr. Sufi.«

»Kennt euer Computer ihn auch nicht?« fragte Aton.

»Doch«, antwortete Sascha. »Er ist sogar ein ziemlich berühmter Mann, der Leiter einer renommierten Privatklinik außerhalb der Stadt, und wie es heißt, eine Koryphäe auf seinem Gebiet, wenn auch ansonsten ein ziemlicher Sonderling.« Sie sah Aton eindringlich an. »Aber eigentlich müßte es heißen, er war das alles.«

»Warum?« fragte Aton.

»Er ist tot«, antwortete Sascha leise. »Dr. Ibrahim Sufi ist vor zwölf Jahren gestorben.«

Aton starrte sie an. Sascha ließ ihm eine ganze Weile Zeit, zu antworten oder sonst irgendwie zu reagieren. Als er nichts davon tat, seufzte sie tief und sagte: »Die Frage ist, was wir jetzt weiter tun. Ich müßte eigentlich meine Vorgesetzten verständigen und eine Großfahndung nach diesem Petach einleiten.«

»Und wieso?« fragte Aton. »Ist Zauberei vielleicht verboten?«

»Nein«, antwortete Sascha ernst, »aber Entführung, Mordversuch und Freiheitsberaubung sind es schon. Das Problem ist nur: Man wird mir nicht glauben.« Sie seufzte wieder tief. »Ich glaube es ja selbst noch immer nicht so richtig.«

Aton fühlte sich plötzlich wieder sehr niedergeschlagen und traurig. Dem Gefühl der Sicherheit und Zuversicht, mit dem ihn Saschas Gegenwart erfüllt hatte, folgte eine um so größere Enttäuschung. Vielleicht war er hier tatsächlich in Sicherheit, aber das änderte nichts daran, daß er die Geschehnisse genausowenig wie früher verstand und nach wie vor keine Ahnung hatte, was Petach von ihm wollte. »Vielleicht solltest du wirklich deine Kollegen anrufen«, sagte er. Er lachte unsicher. »Vermutlich stecken sie mich sofort in eine Zwangsjacke, aber wahrscheinlich bin ich dort sicherer als hier.«

»Das werde ich müssen«, sagte Sascha ernst. Sie hob beruhigend die Hand, als Aton zusammenfuhr, und fügte hinzu: »Aber nicht sofort. Es gibt noch eine Sache, die wir tun können.«

»Und was?«

Sascha griff in die Tasche und zog einen zerknitterten Zettel heraus. »Ich habe die Firma deines Vaters angerufen«, sagte sie. »Sie haben mir eine Telefonnummer gegeben, unter der ich ihn erreichen kann. Wenn du willst, rufen wir ihn gleich an.«

Sie erhob sich und machte eine auffordernde Geste, mitzukommen. Aton folgte ihr in den Flur, wo das Telefon auf einer kleinen Kommode neben der Eingangstür stand.

Schweigend sah er zu, wie Sascha eine vierteilige Telefonnummer eintippte und anschließend eine weitere Taste auf dem Apparat drückte, die einen kleinen Lautsprecher in Gang setzte. Überlagen von knisternden Störgeräuschen konnten sie das Klacken der Relais hören, als der Ruf sich elektronisch seinen Weg über Tausende von Kilometern bis ins ferne Ägypten bahnte. Es dauerte sehr lange, bis das Knistern und Knacken vom gleichmäßigen Geräusch des Freizeichens abgelöst wurde.