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»Nicht unbedingt das Hilton, aber sicher und warm«, erklärte Sascha, während sie die Tür hinter sich ins Schloß drückte.

»Was ist das hier?« fragte Aton.

»Wir benutzen dieses Hotel dann und wann, um Leute unterzubringen«, sagte Sascha. Aton sah sie fragend an, und sie fügte mit einem angedeuteten Lächeln hinzu: »Das ist das, was wir ein sicheres Haus nennen. Siehst du denn gar keine Kriminalfilme?«

Aton erwiderte ihr Lächeln nicht. Er bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Sascha war sich dessen offensichtlich gar nicht bewußt, aber sie hatte genau das in Worte gekleidet, was er spürte, seit er dieses Gebäude das erste Mal gesehen hatte.

Alles hier wirkte nicht echt. Es sah genauso aus, als wäre er in einen uralten Kriminalfilm geraten. Dieses fast menschenleere Haus in einer verkommenen Gegend, der senile Portier, der seine Gäste nicht zur Kenntnis nahm, dieses Zimmer, dem man ansah, daß es vermutlich seit Jahren niemanden mehr beherbergt hatte ... Als Aton zum Fenster trat und einen Blick auf die Straße hinauswarf, sah er in einen kleinen, an drei Seiten von schmuddeligen Backsteinmauern umgebenen Hinterhof, in dem sich leere Kisten und Kartons, ganze Berge von Flaschenkästen und überquellende Mülleimer stapelten. Was jetzt noch fehlte, dachte er spöttisch, war eigentlich nur ein schwarzer Citroën, der Wagen, den Ganoven in französischen Kriminalfilmen traditionsgemäß fuhren.

»Ich werde dich nun ein oder zwei Stunden allein lassen«, sagte Sascha.

Aton drehte sich mit einem Ruck zu ihr herum, und er mußte wohl sehr erschrocken dreingesehen haben, denn sie fügte in beruhigendem Tonfall hinzu: »Keine Sorge, du bist hier wirklich sicher. Solange du das Haus nicht verläßt, kann dir nichts passieren. Und nicht telefonierst«, fügte sie augenzwinkernd hinzu.

Aton fand das nicht lustig. Saschas Worte erinnerten ihn nachhaltig wieder daran, daß er vielleicht nicht der einzige war, dem Gefahr drohte. »Wohin willst du?« Noch während er die Frage aussprach, erinnerte er sich wieder daran, daß Sascha noch einmal kurz telefoniert hatte, bevor sie die Wohnung verließen. »Ich weiß, zum Flughafen. Ihr wollt euch Petach schnappen.«

»Ich habe einiges mit ihm zu bereden«, bestätigte Sascha.

»Du hast gesehen, was -« begann Aton, wurde aber sofort unterbrochen.

»Er hat uns überrascht. Außerdem waren wir allein. Das nächste Mal wird es ein bißchen anders aussehen.« Sie machte ein grimmiges Gesicht. »Ich könnte gar nicht mehr zurück, selbst wenn ich wollte. Du kannst nicht die halbe Stadt in Schutt und Asche legen und denken, daß niemand etwas dagegen unternimmt. Ob dieser Petach nun tatsächlich das ist, was du glaubst, oder nur ein geschickter Betrüger - wir werden ihm das Handwerk legen, und zwar ein für allemal.«

Aton ahnte, wie sinnlos es wäre, Sascha von ihrem Vorhaben abbringen zu wollen. Etwas sagte ihm, daß alle Polizisten der Welt Petach nicht daran hindern konnten, genau das zu tun, was er wollte, aber er war nicht in der Stimmung, zu diskutieren. Außerdem konnte er jede Hilfe gebrauchen, die ihm angeboten wurde. Sascha und ihre Kollegen würden Petach nicht verjagen, aber doch ein wenig aufhalten, und vielleicht gewann er so die Zeit, die er so dringend brauchte, um einen klaren Kopf zu bekommen und endlich so etwas wie Sinn in diese scheinbar so verworrene Geschichte zu bringen. Er hatte immer mehr das Gefühl, vor den Teilen eines gigantischen Puzzles zu stehen, das er nur richtig zusammensetzen mußte. Das Problem war nur, daß er keine Ahnung hatte, wie das Bild aussah, das es ergeben sollte.

Sascha deutete sein Zögern wohl falsch, denn sie fügte plötzlich hinzu: »Wenn du willst, rufe ich jemanden an, der herkommt und dich bewacht.«

»Das ist nicht nötig«, antwortete Aton erschrocken. Und irgendwie hatte er das Gefühl, daß Sascha erleichtert über diese Antwort war. Sie wandte sich zur Tür.

»Mach niemandem auf«, sagte sie. »Das beste wird sein, wenn du das Zimmer gar nicht verläßt. Ich komme zurück, so schnell ich kann.«

Sie ging. Aton schloß die Tür hinter ihr sorgfältig ab, dann drehte er sich wieder herum und sah sich unschlüssig im Zimmer um. So anders es auch war - in einem Punkt ähnelte es sehr Saschas Wohnung: Bis auf das Nötigste war es vollkommen leer. Es gab nicht die geringste Möglichkeit der Zerstreuung, nichts, womit man sich beschäftigen, sich ablenken konnte. Er war nicht müde, so daß er hätte schlafen können, und selbst wenn er es gewesen wäre, hätte er ganz bestimmt keine Ruhe gefunden.

Aton beschäftigte sich fast eine Stunde lang damit, ruhelos in dem kleinen Raum auf und ab zu gehen und dann und wann am Fenster stehenzubleiben, um einen Blick auf den Hof hinauszuwerfen, und seine Gedanken drehten sich in dieser Zeit immer schneller und immer wilder im Kreis. Er versuchte, das Problem logisch anzugehen, aber das machte es eher schlimmer. Je intensiver er über alles nachdachte, was seit jenem schicksalhaften Tag in Crailsfelden geschehen war, desto weniger Sinn schien alles zu ergeben. Selbst wenn sich alles ganz genau so abgespielt hatte, wie Petach behauptete, und selbst wenn es nicht nur ein Trick und geschickte Täuschungen, sondern tatsächlich das Wirken mythischer Mächte war - die Geschehnisse, von denen Petach erzählt hatte, hatten sich vor dreitausenddreihundert Jahren zugetragen. Was um alles in der Welt hatte er damit zu tun?

Aton ging in Gedanken sogar noch einen Schritt weiter. Selbst wenn er - was vollkommen ausgeschlossen war - ein direkter Blutsverwandter Echnatons (oder Ejes) sein sollte, so war es nach all dieser Zeit kaum wahrscheinlich, daß er noch irgendeinen Einfluß auf das Geschehen von damals oder seine Auswirkungen hatte. Nein, es mußte eine andere Erklärung geben. Eine viel einfachere, vielleicht aber auch viel phantastischere.

Schließlich hielt er es nicht mehr aus und verließ, wenn auch mit einem schlechten Gefühl, das Zimmer. Der Hotelflur lag vollkommen leer und still vor ihm.

Es dauerte eine Weile, bis es Aton auffiel, aber dann sah er es so deutlich, daß er sich fragte, wie um alles in der Welt er auch nur eine Sekunde lang nicht hatte sehen können, wie unheimlich dieser Flur war. Es gab nicht das geringste Stäubchen. Nirgendwo lag etwas herum, keine Faser, kein Fetzchen Papier, nichts. Es gab keine Spur von Unordnung. Die zerschlissenen Läufer auf dem Boden lagen so präzise da, als hätte sie jemand mit einem Lineal ausgerichtet, die kleinen Messingschildchen an den Zimmertüren waren auf Hochglanz poliert, die Tapeten wirkten alt und fleckig, aber völlig unbeschädigt, ohne den winzigsten Riß, die allerkleinste, abgeschabte Stelle. Und es war still. Unheimlich still.

Aton machte einen Schritt auf die Treppe zu, blieb dann wieder stehen und trat an die Tür des Nachbarzimmers heran. Er zögerte. Sein Herz begann schneller zu schlagen, als er das Ohr an das Holz preßte und lauschte. Nichts. Nach ein paar Sekunden streckte er zögernd die Hand aus, legte sie auf die Klinke und drückte sie ganz langsam hinunter. Die Tür schwang lautlos nach innen, und Aton legte sich in Gedanken bereits eine Entschuldigung zurecht, falls er direkt in das Gesicht eines erbosten Hotelgastes blicken, sollte.

Aber in dem Zimmer war niemand, den er hätte stören können, und es konnte auch niemand da sein, denn es gab kein Zimmer.

Vor Aton lag nur ein gewaltiges, schwarzes Nichts, aus dem ihm ein Hauch unheimlicher Kälte entgegenwehte.

Aton blieb sekundenlang wie gelähmt stehen und starrte in die Leere. Furcht stieg in ihm hoch, doch er versuchte sie zu unterdrücken. Mit einer erzwungen ruhigen Bewegung schloß er die Tür wieder, ging einige Schritte den Flur entlang und öffnete das nächste Zimmer.